„Macbeth“ und „Drive My Car“: Verstellungskunst und Größenwahn
Das literarische Kino genießt nicht den besten Ruf. Es steht seit je in dem Generalverdacht, das Filmmedium für seine Bildungszwecke zu entfremden, zu viele Worte (und zu wenig visionäre Bilder) zu machen, einen grundsätzlich zu hohen Ton anzuschlagen. Nun stimmt das bekanntlich nicht grundsätzlich, wie zwei große neue Filme belegen – der eine stammt aus den USA, der andere aus Japan. Joel Coen, die nach dem vorläufigen Rückzug seines Bruders Ethan aus dem Kino übriggebliebene Hälfte der famosen Coen Brothers, hat sich erstmals alleine an eine Regie gewagt und sich dabei niemanden Geringeren als William Shakespeare als Sparring-Partner ausgesucht. „Macbeth“, uraufgeführt um 1606, ist eine Tragödie des politischen Größenwahns: Der Kriegsheld Macbeth macht sich Hoffnungen auf den Thron und beginnt, angestachelt von seiner über Leichen gehenden Frau, auch selbst jedes moralische Maß (und seinen Verstand) zu verlieren.
Das Theater ist die Basis dieses Films, aber nicht dessen Essenz: Coen simplifiziert weder die Sprache noch die Motive Shakespeares und findet zu einer starken filmischen Form aus glitzerndem Chiaroscuro, expressivem Licht und modernistischen Bauten; Denzel Washington und Frances McDormand spielen als General und Lady Macbeth den Absturz in Hybris, Mordlust und Wahnsinn nuanciert. Den typischen Coen-Witz lässt der Film zwar vermissen, aber die abgezirkelte visuelle Gestaltung, die man aus Coen-Filmen gewöhnt ist, findet sich hier wieder: Sie weckt ferne Assoziationen mit Laurence Oliviers „Hamlet“-Verfilmung und Orson Welles’ eigener „Macbeth“-Kinohommage, beide 1948 veröffentlicht. Bereits 1936 hatte Welles, als 20-Jähriger, eine New Yorker Theaterinszenierung des Stücks mit afroamerikanischem Ensemble in Harlem erarbeitet. Möglicherweise bezog Coen auch daher die Idee, Macbeth erneut mit einem schwarzen Darsteller zu besetzen. Die Präzision und Schärfe, die der charismatische Washington einbringt, finden ihr Echo in den architektonischen Linien, die wie mit dem Skalpell gezogen erscheinen.
Mit ebensolcher Genauigkeit, aber eher minimalinvasiv arbeitet der japanische Filmemacher Ryûsuke Hamaguchi in seiner seit ihrer Uraufführung in Cannes 2021 weltweit gefeierten Psychostudie „Drive My Car“. Während Joel Coen Shakespeares monumentales Drama auf 105 Minuten verdichtet, baut Hamaguchi eine schlichte Kurzgeschichte des Schriftstellers Haruki Murakami auf eine dreistündige Feinzeichnung aus. Um das Theater und die Verstellungskunst geht es auch hier: Ein Regisseur und Schauspieler, der den frühen Tod seiner intensiv geliebten, aber untreuen Frau zu verarbeiten hat, probt in Hiroshima eine Inszenierung von Tschechows „Onkel Wanja“ und begegnet in seiner verschlossenen jungen Chauffeurin einer Seelenverwandten. Hamaguchis ruhige, unterspielte Regie stellt eine Tiefenbohrung in die verwundeten Seelen seiner Charaktere an: ein Film für all jene, die im Kino nicht das schnelle Spektakel, sondern Prägnanz, Schönheit und Humanismus suchen.