INTERVIEW

John Malkovich: "Im Kino nimmt man sich immer zu ernst"

Der amerikanische Schauspieler John Malkovich ist eine unverwechselbare Gestalt. Sein Gewerbe sieht er illusionslos. Nun tritt er in dem bizarren Kinofilm „Seneca“ als Titelheld in Szene. Ein Gespräch über Gewalt und Geschwätz, Überempfindlichkeit und Unterordnung.

Drucken

Schriftgröße

Vermutlich musste man nicht lange suchen, um einen passenden Darsteller für den römischen Stoiker Seneca zu finden: John Malkovich, 69, ist der Inbegriff von Selbstbeherrschung und Seelenruhe. Mit kaum bewegter Miene sitzt er in einem Berliner Hotelzimmer, bereit, um über sich und den sonderbaren Film zu sprechen, in dem er als dauerschwadronierender Philosoph dem eigenen Ende ins Auge blicken muss.  Der deutsche Regisseur Robert Schwentke, der in Los Angeles Film studiert hat und seine Zeit zwischen europäischen Arthouse- Fabrikaten („Der Hauptmann“, 2017) und amerikanischem Action-Trash („R.I.P.D.“, 2013; „Snake Eyes: G.I. Joe Origins“, 2021) teilt, hat mit „Seneca“ (Kinostart in Österreich: 6. April) ein umstrittenes, alle Genre-Regeln leichtherzig über Bord werfendes Werk vorgelegt, in dem das alte Rom in der marokkanischen Wüstenstadt Ouarzazate betont gegenwärtig nachgestellt wird – und die Menschen sich nicht historisch, sondern eher hysterisch verhalten, gewaltbereit-neurotisch wie in Quentin Tarantinos Filmen. John Malkovich ist der perfekte Schauspieler für eine Titelrolle wie diese: eine in Dekadenz schwelgende Figur, kunstvoll narzisstisch und für jeden Irrsinn zu haben. Mit einer kuriosen Mischung aus Distanz und Zuwendung empfängt er auch profil; er spricht leise, gemessen, mit dieser seltsam melodischen Stimme, die er in seinen Filmen so gern manieristisch erhebt. Das folgende Gespräch fand im Februar statt, während der Filmfestspiele in Berlin, wo „Seneca“ zur Uraufführung kam. 

Sie spielen in „Seneca“ den römischen Philosophen, der den sadistischen Kaiser Nero erst unterstützte und ihm dann zum Opfer fiel. Wie bereiten Sie sich auf eine solche Rolle vor? Recherchieren Sie? 
Malkovich
Nicht übertrieben viel. Das Konzept war bereits im Drehbuch voll entwickelt, also drehten sich unsere Debatten nur noch um die Frage, wie detailliert wir  bestimmte Ideen entwickeln wollten.
Ist es nicht ein Geschenk für einen Charakterdarsteller, eine Figur zu spielen, die zugleich charismatisch und eitel, eloquent und opportunistisch ist?
Malkovich
Es war anstrengend, besonders diese ausschweifenden Monologe. Worte sind im Kino ja nicht sehr gefragt, man ist an sie kaum noch gewöhnt. Kein Wunder: Wie soll man elaborierte Rhetorik genießen können, wenn man dort in der Regel nur noch Sätze wie „Fick dich, ich blas dir das Hirn weg!“ serviert kriegt?
In „Seneca“ wird unaufhörlich erläutert und doziert. Am Theater sind derart gigantische Textmengen ...
Malkovich
... viel üblicher.

"Ich bin nur eine Figur in den Träumen der anderen."

