Man muss seine eigene Yoko Ono sein

Judith Holofernes: Was ich vom Leben gelernt habe

Judith Holofernes: Was ich vom Leben gelernt habe

Drucken

Schriftgröße

Man muss seine eigene Yoko Ono sein. Es war nicht einfach, nach so einer erfolgreichen Band, die man selbst so geliebt hat, etwas Neues zu starten. Dafür muss man schon tapfer sein. Wir haben fünf Jahre an Wir sind Helden festgehalten – andere hätten die Band schon viel früher aufgegeben. Man möchte ja nicht der Pausenclown des eigenen Lebens werden.

Erwartungen stelle ich nur noch an mich selbst. Das schwierige zweite Album habe ich schon mit Wir sind Helden abgehakt. Nach dem Erfolg von „Die Reklamation“ war es wirklich unanständig aufregend. Heute zählten für mich musikalisch vor allem zwei Dinge: Spielfreude und Freiheit.

Im Leben muss man sich Pausen gönnen. Nach Wir sind Helden wollte ich zuerst gar nichts machen, nur Gedichte schreiben. Irgendwie hat sich dann wieder die Musik nach vorne gedrängt. Das Album ist mir im Nachhinein zu schnell passiert. Ich wollte noch nicht wieder draußen in der Welt sein, mich präsentieren und Interviews geben.

Alles hat seine Zeit. Das erste Album war schön zerzaust, klein und schrabbelig – und in gewisser Weise ein Befreiungsschlag nach der aufregenden Zeit mit Wir sind Helden. Für das neue Album, das mein Mann (Helden-Schlagzeuger Pola Roy, Anm.) produziert hat, habe ich mir mehr Schönheit und Tiefe gewünscht. Das hört man der Produktion natürlich an.

Im Leben muss man vertrauen können. Man muss lernen, sich höheren Mächten hinzugeben und anzuvertrauen. Kunst heißt für mich, dass man für das bereitsteht, was einem das Universum anbietet – auch wenn das jetzt esoterisch klingt. Viele Dinge kann man ja nicht beeinflussen, die passieren einfach.

Man muss für sich selbst gerade stehen. Ich habe auch die Tendenz, gerne in der Gruppe zu verschwinden. Natürlich fehlt mir das Bandgefüge. Das ist ja ein Schutzraum. Heute gibt es keine Ausreden mehr. Ich bin in musikalischen Belangen nur noch mir selbst gegenüber verantwortlich. Ich kann Haken schlagen, das tut mir gut.

Im Leben braucht man Fluchtphantasien. Ich wollte mich in die Schriftstellerei flüchten. Das habe ich mir wunderbar vorgestellt: Einmal vier Jahre in meinem Zimmer sitzen und an einem Buch schreiben. Ein bisschen hat sich das durch meinen Gedichtband bestätigt. Im Vergleich zu meiner neuen Platte war die Arbeit richtig entspannend.

Ein gewisser Druck gehört zum Musikmachen dazu. Nur weil ich jetzt meine eigene Plattenfirma bin, heißt das nicht, dass ich das Projekt gegen die Wand fahren möchte. Ich möchte ja Videos drehen und habe sechs Musiker mit auf Tournee. Vielleicht hört das neue Album auch jemand, das würde mich freuen.

Heute zählt nur meine eigene Definition von Erfolg. Ich will tolle Musik mit tollen Menschen machen. Für mich ist „Ich bin das Chaos“ schon vor dem Erscheinungstermin erfolgreich, weil ich sie mit dem genialen färöischen Musiker Teitur Lassen machen konnte. Einer Plattenfirma kann man das schwer erklären.

Das Songschreiben macht mich glücklich. Ich habe zusammen mit Teitur auch einige englischsprachige Songs geschrieben, die noch nicht veröffentlicht wurden. Keine Ahnung, was mit dem Material passieren wird. Es würde mir gefallen, wenn jemand anders damit spazieren gehen würde.

Man muss sich von selbstauferlegten Verboten lösen. Ich habe über die Jahre so viele Songs nicht geschrieben, weil ich mir gesagt habe: Du machst ja keine englischsprachigen Lieder. Auch heute noch übersetze ich Texte vom Englischen ins Deutsche. Es gibt da einen Fundus von zirka 50 ungeborenen Songfragmenten, die noch irgendwo herumschwirren.

Das Politische findet man im Philosophischen. In der Musik will ich an die Wurzeln des menschlichen Verhaltens gehen. Wenn ich mir die Beweggründe unseres Handelns ansehe, hervorgerufen durch paradoxe Sicherheitsbedürfnisse, durch Angst, ist man sehr schnell an einem Punkt angekommen, der Menschen dazu veranlasst, die AfD zu wählen, Versicherungen abzuschließen oder in Kriege zu ziehen. Das finde ich sehr politisch.

Das Chaos muss man akzeptieren. Der Song „Ich bin das Chaos“ ist eine Liebeserklärung an einen Umstand, der nicht zu beseitigen ist. Ich finde es lustig, wie viel Lebensenergie wir dabei verschwenden. Ich wollte selber in die Rolle des Verführers schlüpfen. Das ist mein persönliches „Sympathy for the Devil“.

Man darf sich den Optimismus nicht zerstören lassen. Meinen Nachrichtenkonsum schaue ich mir genau an, sortiere aus. Es gibt Tage, da lese ich gar keine Nachrichten. Lieber mal spazieren gehen, tanzen, Musik machen – und morgens ein Gedicht statt Zeitung lesen.

Judith Holofernes gastiert mit Band am 17.3. in der Szene Wien.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Von 2009 bis 2024 Redakteur bei profil.