K-Records-Gründer Calvin Johnson: „Ich fühle mich nicht einsam“
Über Calvin Johnson gibt es viel zu erzählen. Sein 1982 in Olympia, Washington gegründetes Label K Records prägte die unabhängige Musiklandschaft der USA nachhaltig und begleitete viele Bands und Musikschaffende (Bikini Kill, Built to Spill, Kurt Cobain) früh auf ihrem Weg. Beat Happening, eines der vielen Musikprojekte des 54-Jährigen, galt und gilt vielen als Inspiration bei der Gründung ihrer eigenen Bands. Das Trio, bestehend aus Calvin Johnson, Heather Lewis und Bret Lunsford, legte wenig Wert auf technische Perfektion, wechselte seine Instrumente nach Belieben und entzog sich der oftmals machohaften Punkrock-Kultur durch Wortwitz, Kreativität und einen Schuß Gleichgültigkeit. Seit einigen Jahren und weiteren Projekten wie The Halo Benders mit Built to Spill-Sänger Doug Martsch spielt Johnson die meisten Konzerte alleine unter seinem eigenen Namen. Im August veröffentlichte er unter dem Projektnamen "Selector Dub Narcotic" ein neues Album mit dem Titel "This Party Is Just Getting Started".
Am Weg entscheiden
Ich habe Johnson vergangenes Jahr im Moe in Wien das erste Mal live gesehen: Johnson mit Akustikgitarre, kleiner Boombox, einer Handvoll Lieder, drei Dutzend Zusehern, Tanzen, vielen Handbewegungen und einem dankbaren Publikum. Anfang November war der 54-Jährige wieder für ein Konzert im Celeste in Wien und ich mir zunächst nicht sicher, über was ich mit ihm reden möchte. Ich schätze seine Musik, höre aber keine Beat-Happening-Platten, wenn ich Sonntag morgens Kaffee trinke oder mit dem Rad in die Arbeit fahre. Über den Einfluß seines Labels gibt es Bücher, und über die Schwierigkeit, ein Do-it-Yourself-Label im modernen Musikgeschäft zu führen und die harsche Kritik einiger Künstler auf K Records an ausbleibenden Zahlungen wurde in letzter Zeit regelmäßig geschrieben (siehe hier).
Am Weg in das Celeste entscheide ich mich einfach, mit Johnson über das zu reden, was mich gerade beschäftigt: Wie man Entscheidungen trifft mit dem Wissen, dass Menschen dabei verletzt werden und wie man damit umgeht, wenn man etwas bereut. Johnson, der in 35 Jahren Musikmachen und Labelarbeit ohne Zweifel viele Entscheidungen getroffen hat, kann mir sicherlich etwas dazu erzählen, denke ich mir. Am Ende des 20-minütigen Gesprächs bin ich zwar nicht weiser geworden, aber gut unterhalten haben wir uns trotzdem. Also Calvin Johnson, wie trifft man Entscheidungen?
profil: Woher hast du das rosa Hemd, das du auf dem Cover deines neuen Albums trägst? Calvin Johnson: Das habe ich in einem Kleidergeschäft irgendwo in den USA gekauft.
profil: Du hast in deinem Leben schon viel erlebt und sicherlich auch viele Entscheidungen getroffen. Warst du schon jemals in der Situation, dass dir zwei Menschen oder zwei Bands gleich wichtig waren, du dich am Ende aber für eine entscheiden musstest? Johnson: Ja, das klingt mir sehr vertraut. Ja, das ist sicherlich schon passiert.
Du musst einerseits an deine eigene Zukunft denken, aber auch an die Gefühle der Menschen, die beteiligt sind.
profil: Unter welchen Umständen? Johnson: An Details kann ich mich nicht erinnern, aber das Gefühl ist mir sehr vertraut.
profil: Wie hast du diese Entscheidung getroffen? Johnson: Du musst einerseits an deine eigene Zukunft denken, aber auch an die Gefühle der Menschen, die beteiligt sind. Das musst du berücksichtigen. Du musst bei der Entscheidung aber auch pragmatisch denken und am Ende die richtige Balance finden. Und das ist die große Herausforderung.
profil: Musstest du eine solche Entscheidung schon einmal bei deinen eigenen Songs oder Alben treffen? Johnson: Nein, das ist noch nie passiert. Meine Alben sind eine Ansammlung der neuesten Songs. Die Songs, die ich habe, kommen auf das Album. Fertig. Es ist nicht so, dass ich einen Haufen Songs schreibe und dann sage: Okay, machen wir ein Album, dieser Song kommt auf das Album, und dieser nicht. Ich habe einfach einen Haufen Songs und bringe diese als Album raus. Es ist beliebig. Siehst du den Unterschied?
profil: Nein. Johnson: Ahm, vielleicht gibt es auch gar keinen.
profil: Wenn dir etwas wichtig ist in deinem Leben, mit wem sprichst du darüber? Johnson: Wir haben in unserem Studio eine Kiste mit Platten. Manchmal nehme ich den Deckel runter und greife wahllos rein und ziehe eine Platte raus. Und diese Platte gibt mir dann die Antwort.