John Malkovich

Ja, aber wohl auch die viel größere Herausforderung, oder? Bei einem Filmdreh wird ja geschnitten, auf der Bühne gönnt Ihnen niemand eine Pause.
Malkovich
Ich glaube, in keinem Film der letzten paar Jahre – mit Ausnahme von „Macbeth“ – wird mehr palavert als in „Seneca“. Diese endlosen Monologe sind enorm.
Kommen Sie gründlich vorbereitet am Drehort an? Mit dem gesamten Text im Kopf?
Malkovich
Klar. Wenn die Arbeit losgeht, beherrsche ich, was ich zu sagen habe.
Sie könnten sich auch Tag für Tag vorbereiten.
Malkovich
Das ginge bei diesen Textmengen nicht. Unmöglich. Ich habe volle zwei Monate gebraucht, um das alles zu lernen.
Als wir einander vor ein paar Jahren das letzte Mal trafen, meinten Sie, Schauspielen sei der Rede nicht wert, es sei etwas völlig Normales, ohne jedes Mysterium: nur ein Beruf. Sie wissen, dass das etwas kokett klingt. 
Malkovich
Nein, ich würde das auch heute noch behaupten. Ich denke nicht viel übers Spielen nach, ich übe es einfach nur aus.
Das ist die Haltung, die auch Robert Mitchum einst vertreten hat. Er sagte, sein Job sei es, pünktlich am Set zu sein, seine Texte aufzusagen und den Anordnungen der Regie zu folgen. Er habe zudem zwei Schauspielstile parat: mit und ohne Pferd.
Malkovich
Genau. Ich mythologisiere das Schauspielen nicht, es ist nicht etwas unglaublich Schwieriges. Ich lerne und arbeite hart, aber das ist es auch schon. Für mich ist offensichtlich, wer Seneca ist; er offenbart sich durch seine Handlungen. Man versucht schlicht, die Dinge zu realisieren, die sich im Drehbuch finden.
„Seneca“ erscheint fast wie ein Solo; als Titelheld sind Sie in diesem Film sehr zentral gesetzt. Genießen Sie dieses Forum? Oder lieben Sie es ebenso, gute Nebenrollen zu spielen? 
Malkovich
Mir wäre es sehr recht, wenn jemand anderer dieses ganze Gequatsche übernehmen würde. Ich habe ja, wie Sie wissen, in all den Jahrzehnten viel mehr kleinere Parts als Hauptrollen gespielt. Damit bin ich absolut glücklich.
Sie arbeiten tatsächlich viel und hart, stemmen in manchen Jahren  neun Kinoprojekte. Ihre Filmografie umfasst aktuell mehr als 140 Werke, Ihre Theaterarbeit nicht mitgerechnet. Ferien liegen Ihnen nicht so? 
Malkovich
Nicht sehr. Allerdings haben wir jetzt eine Enkelin, wegen ihr nahm ich mir den Dezember und den Jänner frei, so etwas habe ich seit 40 Jahren nicht mehr getan. Wobei: Ganz frei hatte ich da auch nicht, denn es hatte sich einiges angesammelt, das ich immer schon erledigen wollte.
Lehnen Sie eigentlich viele Projekte, die Ihnen angeboten werden, ab?
Malkovich
Schon. Ich werde mit unzähligen Drehbüchern behelligt und gestalte nebenbei Abende mit klassischer Musik, oft auch mit meinen Wiener Kollegen, dem Dirigenten Martin Haselböck und dem Regisseur Michael Sturminger. Und Theater spiele ich sowieso viel. Ich bin gerade auf Mini-Tournee, vor drei Tagen stand ich in Sofia noch auf der Bühne. Also ja, ich arbeite nicht unentwegt, aber wohl viel. 
"Seneca“ besitzt viel bösen Witz und plastische Gewaltdarstellungen. In dem Zynismus, der in diesem Film wirkt, steckt scharfe Kritik an Unmoral und Tyrannei. Aber an dem Projekt hat Sie vermutlich auch gereizt, dass es politisch derart inkorrekt ist?
Malkovich
Natürlich. 

Macht und Abgrund

Malkovich als Seneca, Tom Xander als kaiserlich-infantiler Gewalttäter Nero.

