Gute Nachrichten für Verräter: Judas war gar nicht so
Religiöse Nachrichten haben selten News-Wert. Der ORF etwa vermeldet traditionell jedes Jahr am Ostersonntag, dass der Papst den Segen Urbi et orbi gespendet hat. Jedes Jahr kriegt der Nahe Osten dabei traditionell seinen Friedenswunsch ab. Und ebenso traditionell hält er sich jedes Jahr nicht daran. So ist Ostern, Teletext Seite 101 wird das gern bezeugen.
An heiligen Ritualen soll man nichts ändern, es reicht, dass Papst Franziskus jetzt einen Instagram-Account hat (@franciscus). Vielleicht sollten wir beim Eierpecken kurz darüber nachdenken, was es bedeutet, wenn Kim Kardashian als "Ikone" gilt, während der Heilige Vater Selfies postet. Aber wirklich nur ganz kurz.
Danach wollen wir unsere Aufmerksamkeit dem Mann widmen, ohne den es keine Kreuzigung gegeben hätte, somit auch keine Auferstehung, keine Erlösung und in weiterer Folge keinen Osterverkehr: Judas.
Judas Ischariot ist in dieser Hinsicht Donald Trumps Vorläufer in den Jahren 33 bis 2015 n. Chr
Der zwölfte Apostel wird selten erwähnt, obwohl ohne ihn und seinen Verrat an Jesus Christus das gesamte Neue Testament dramaturgisch keinen Sinn ergäbe. Nick Baines, der Bischof von Leeds, sagte anlässlich der bevorstehenden Ausstrahlung der BBC-Dokumentation "In den Fußstapfen von Judas", ihm tue der verlorene Apostel leid, weil er in den vergangenen 2000 Jahren eine "schlechte Presse" gehabt habe. Das kann man sagen. Judas Ischariot ist in dieser Hinsicht Donald Trumps Vorläufer in den Jahren 33 bis 2015 n. Chr.
Seit zwei Millennien ist die Kirche so sehr damit beschäftigt, Judas als den schlimmsten Bösewicht hinzustellen, dass man völlig darauf vergessen hat zu fragen, was in dem Mann eigentlich vorgegangen war. Denn zunächst war er offensichtlich ein guter Apostel wie die elf anderen auch. "Sie trieben viele Dämonen aus und salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie", wird der apostolische Alltag im Markus-Evangelium beschrieben. Judas soll also einem Religionsgründer, zu dessen engstem Kreis er gehört hatte, blind gefolgt sein, um ihn dann laut Matthäus-Evangelium für 30 Silberlinge an die Henker der Tempelpriester auszuliefern?
Der Evangelist Lukas weiß sich nicht anders zu helfen, als Satan in die Geschichte einzuführen, der von Judas Besitz ergriffen habe. Dies würde jedoch bedeuten, dass Judas höchstwahrscheinlich frei von Schuld im strafrechtlichen Sinne ist. Als er Jesus beim Letzten Abendmahl küsste und dadurch verriet, war er gewissermaßen willenlos; er wusste nicht, warum er es tat. So etwas ist doch jedem schon passiert.
Es brauchte einen bösen Menschen, den die Guten bis in alle Ewigkeit verachten können
Warum brauchte die Lebensgeschichte Jesu überhaupt einen Schurken, der ihn verriet? In einer Welt, in der es vor Wundern nur so wimmelt und in der Dornbüsche den Deus ex machina geben, hätten die Häscher einer Eingebung oder Schlange folgend auch einfach so zur Tür hereinkommen können. Stattdessen musste Judas ran. Die Heilige Schrift hatte es längst so bestimmt, noch ehe er den Akt setzen konnte. Hätte Judas nach Jesu Schuldzuweisung ("Einer von euch wird mich verraten") einfach weitergegessen, was hätte da Vinci dann gemalt? Ein "Abendmahl ohne besondere Vorkommnisse"?
Nein, es brauchte einen bösen Menschen, den die Guten bis in alle Ewigkeit verachten können. Da blieb dann auch keine Zeit für Vergebung. Judas musste sich je nach Evangelium erhängen oder bei einem scheußlichen Unfall zu Tode kommen.
Doch die Verachtung macht es nur noch deutlicher: Judas war der wichtigste Apostel. Ohne Jakobus oder Philippus hätte die Geschichte immer noch geklappt, Judas hingegen war unverzichtbar, weil zentral für den Schluss.
Judas, es war nicht okay, aber einer musste den Job machen
Eine weitere Interpretation gibt Judas seine Selbstbestimmung zurück: Demnach sei er ein Aufständischer gewesen, der aus Enttäuschung darüber gehandelt habe, dass der Messias eher wolkig ein Himmelreich in Aussicht gestellt hatte, anstatt eine ordentliche Rebellion gegen die Römer anzuzetteln. Judas wäre also eher eine Art zorniger Bernie Sanders, dem sein Anführer (in Sanders’ Fall: die Anführerin) als Revolutionär(in) zu lasch war. Alle Genannten dürfen gegen diesen Vergleich Protest einlegen.
Kate Bottley ist Vikarin der Anglikanischen Kirche und gemessen an ihrer Berufswahl eine moderne Frau. Sie tritt in einer TV-Serie auf und schreibt für den "Guardian" über Themen wie "Ist Gott eine Frau?" (laut ihrer Einschätzung: jein). In der Judas-Frage meint sie, der Unglückselige sei eine "tragische Figur" und als solche "ein Spiegel für das Menschsein". Schließlich sagt sie in der BBC-Doku: "Was Judas getan hat, ist nicht okay."
Nicht "okay"? Das ist bestimmt die freundlichste Qualifizierung seiner Tat, die Judas seit dem Gründonnerstag vor nicht ganz 2000 Jahren gehört hat.
Vielleicht ist auch die katholische Kirche jetzt so weit, ihr Verhältnis zu Judas neu zu definieren, und wer wäre besser geeignet als Papst Franziskus, der Versöhnliche, um am Ostersonntag zu sagen: "Judas, es war nicht okay, aber einer musste den Job machen." Urbi et orbi würden Augen machen.