Achtlos wälzt sich ein unaufhörlicher Menschenstrom entlang des Baugerippes in der Mariahilfer Straße 10–18. Schwer zu sagen, wann die öffentliche Verwunderung über die Pläne mit der Liegenschaft in Desinteresse umschlug.
Ein Einkäufer, schwarzer Bart und dunkle Architektenbrille, einen weißen Papiersack in Händen, kehrt Lamarr mir nichts, dir nichts den Rücken zu, fingert auf seinem Handy herum. Hätte es früher auch nicht gegeben. „Die schönste Frau der Welt“, so nannte die US-Presse die Wienerin, die 1938 den Kontinent wechselte.
Vier Stunden einem gewaltigen Steinbruch beim unendlich schleppenden Verbleichen und Vor-sich-hin-Bröckeln zuzusehen: Es fühlt sich wie ein kleiner Sieg an.
Herbeigezauberter Star
Signa-Gründer Benko, der Blender, Fantast, Selbsterfinder, von dem gerade zahllose verunglückte Immobilienprinzgeschichten erzählt werden, plante einst, „Hollywood-Glamour“ nach Wien zu bringen: „In entspannter Atmosphäre werden sich Besucher mit dem Leben und Wirken Hedys im eigens dafür errichteten Museums Café im fünften Stock beschäftigen.“ So ist es in der firmeneigenen „Signa Times“ von März 2023 nachzulesen. Lamarrs – in Signa-Diktion: Hedys – Nachlass, eigens erworben von Benkos Immobilien- und Handelsimperium, sei bald in der Mariahilfer Straße zu bestaunen: Dokumente, Urkunden, Briefe, Gedichte, Filmstills. Auf den Fotos in der „Signa Times“ ist Benko als Conférencier eines Varietés zu sehen, der mit herbeigezaubertem Weltstar unterhält. Und dem Anfang wohnte gleich ein Unheil inne: Die Lamarr, so der Plan, sollte sich in das „Lamarr“ verwandeln. Das Ende statt die Legende.
Mit wem auch immer man dieser Tage über das „Lamarr“ spricht, die knappen Antworten gleichen sich. Der Nachlass? Alles in Schwebe. Alles liege beim Insolvenzverwalter. Sammlung, Haus und Name seien fatal miteinander verknüpft. Öffentlich äußern wolle man sich nicht.
Einzige Frau im Raum
Bei der Begegnung mit der von Lamarr-Fotos umzäunten Bauruine, Auge in Auge, ergibt es sich, dass drei mitgebrachte Bücher ein wenig Trost für die Tristesse rund um Hedy Lamarrs Wiener Rückkehr spenden, das eine mehr, das andere weniger. Neu ist die Graphic Novel „Hedy Lamarr. Wienerin, Hollywoodstar, Erfinderin“ des französischen Autorenduos William Roy und Sylvain Dorange. Bereits im Vorjahr erschien der Roman „Die einzige Frau im Raum“, in dem sich die US-Autorin Marie Benedict in daherfabulierter Manier insbesondere der frühen Wiener Jahre Lamarrs und ihrer ersten Zeit in Hollywood annimmt. Schließlich, als eine Art Blaupause für Lamarrs Lebensabenteuergeschichte, in der vieles so klingt, als sei es gut ausgedacht, die bereits 2019 publizierte Lamarr-Biografie der Vorarlberger Kuratorin Michaela Lindinger. Lesens- und sehenswert ist die in unaufdringlichen Farbtönen gezeichnete Geschichte Hedy Lamarrs; der Roman „Die einzige Frau im Raum“, ein Buch mit Neigung zur Klischee-Übererfüllung („‚Bitte nennen Sie mich Hedy‘, schnurrte ich.“), darf gnädig übergangen werden; Lindingers Biografie bietet einen guten ersten Überblick.
Keines dieser Bücher spart die Lamarr-Highlights aus. Da wäre der Film „Ekstase“ (1933), in dem sie nackt in einem See schwamm und durch einen Wald lief, dazu die Großaufnahme ihres Gesichts im Moment eines fingierten Orgasmus. Einer der frühen Skandale der Filmgeschichte. Ihre sechs Ehen, darunter die erste mit dem Wiener Waffenmagnaten Fritz Mandl, von seinen Zeitgenossen der „Kaufmann des Todes“ genannt. Schließlich die Erfinderin und Moderne-Pionierin: Gemeinsam mit dem Komponisten Georges Antheil tüftelte Lamarr am sogenannten Frequenzsprungverfahren, deren US-Patent No. 2292387 vom 11. August 1942 ebnete den Weg zu WLAN, GPS, Bluetooth. Seit 1998 wird in den deutschsprachigen Ländern Europas an jedem 9. November, Lamarrs Geburtstag, der Tag der Erfinderinnen und Erfinder gefeiert.
Grund zum Feiern gibt es in der Mariahilfer Straße nicht. Wer längere Zeit vor der bekanntesten Bauruine des Landes steht, könnte leicht auf die Idee kommen, dass hier einer ein bisschen zu eitel war, als wäre beim geplanten Wien-Welttheater made by Benko etwas furchtbar schiefgelaufen. Lamarrs Stern leuchtet weiterhin am Walk of Fame, 6247 Hollywood Blvd., Los Angeles.
Offenlegung: Der Autor dieses Textes hat im Bahoe Verlag ein Buch publiziert und fungiert ebendort als Herausgeber einer Buchreihe.