WAHLWIENER: Der gebürtige Peruaner Flórez, 46, wird an der Staatsoper wohl zum Stammgast werden.

Wie Juan Diego Flórez zum besten Tenor der Welt wurde

Er beherrscht alle großen Rollen - und auch vor Schlagern schreckt er nicht zurück: Juan Diego Flórez ist der virtuoseste Tenor der Gegenwart.

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Wer und wo sind sie, die besten Tenöre der Welt? Wenige kommen für diesen Titel noch infrage. In Zeiten der rapide sinkenden Bedeutung großer Plattenlabels ist es zudem schwierig geworden, Rückendeckung für kontinuierliche Aufbauarbeit zu erhalten.

Plácido Domingo, mindestens 78 (erst in den 1990er-Jahren scheint sein Geburtsjahr mit 1941 endgültig festgelegt worden zu sein), gehört der Top-Liga schon lange nicht mehr an, schließlich singt (oder besser: bellt) er inzwischen als Bariton. Jonas Kaufmann, das deutsche Schwergewicht mit dem Herzensbrecher- Look, hat seinen Höhepunkt mit 49 Jahren womöglich bereits überschritten. Seine Stimme wird gaumiger, er hat viele Auszeiten hinter sich; sein Privatleben scheint ihm inzwischen wichtiger zu sein. Bleibt eigentlich nur noch einer: Juan Diego Flórez, der am 9. Februar neben Olga Peretyatko in der "Lucia di Lammermoor"-Premiere neuerlich auf der Wiener Staatsopernbühne stehen wird. Dieses Haus, so der Plan, soll in der Ära Bogdan Roščić ab 2020 sein wichtigstes werden.

Flórez, Peruaner mit deutscher Frau und Wohnsitzen in Wien und Pesaro, mit Plattenverträgen erst bei Decca, dann bei Sony, ist inzwischen 46. Seit er bei den Rossini-Festspielen in Pesaro, einem Belcanto-Mekka, 1996 als Einspringer seinen Durchbruch erlebte, hat er sich prächtig entwickelt. Anfänglich darstellerisch noch etwas steif, aber bereits mit betörendem Timbre, wuchs er langsam, aber vehement zum Tenor der Extraklasse heran. Von seinem einst ebenfalls Tenor singenden und im Rossini-Fach brillierenden Landsmann Ernesto Palacio gecoacht und als Agent betreut, davor in Philadelphia am Curtis Institute ausgebildet (wo er mit der Geigerin Hilary Hahn gern Tango tanzte), singt Juan Diego Flórez stilistisch feinfühlig, mit makelloser Technik und bis heute leichten, freilich metallisch gewordenen Höhen. Nie gab es eine Krise, ein Mal nur ein etwas verfrühtes Rollendebüt im schwereren Fach, als Duca di Mantova in einem Dresdner "Rigoletto".

"Ära der gebrochenen, vielschichtigen Charaktere begonnen"

Aber längst ist er vokal in die Partie hineingewachsen, obwohl sie nicht zu seinen bevorzugten gehört. "Ich spiele lieber sympathische Charaktere", erklärt der ungemein selbstkritische, sich oft mittels Privatmitschnitten seiner Aufführungen selbst überwachende und analysierende Künstler im profil-Gespräch. "Andererseits finde ich es schon faszinierend, dass nach der Zeit der Prinzen nun die Ära der gebrochenen, vielschichtigen Charaktere für mich begonnen hat." Und damit liegt er instinktsicher richtig. Filmhelden bleiben ewig jung, das liegt in der Natur des Materials. Bühnendarsteller altern, während jede ihrer Rollen aber nur eine einzige Jahreszahl kennt. Bei Sängern wird zudem die Stimme schwächer und wackliger. Ein 60-jähriger, frisch entflammter Tenor-Liebhaber mit Perücke und roten Schminkbäckchen an der Seite eines Soubretten-Models wäre im Typecasting-Zeitalter, das auch an den Opernhäusern angebrochen ist, ein Besetzungswitz.