Manchmal ist es gut, wenn ich mit Menschen spreche, die nicht Teil der Angelegenheit sind und denen ich vertraue.
profil: Du sprichst also nicht mit einem Menschen darüber, sondern hörst dir eine Platte an? Johnson: Ich wähle eine Platte aus und diese gibt mir die Antwort.
profil: Und die Antworten waren immer richtig? Johnson: Ja, das hat immer funktioniert.
profil: Kannst du dich an eine Situation und eine spezifische Platte erinnern? Johnson: Wenn ich im Studio bin und mir zum Beispiel die Frage stelle, ob wir ein Tamburin auf diesem Song brauchen, dann lege ich wahllos eine Platte auf. Kommt in dem Song ein Tamburin vor und wir denken uns: Das Tamburin wurde hier so gut eingesetzt, auf unserem Lied würde es aber nicht passen. Oder wir denken uns: Auf diesem Song gibt es kein Tamburin, es hätte dem Song aber gutgetan, daher sollten wir eines verwenden.
profil: Du sprichst von musikalischen Entscheidungen. Aber was machst du, wenn es um dich persönlich geht? Johnson: Ich habe da dieses Sprichwort: Folge deinem Gefühl. Du musst dich deiner Gefühle klar werden.
profil: Das geht aber oft einfacher, wenn man mit jemandem spricht. Johnson: Manchmal. Manchmal ist es gut, wenn ich mit Menschen spreche, die nicht Teil der Angelegenheit sind und denen ich vertraue.
profil: K-Records gibt es seit fast 35 Jahren. Bereust du etwas rückblickend? Johnson: Es zahlt sich nicht aus etwas zu bereuen, wir sollten immer nach vorne schauen. Wir können von unseren Fehlern lernen, aber etwas zu bereuen ist nicht produktiv.
Ich sehe, wie Menschen sich kreativ ausdrücken und welchen Prozess sie durchlaufen, um ihre Arbeit zu produzieren. Das gibt mir Hoffnung.
profil: Aber erst wenn wir etwas bereuen, merken wir, dass uns etwas wichtig ist. Johnson: Natürlich kann ich lernen und mir Gedanken machen, wie es dazu gekommen ist, warum ich diese Entscheidung so getroffen habe und wie ich es das nächste Mal besser machen könnte. Aber das ist für mich was anderes, als etwas zu bereuen. Reue hat für mich etwas Negatives und ist nicht hilfreich. Man kann Fehler machen, sie anerkennen und daraus lernen. Das ist ein positiver Zugang. Etwas zu bereuen dahingegen ist Zeitverschwendung. Bist du katholisch?
profil: Ja. Calvin Johnson: Fühlst du dich oft schuldig? Mir ist nicht klar, auf was du mit dem Bereuen hinauswillst.
profil: Es geht nicht um Schuld. Etwas zu bereuen und sich schuldig fühlen sind unterschiedlich. Wenn man etwas bereut gesteht man sich ein, dass dir etwas wichtig ist, du vielleicht noch nicht bereit für etwas warst und aus deinen Fehlern lernen möchtest. Johnson: Ja, das kann ich nachvollziehen.
profil: Wenn man ein Plattenlabel so lange Zeit betreibt, was lernt man dabei über Menschen? Johnson: Es gibt mir einen Glauben an Menschen. Ihre Fähigkeit, große Hindernisse zu überwinden und dass sie Kreativität dazu nützen, um die Welt besser zu machen. Ich sehe, wie Menschen sich kreativ ausdrücken und welchen Prozess sie durchlaufen, um ihre Arbeit zu produzieren. Das gibt mir Hoffnung.
profil: Wenn du ein Konzert spielst, was erwartest du dir vom Publikum? Johnson: Ich habe eine Liste an Songs, die ich spielen möchte, aber ich weiß noch nicht, in welcher Reihenfolge. Ich denke, dass wir eine telepathische Kommunikation haben und daraus ziehe ich die Form meiner Performance. Ich hoffe, dass ich eine Möglichkeit habe, mich kreativ auszudrücken. Und wenn Menschen darauf anspringen, ist das großartig.
profil: Und wenn du dir selbst eine Show ansiehst? Johnson: Dann hoffe ich, dass ich jemanden sehe, der oder die sich in einer Art und Weise kreativ ausdrückt, die mich überrascht oder mir Freude macht oder ein anderes Gefühl vermittelt, zum Beispiel Terror. Es gab auch schon Shows, die mir Angst gemacht haben. Aber es gab erst eine Show in meinem Leben, bei der ich mich um meine körperliche Sicherheit Sorgen gemacht habe. Das war bei einem Konzert von The Hunches aus Portland. Das Konzert war derart crazy, dass ich Angst hatte, dass der Sänger sich verletzen und ich mithineingeraten könnte. Es ist nichts passiert, aber es war eine großartige Erfahrung zu fühlen, wie Dinge richtig außer Kontrolle geraten können.
Jeder Abend ist anders und in den meisten Städten in denen ich spiele, kenne ich Menschen.
profil: Was hat dich als Jugendlicher zur Musik gebracht? Johnson: Die Schönheit und der Sound von Popmusik. Popmusik fühlt sich einfach gut an.
profil: Erinnerst du dich an die Songs? Johnson: Es war Top-40-Popmusik wie die Rolling Stones oder Buddy Holly. Aber auch Soulmusik aus den 1960er Jahren. Ich war noch sehr jung, das war so zwischen 1967 bis 1972.
profil: Du bist noch immer regelmäßig auf Tour. Fühlst du dich da oft alleine? Johnson: Nein, nicht wirklich. Ich genieße es zu reisen und kreative Leute zu treffen. Jeder Abend ist anders und in den meisten Städten in denen ich spiele, kenne ich Menschen. Ich habe gestern meine Freundin in Prag getroffen und sie begleitet mich ein paar Tage. Einsam fühle ich mich also nicht.
profil: Danke für deine Zeit. Genieße das Konzert heute Abend. Johnson: Danke, ich werde es versuchen. Normalerweise schaffe ich das.