Jonathan Safran Foer: "Der wichtigste Krieg unseres Lebens"
Kein Tag ohne Hiobsbotschaft. Hurrikan Sandy und Wirbelsturm Dorian verwüsten Städte; in Sibirien und Brasilien brennen Millionen Hektar Wald. „Es ist ja nur Wetter“, flachst Jonathan Safran Foer in seinem neuen Bestseller „Wir sind das Klima!“ – und erteilt eine Lektion: Als vor 250 Millionen Jahren Vulkane endlos CO2 in die Erdatmosphäre pumpten, habe sich zuletzt das „große Sterben“ ereignet: Die Weltmeere erwärmten sich, das Leben im Wasser und an Land sei fast ausgelöscht worden.
Klima-Apokalypse jetzt
2015 einigten sich die UN-Mitgliedsstaaten darauf, den globalen Temperaturanstieg auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. Die Ziele des Pariser Abkommens, so ist immer öfter zu lesen, seien illusorisch, der Untergang der Menschheit sei nicht mehr aufzuhalten. Der Essay „Die unbewohnbare Erde“ des Journalisten David Wallace-Wells aus dem Jahr 2017 ist der meistgelesene Artikel in der Geschichte des „New York Magazine“. Starautor Jonathan Franzen formulierte im Wochenmagazin „The New Yorker“ die These, der Kampf gegen die Klimakrise sei nur so lange sinnvoll gewesen, wie dieser hätte gewonnen werden können. Der Blick auf den taumelnden Erdball lehre, dass nun alle Ressourcen für die anstehenden Überflutungen, Brände, Massenfluchten verwendet werden sollten. Klima-Apokalypse jetzt. Es sind Zeiten, die zu Resignation und Rückzug einladen.
„Wir sind das Klima!“ hält dagegen: „Ist radikaler Wandel gefragt, behaupten viele, man könne ihn als Einzelner ja sowieso nicht herbeiführen, brauche es also gar nicht erst zu versuchen. Das genaue Gegenteil trifft zu: Die Ohnmacht des Einzelnen ist der Grund, aus dem alle es versuchen müssen.“ Diese Botschaft verkündet Foer derzeit auf allen Kanälen.
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Im Fernsehen und auf Fotos wirkt Foer noch immer wie eine fleischgewordene Bart-Simpson-Figur – das ewig unberechenbare Wunderkind der US-Literatur. Menschen, die Foer gut kennen, erinnern sich an den Newcomer, der bei seiner allerersten Lesung frankierte Briefumschläge verteilte, auf die er zuvor seine New Yorker Wohnadresse geschrieben hatte: Nach Vorstellung seines Debüts „Alles ist erleuchtet“ (2002) forderte Foer das Publikum schüchtern dazu auf, ihm postalisch Lob und Tadel zu übermitteln.
Kurz zuvor hatte Joyce Carol Oates ihn in einem Schreibkurs an der Universität Princeton entdeckt. Bereits 2005 folgte „Extrem laut und unglaublich nah“, ein Roman über den 11. September. Mit nicht einmal 30 heiratete Foer die Schriftstellerin Nicole Krauss und kaufte mit ihr für rund sechs Millionen Dollar ein Haus in Brooklyn in der Nähe des Prospect Park. Bis zu ihrer Scheidung 2014 gaben Foer und Krauss das Brooklyner Traumpaar. 2016 erschien Foers Roman „Hier bin ich“, die Geschichte vom Auseinanderbrechen einer Ehe.
Weltbestseller "Tiere essen"
Foer stammt aus bester New Yorker Familie. Sein älterer Bruder Franklin ist Autor der Zeitschrift „The Atlantic“; Joshua, 36, der jüngste der Geschwister, landete 2011 mit „Alles im Kopf behalten“ einen Sachbuchhit – wie Bruder Jonathan, dessen erstes Non-Fiction-Buch „Tiere essen“ 2009 zum Weltbestseller avanciert war. Es soll nicht wenige Menschen geben, die nach Lektüre von „Tiere essen“ zu Vegetariern oder Veganern wurden; das Cover des Buchs tragen einige sogar als Tattoo auf der Haut.
In „Wir sind das Klima!“ liefert Foer das Porträt des Künstlers als 42-jähriger Mann: „Vater, Sohn, Amerikaner, New Yorker, Progressiver, Jude, Schriftsteller, Umweltschützer, Reisender, Genussmensch.“ Seine Wohnadresse hält er inzwischen allerdings unter Verschluss.