Juan Diego Flórez ist jetzt in seinen besten Jahren. Und er hat klug und früh vorgebaut. Er weiß natürlich, dass für den leichten, höhentrittsicheren tenore di grazia, als dessen bester, virtuosester und feinsinnigster Vertreter er gegenwärtig gilt, die Stunde schlagen wird, dass seine Uhr für die Rossini-Jünglinge und Bellini-Knaben allmählich abläuft.

Manche Rolle aus früheren Jahren (wie den "Cenerentola"-Ramiro) hat er abgelegt, die Galerie der möglichen Rossini-Partien ist so gut wie abgeschritten. Im vergangenen Pesaro-Sommer kam als hinreißende Stilübung noch die männliche Hauptrolle in "Ricciardo e Zoraide" hinzu; aktuell beschränkt er sich auf den "Barbiere"-Grafen, und in der nächsten Spielzeit wird er als "Tell" in Wien wiederaufgenommen, ebenfalls an der Seite Peretyatkos. Der Graf Ory aus der gleichnamigen komischen Oper sei ebenfalls wieder auf der Wunschliste, sagt er, möglicherweise in einer Neuinszenierung.

Gespür für stilisierte Folklore

Flórez kümmert sich aber nicht nur um seine Karriere, er übernimmt auch gesellschaftliche Verantwortung, hat etwa eine Stiftung für Musikerziehung in seinem Heimatland gegründet. Seine "Sinfonía por el Perú" betreut 8000 Kinder, das Jugendorchester wird bald in der New Yorker Carnegie Hall auftreten. Er bemüht sich zudem um junge Sänger, er unterrichtet und coacht. In seiner Jugend sang Flórez in Peru übrigens auch Schlager. Und wie alle großen Tenöre vor ihm serviert er geschmackssicher Italo-Schmusesongs wie "O sole mio" oder "Arrivederci Roma" und bedient damit die Mittelmeernostalgie seiner Fans. Auf seinem jüngsten Album ("Besame Mucho") verweist der Peruaner auf seine lateinamerikanischen Wurzeln. Er tut dies, ohne seine klassische Herkunft zu verleugnen, mit zielsicherem Gespür für die stilisierte Folklore. Und er glänzt mit immer noch einzigartig farbigen Spitzentönen.

Doch auch in seinen Opernauftritten erweist er sich mittlerweile als männlichmarkig, zeigt, dass dieser Tenor überzeugend zu neuen Rollenufern aufgebrochen ist. Vor allem Mozart-Rollen und das französische Repertoire werden für diesen exzeptionellen Tenor wichtiger. Bizets Nadir aus den "Perlenfischern" hat er in sein Repertoire aufgenommen, dazu Gounods Roméo, den er (wie früher fast alle seine Rollendebüts) im heimatlichen Lima absolvierte. Gounods Faust wird demnächst folgen. Von Massenet steht im April in Paris konzertant der Des Grieux in "Manon" an, den er anschließend im Juni in Wien szenisch ausprobieren wird. Glucks Orpheus in seiner unangenehm hoch liegenden Tenorfassung wagen live nur sehr wenige zu singen. Für Flórez ist sie hingegen eine gute Möglichkeit, sich zur Abwechslung auch in der Frühklassik zu erproben, mit heldischeren Tönen, aber kleinem Orchester. Auch bei Donizetti hat er zu den schwereren Helden Zugang gefunden -zu Gennaro in "Lucrezia Borgia" oder eben zum Edgardo in "Lucia di Lammermoor".

Am liebsten übt er im Badezimmer seines Hauses in Pesaro: "Da höre ich mich am besten, der Hall ist perfekt. Und es ist gut nach oben hin isoliert, sodass die Kinder Ruhe vor ihrem Vater haben.