Manche Menschen könnten sich von bestimmten Szenen Ihres Films verletzt fühlen.
Malkovich
Sicher. Aber die fühlen sich ja von allem verletzt, nur von sich selbst nicht.
Hoffen Sie sogar darauf, dass man sich von Ihrer Arbeit provoziert fühlt?
Malkovich
Nein, ich lege es nicht darauf an, jemanden zu verletzen oder zu kränken. Aber es scheint ziemlich unvermeidlich zu sein. Heutzutage fühlen sich manche Leute ja bereits von einem Grashalm angegriffen. Das hat natürlich auch mit der Multiplikation jeder Beleidigung durch die asozialen Medien zu tun.
Jeder Mensch hat das Recht, beleidigt zu reagieren, worauf auch immer. 
Malkovich
Natürlich. Nur wird die Kränkung von jemandem, der sich durch eine Lappalie betroffen fühlt, im Netz milliardenfach verstärkt. Und warum auch nicht?
Betrachten Sie das komische Fach, das Sie in „Seneca“  bedienen, als eine Ihrer Spezialitäten?
Malkovich
Im Theater ja. Im Kino weniger, da nimmt man mich seltsamerweise immer zu ernst. 
Mangelt es der Filmindustrie an Fantasie?
Malkovich
Ich weiß es nicht. Es ist nur so, dass bestimmte Filmauftritte, deretwegen man sich an mich erinnert, das Publikum eben auf den Geschmack kommen ließ. Und das waren nun einmal Werke wie „In the Line of Fire“ oder „Con Air“, also teurer Hollywood-Mainstream. Die kleinen Komödien, die ich in den 2000er-Jahren gemacht habe, etwa „Color Me Kubrick“ oder The Great Buck Howard“, wurden kaum wahrgenommen.   
Typecasting ist einfacher.
Malkovich
Stimmt. Und Erfolgsprojekte werden imitiert: Wenn etwas einmal funktioniert hat, machst du es am besten immer wieder genau so. Meine Schurkenrolle in „Con Air“ 1997 werden die meisten Leute viel lieber gesehen haben als neun Jahre später meinen Auftritt als Gustav Klimt. Für mich ist es aber exakt dieselbe Arbeit.  
Sie machen keinen Unterschied zwischen Blockbuster-Routine und Arthouse-Preziosen? Zwischen populistischem und elitärem Kino?
Malkovich
Nicht wirklich. Weil ich in Wahrheit nicht elitär bin. Ich habe kein bevorzugtes Genre. Wenn etwas, das ich im Kino tue, elitär oder herablassend erscheint, dann ist das sehr wahrscheinlich ein Missverständnis. Mir ist nämlich alles recht. Ich würde mit demselben Vergnügen, mit dem ich an einer Oper teilnehme, auch aus Kinderbüchern wie „Der Kater mit Hut“ vorlesen. 
Mit dem Regisseur Robert Rodriguez haben Sie 2015 einen Film namens „100 Years“ geschrieben und gedreht. Ist es wahr, dass er, seinem Titel entsprechend, erst im Jahr 2115 veröffentlicht werden soll?
Malkovich
Ja, das ist ein Kurzfilm, eine Art Werbespot für einen wertvollen Cognac; er heißt „Louis XIII“, hergestellt von der Firma Rémy Martin. Er braucht ein Jahrhundert, um zu reifen. Das Unternehmen kam mit einer filmischen Grundidee zu Robert und mir, die wir dann selbst weiterentwickelt haben. 
Das Ergebnis wird in einem Safe verwahrt und trägt den sinnigen Untertitel: „Der Film, den Sie niemals sehen werden“.
Malkovich
Allerdings. Erst in 92 Jahren darf der Safe geöffnet werden.
Wenn die Medizin nicht bald enorme Fortschritte macht, wird der Film uns beide vermutlich nicht mehr erreichen. 
Malkovich
Stimmt, da müsste einiges geschehen, was den Alterungsprozess betrifft. Aber ich weiß gegenwärtig ja nicht einmal, ob ich in 92 Tagen noch hier sein werde. 
Interessiert es Sie eigentlich im Vorfeld, welche Form ein Filmprojekt annehmen wird? „Seneca“ hätte auch ein verquerer Kunstfilm werden können, stattdessen wurde ein schlagkräftiges, bewusst provokantes Stück Entertainment daraus. 
Malkovich
Als ich das Drehbuch gelesen und mit dem Regisseur gesprochen hatte, war mir ziemlich klar, dass „Seneca“ ein schwieriger Film werden würde – und dass er eine bestimmte Perspektive und Ästhetik haben würde. Zudem kannte ich Robert Schwentke ja bereits. Aber klar, man könnte diesen Stoff auch auf unzählige andere Weisen bearbeiten; man hätte ein todernstes Historienspektakel über die Ermordung Senecas machen können. Oder eine stark erotisierte Variante, mit prickelnden Nacktszenen.
Es liegt nicht in Ihren Händen. Dabei wären Sie durchaus in der Position, die Richtung, die ein Film nehmen soll, mitzubestimmen. Sie bringen Jahrzehnte Erfahrung mit ein, und Sie haben selbst Drehbücher geschrieben und Regie geführt. Aber Sie sehen sich bloß als darstellender Helfer, wollen gar nicht eingreifen?
Malkovich
Ich bin nur eine Figur in den Träumen der anderen. Ich assistiere, wenn es nötig oder erwünscht ist; Michael Sturminger und ich arbeiteten mehrmals zusammen, wir ergänzen uns hervorragend in unseren Ansichten und Gewohnheiten. Er macht Dinge, die ich nicht kann, und ich trage etwas bei, das er nicht könnte. So erzielen wir etwas Eigenes, ganz Neues. Aber jeder Mensch, der Regie führt, ist anders. Ich habe Filme gemacht, deren Drehbücher ich komplett selbst verfasst hatte, und andere, in denen ich kein Wort sage. Und ich bin in Filmen aufgetreten, in denen ich bloß ausgeführt habe, was die Regie von mir wollte. 
Sie ordnen sich gerne unter?
Malkovich
Inszenieren ist wirklich hart. Einen Film zu machen, das ist ein gewaltiges Unterfangen. Die meisten Leute kämen da niemals durch, hätten nie den Mumm, die nötige Entschlossenheit und Unnachgiebigkeit dazu, auch wenn sie davon träumen mögen. Sie würden, wenn sie es einmal versuchten, schmerzhaft erleben, wie ihr Traum sich in Asche verwandelt. Insofern habe ich jede Menge Empathie für Leute, die Regie führen. Wenn ich helfen kann, tue ich das – und wenn es hilft, dass ich die Schnauze halte, bin ich auch dazu gern bereit.
Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.