Kaiserin Sisi und Marianne Fritz im Theater: Kapitulation vor der Autorin
Marianne Fritz (1948-2007) war eine singuläre Erscheinung in der heimischen Literaturlandschaft, eine radikale Einzelgängerin, deren zunehmend erratischer werdende Romanprojekte nicht nur bei der Literaturkritik für Ratlosigkeit gesorgt haben. Für die Lektüre ihres Romanzyklus "Dessen Sprache du nicht verstehst" nahm sich "Spiegel"-Kritiker Wolfgang Nagel 1985 einen Monat frei-und scheiterte trotzdem daran: "Auf Seite 2934 gab ich mich geschlagen. Bedingungslose Kapitulation. Große Erleichterung." Regisseur Bastian Kraft hat sich am Akademietheater nun für den schmalen Debütroman "Die Schwerkraft der Verhältnisse" entschieden, eine Art Medea-Geschichte aus kleinbürgerlicher Frauenperspektive in der Nachkriegszeit: eine spannende Wiederentdeckung.
Im Zentrum steht Berta (Katharina Lorenz), weggesperrt in einer psychiatrischen Klinik. In Rückblenden wird ihr verpfuschtes Leben aufgerollt. Während der erste Teil etwas gekünstelt als Stummfilm inszeniert wird, das Ensemble agiert als Schatten auf der Leinwand, ist der zweite Teil eine packende surreale Entfremdungsstudie: Die Enge der Verhältnisse schlägt sich auch im Bühnenbild nieder. Peter Baur hat eine Art Setzkasten gebaut, eine Küche voller Schränke, durch die sich die Figuren zwängen müssen. Man bekommt schon vom Zuschauen Klaustrophobie.
Das Volkstheater setzt dagegen auf Komödie: "Ach, Sisi-Neunundneunzig Szenen" in der Regie des deutschen Liedermachers und Kabarettisten Rainald Grebe zeigt Shortcuts über eine Kaiserin. Der Abend spielt im Backstagebereich eines Elisabeth-Musicals, hat Witz und Tempo. Wenn der deutsche Schauspieler Andreas Beck als Kaiser-Franz-Joseph-Darsteller das Wiener Straßenbahnnetz erklärt, zündet das ebenso, wie wenn Balázs Várnai das Publikum als Ungarisch-Lehrer streng aufstehen und rezitieren lässt. Mit fast zweieinhalb Stunden ist der Spaß aber doch zu lang und zu selbstverliebt. Am ehesten ist "Ach, Sisi" ein Versöhnungsangebot für das alte Volkstheater-Abo-Publikum. Aber: Gibt es das überhaupt noch?