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Helga Kromp-Kolb, 70, Österreichs bekannteste Klimaforscherin, ist mit Rucksack und in roter Allwetterjacke für einen Vortrag auf dem Weg nach Kremsmünster. Die emeritierte Universitätsprofessorin warnt seit Jahrzehnten vor den Auswirkungen des Klimawandels. Erst in den vergangenen Jahren hat sie verstärkt Gehör gefunden. Kromp-Kolb sagt: „Es gibt eine wahrscheinliche Zukunft, die woanders liegt als die wünschenswerte. Wir müssen inzwischen sogar von einer plausiblen Zukunft sprechen, die durchaus auch in der Katastrophe enden kann. Das Grundvertrauen, dass wir Menschen es schaffen werden, habe ich längst verloren. Auch wenn wir davon ausgehen, dass wir die 1,5 Grad einhalten werden, wäre das alles andere als eine heile Welt: Städte in Küstennähe werden wegen des Meeresspiegelanstieges unbewohnbar sein. Ernteerträge werden einbrechen, was zu dramatischen Verteilungskämpfen führen wird.“ Schuld an der Katastrophe sind immer die anderen. „Wenn alle auf die Klimawandelleugner deuten, muss man sich weniger Gedanken um den SUV in der eigenen Garage, den Rasenmäher-Roboter im Dauerbetrieb und den Langstreckenflug ins Urlaubsparadies machen.“
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Foer zeichnet in „Wir sind das Klima!“ ein Bild unseres Planeten als schlingerndes Flugobjekt, das jede Sekunde zerschellen könnte. Den dräuenden Weltuntergang orchestriert er in einer Melange aus Endzeitstimmung und Schwarzseherei: Der Klimawandel, jener „Tumor, den man entfernen muss, bevor er Metastasen bildet“, sei der „wichtigste Krieg unseres Lebens“, der „Kampf um unsere Art zu leben und das Leben selbst“. 100 Milliarden Menschen hätten auf dem Planeten bereits gelebt: „Wir zwingen ihn endgültig in die Knie.“ Foer schreibt: „Der Klimawandel ist kein Puzzle auf dem Wohnzimmertisch, mit dem man sich beschäftigen kann, wann immer einem grade danach ist. Er ist ein brennendes Haus.“ Er zitiert den Schriftsteller Roy Scranton: „Wenn Sie den Planeten wirklich retten wollen, sollten Sie sterben.“
Appell an alle
Dennoch ergeht sich Foer nicht in wohlfeilem Defätismus als bequeme Ausrede für sein überschaubares Engagement. Er überlässt die Klimakrise, weltweit ein fruchtbares Terrain für Populisten aller Couleur, nicht der Politik, sondern richtet einen Appell an alle (und vor allem an sich selbst): „Der Klimawandel ist die größte Krise, der die Menschheit jemals gegenüberstand, eine Krise, die wir nur gemeinsam angehen können und die jeden von uns ganz allein betrifft.“
Er schlägt als Sofortmaßnahmen vor: „Pflanzlich ernähren, Flugreisen vermeiden, auf ein Auto verzichten, weniger Kinder kriegen.“ Foer verpasst dem Buch ohne Not einen Untertitel wie aus der Perlen-Reihe, der seine redlichen Bemühungen grob konterkariert: „Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können“.
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Die Klimaforscherin Kromp-Kolb sagt: „Wir dürfen nicht mehr zögern. Wir müssen Flugreisen vermeiden, uns stärker vegetarisch ernähren, unseren Fleischkonsum reduzieren. Ständig wird uns eingeredet, ein Auto bedeute große Freiheit und Fleisch sei gesund und notwendig, ein Zeichen von Wohlstand. Autofahren ist per se aber kein Gewinn, genauso wie jeder Arzt weiß, dass übertriebener Fleischgenuss ungesund ist. Es heißt, die Zahl der Menschen sei das Problem. Reflexhaft denken viele, das betreffe nur Länder mit hohen Geburtenraten. Das Gegenteil ist der Fall: Bangladesch oder Vietnam haben pro Person einen viel kleineren ökologischen Fußabdruck als wir. In Summe leben zu viele Menschen auf der Erde. Die Berechnungen gehen von elf Milliarden Ende dieses Jahrhundert aus. Das trägt der Planet bei unseren Ansprüchen nicht. Die heimische Politik redet uns derweil ein, wir bräuchten mehr Kindersegen, um unser Pensionssystem zu erhalten – doch damit bringen wir die Welt um. Ohne grundlegenden System- und Kulturwandel wird es nicht gehen. Das ist aber kein Grund, nicht gleich etwas zu unternehmen. Wenn mein Haus brennt, fange ich an mit Kübeln zu löschen – und warte nicht, bis die Feuerwehr daherrast.“
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„Wir sind das Klima!“ wirkt oft wie eine Wunderkammer voller mit viel symbolischer Bedeutung aufgeladener Werkzeuge, mit denen Foer seinen Aufruf von der Einmaligkeit und Dringlichkeit des Klimawandels stützt: Er zitiert aus dem ältesten bekannten Abschiedsbrief vor einem Selbstmord, streift en passant die erste Autopsie der Weltgeschichte (Cäsar; 23 Dolchstöße) und landet bei Claudette Colvin, die sich 1955 als erste schwarze Amerikanerin in einem Bus in Montgomery, Alabama, weigerte, ihren Platz einem Weißen zu überlassen – neun Monate vor der weitaus bekannteren Bürgerrechtlerin Rosa Parks. Tenor: Kämpfen lohnt sich immer, auch wenn man nicht in die Schlagzeilen gerät.
Die Erfindung der Brille um 1290 (Stichwort: schau genau!) wird ebenso erwähnt wie der letzte bemannte Mondflug der Apollo 17, bei dem das berühmte Foto der Erde als „Blaue Murmel“ entstand – und das Foer als hübsches Paradoxon dient: Um den Globus als schützenswerten Heimathafen wieder schätzen zu können, muss man sich zuerst im Weltall verlieren.
Der Klimawandel ist die größte Krise, der die Menschheit jemals gegenüberstand.
Von nervtötender Beharrlichkeit ist Foers Parallelschwung von Klimawandel und Krieg. Die globale Wetterkrise nimmt jeden Einzelnen in die Pflicht – gerade so wie 1941, als nach dem Angriff auf Pearl Harbor Zehntausende Amerikaner schnurstracks in die Rekrutierungsbüros marschierten. Foers Großmutter floh in demselben Jahr in letzter Sekunde vor den Nazis aus ihrem polnischen Dorf. „Fragte man, wieso sie ging, sagte sie nur: ,Ich hatte das Gefühl, etwas tun zu müssen.‘“ Das Unfassbare der Judenverfolgung und -vernichtung bringt Foer mit allzu leichter Hand in direkte Gedankenverbindung zum Umweltdesaster der Gegenwart. Er verzichtet darauf, die einzelnen Argumentationsstränge zu entwirren, wodurch zuweilen der Eindruck eines ungezügelten Alarmismus entsteht: Klimakatastrophe ist Holocaust ist Weltkrieg gegen die Welt. Die Beflissenheit, mit der das Buch auf sein Lesepublikum einhämmert, mündet nicht selten in eine unschöne Mischung aus erhellenden Argumenten und verstiegener Besserwisserei, aus wertvoller Kleine-Schritte-Strategie gegen den Klimawandel und Bausch-und-Bogen-Pathos. Der jüdische Intellektuelle Foer geriert sich manchmal päpstlicher, als der Papst erlaubt: „Am 6. Juni 1944 [bei der Landung der Alliierten, Anm.] in der Normandie ein guter Mensch zu sein, ist nicht dasselbe, wie 2019 in einem Supermarkt ein guter Mensch zu sein. Das Warschauer Ghetto erforderte etwas anderes als Hurrikan Sandy.“
Foers ganz eigener Kampf findet irgendwo in Brooklyn, hinter den Mauern seines millionenteuren Hauses statt. Verlockend verströmt der Burger bei Familie Foer den Geruch zart gebratenen Fleisches – das Sträuben gegen den ersten Bissen beschreibt der Autor so plastisch wie heldenhaft: Der Klimaschutz Nordamerikas dürfte im Vergleich zu Foers Burger-Heißhunger ein Klacks sein. Mit Todesverachtung blickt er seiner „eigenen Scheinheiligkeit“ ins Auge. „Waschlappen“ nennt er sich an anderer Stelle. Die große Bühne in Sachen Klimaschutz hat Foer für sich selbst reserviert. Greta Thunberg erwähnt er mit keinem Wort.
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Katharina Rogenhofer, 25, schüttelt in einem Lokal nahe der Wiener Innenstadt sanft den Kopf. „Greta ist ungeheuer wichtig“, sagt die Obfrau des Klimavolksbegehrens. Im Dezember 2018 traf die Wienerin auf der UN-Klimakonferenz im polnischen Katowice die damals 15-Jährige, die sich mit einem Schild auf die Straße setzte: „Skolstrejk för klimatet“. Rogenhofer sagt: „Greta war gewissermaßen das zündende Element für eine weltumspannende Bewegung. Durch sie wurde die Problematik fast schon mittels paradoxer Intervention greifbar: Eine Jugendliche weiß besser um die virulente Bedrohung unserer Welt Bescheid als die Erwachsenen an den Schalthebeln. Greta forderte von Beginn an: Hey, Kinder, steht auf, gemeinsam müssen wir Druck machen! Seid politisch! Geht auf die Straße! Schließen wir uns zusammen, damit die Entscheidungsträger endlich in unserem Sinn handeln! Wir sind nicht allein! Diese Botschaft übersteigt die Umweltschutzhinweise, kein Wasser zu verschwenden und im Winter die Heizung runterzudrehen. Gemeinsam können wir viel größere Hebel als jeder Einzelne von uns betätigen! Es besteht nach wie vor eine gewaltige Dissonanz zwischen der Größe des Problems und den angebotenen Lösungen. Klar, man kann auf Plastiksäcke verzichten, es ist wichtig, weniger Fleisch zu essen, sein Konsumverhalten zu ändern. Eine alleinerziehende Mutter auf dem Land hat aber andere Sorgen als die Frage, ob sie mit jeder Autofahrt Schuld auf sich lädt. Die Politik muss endlich Verantwortung übernehmen, der Klimaschutz politisch und allen ermöglicht werden.“
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Foer würde sein Ziel auch ohne seine kolossalen Übertreibungen erreichen. Nach der Lektüre von „Wir sind das Klima!“ lässt man sein Fahrzeug ohnehin freiwillig stehen und wählt auf Speisekarten das fleischlose Menü.