Kiki Kogelnik: Zwischen Cyborgs und Lagunenwasser
"Sei frivol, sei schön und lass deinen Mann daheim." Mit diesen Worten lud die Künstlerin Kiki Kogelnik im Jänner 1974 ihren weiblichen Bekanntenkreis zu einer Women-only-Party in ihr New Yorker Domizil. Die Mitternachtseinlage war speziell: Der Künstler Alexander Heinrici, wie die Gastgeberin aus Österreich, warf sein dunkelblaues Samt-Outfit ab und legte einen Strip hin "vor einem enthusiastischen und lautstarken weiblichen Publikum", wie die Autorin Rose Hartman später in den "Soho News" berichten sollte. Es folgten weitere Entkleidungen sowie ein Foxtrott in Unterwäsche, kurz: "Wer diesen Abend verpasst hat, hat wirklich etwas verpasst!!!"
Der zitierte Zeitungsartikel ist eines der Exponate in der Kiki-Kogelnik-Ausstellung im Kunstforum Wien, die am 1. Februar eröffnet ("Kiki Kogelnik. Now Is the Time",bis 25. Juni). Im Jahr nach ihrer legendären Party sollte Kogelnik im ORF darüber berichten. Erstaunter Kommentar des Sprechers: "Ihr Mann ist mit alldem einverstanden. Für solche Frauen gelten andere Maßstäbe. "Das war 1975-erst in jenem Jahr wurde das Gesetz geändert, demzufolge verheiratete Österreicherinnen nur mit Einverständnis ihrer Ehegatten einer Erwerbsarbeit nachgehen durften. Von dem hierzulande damals vorherrschenden provinziellen Rollenverständnis hatte sich die Kosmopolitin da schon längst befreit, von althergebrachten künstlerischen Ideen ebenso. "Kunst kommt von künstlich", lautete ihr Motto.
Das kurze Leben der 1935 in Graz geborenen Künstlerin-sie starb 1997 an Krebs-spielte sich großteils zwischen Bleiburg/Pliberk (Kärnten),Wien und New York ab. Ein Blick in die Wiener Ausstellung offenbart ein komplexes Œuvre, das von abstrakter Malerei über Performance und Film bis zu Collage, Skulptur und dekorativer Kleinplastik reicht und ein großes Interesse an verschiedenen Materialien durchblicken lässt. "Ihr Werk hat eine Vielfalt, die mir zuvor in dieser Dimension nicht bewusst war", sagt Ingried Brugger, Direktorin des Kunstforums.
Nachdem Kogelnik in Wien Kunst studiert hatte, erregte sie mit ihrer abstrakten Malerei bald die Aufmerksamkeit des Monsignore Otto Mauer und seiner bedeutenden Galerie St. Stephan, wo sie 1961 ausstellte. Bereits im Jahr darauf zog sie nach New York und bewegte sich im Umfeld der Pop Art, war bekannt mit Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg und Andy Warhol. Sie schnitt Umrisse von Menschen aus kreischbunten Vinylfolien aus und hängte diese über Kleiderhaken oder Wäscheleinen-geisterhafte, erschöpfte, entleerte Wesen. "Ich habe das Gefühl gehabt, wenn ich jemanden abgezogen habe, dass ich die Form besitze und dass ich mit dieser Form machen kann, was ich will", erzählte sie über diese "Hangings".
Obwohl die Emigrantin von der Kollegialität der New Yorker Künstlerschaft schwärmte und davon sprach, dass sie eine solche aus Österreich nicht kenne, schnitt sie die Fäden zu ihrem Geburtsland nie ab: 1969 lud sie in der Galerie St. Stephan anlässlich der Mondlandung zu einem "Moon Happening". Während die Gäste das Jahrhundertereignis im Fernsehen verfolgten, produzierte sie eine Auflage von 500 Siebdrucken, die später für wenig Geld verkauft wurde. Es ist der Schlusspunkt einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Space Age, deren Höhepunkt sich als Replik im Kunstforum aufbaut: der im Original nicht erhaltene "Lover Boy", ein silbern glänzendes, enigmatisches Roboterwesen aus Backformen und metallenem Geschirr. Es ist umgeben von Papierarbeiten, auf denen Zahnräder über Körper-Schablonen rollen, sich Stempeldrucke aus der medizinischen Diagnostik zu "Robots" gruppieren, schablonenartige Figuren durch den Raum schweben.
Lisa Ortner-Kreil, die Kuratorin der Ausstellung, sagt: "Sie fasste zu einem frühen Zeitpunkt Themen an, die uns jetzt bewegen, etwa die Cyborgs. "Mit dieser Materie habe sich die Künstlerin schon lange auseinandergesetzt, ehe 1985 der Essay "A Cyborg Manifesto" herauskam. Diesen hatte die Theoretikerin Donna Haraway verfasst, die in jüngster Zeit neue Popularität in der Kunstwelt genießt-etwa bei der letztjährigen Biennale Venedig, auf der auch Kogelnik einen großen Auftritt erlebte.
In den 1970er-Jahren arbeitete sich die Kärntnerin an stereotypen Frauenbildern ab, pflanzte sich als Amazone mit monströser Schere über einem Haufen ausgeschnittener Figuren auf, schuf auf Basis von Modefotografie entleerte weibliche Wesen. Damit stellte sie, wie sie sagte, den "falschen Traum der Frau von Schönheit und die künstliche Welt, die man Frauen vorzeigt" dar. Wobei: Lange hatte sie selbst mit ihrem Image als sexy fashion victim und lustiges Partygirl gespielt. Ihre Outfits waren legendär-Fotos zeigen sie in wild gemusterten Kleidern, mit XXL-Sonnenbrillen, Ultra-Minis, Silberoverall und aufgemalten Riesenwimpern, dann wieder im Herrenanzug. Auf einem Foto des Fotografen Michael Horowitz trägt sie eine Sonnenbrille und einen riesigen Kopfhörer mit Antennen. Für die Autorinnen Marie Laurberg und Birgitte Thorsen Vilslev ist sie in diesem Bild "Mensch und Maschine zugleich; ihre hellwachen Sinne registrieren Impulse, die für gewöhnliche Ohren nicht wahrnehmbar sind", wie sie im Ausstellungskatalog notieren. Kogelnik besaß ein Sensorium für das Zeitgenössische ebenso wie für das Kommende.
Der Rezeption ihrer Kunst stand ihr schillerndes Auftreten jedoch im Weg. Wenn der renommierte Komponist Morton Feldman sie-angeblich-als "Liebesgöttin der Pop Art" bezeichnete und ihr Kollege und einstiger Verlobter Arnulf Rainer ihren "Kindfrauencharme" lobte, so zeichneten sie ein recht unpassendes Bild der Künstlerin. Als das Wiener Belvedere ein Jahr nach Kogelniks Tod eine Ausstellung von ihr zeigte und aus diesem Anlass eine Sammlung an Zitaten über sie publizierte, so war Letzteres wohl gut gemeint, erwies sich aber als Bumerang. Maria Lassnig, ebenfalls eine Kärntner Künstlerin in New York, wusste nichts Besseres beizusteuern als Folgendes: "Kiki hat schon in jungen Jahren, in der Zeit Monsignore Mauers, vertrauend auf ihre Schönheit und Sexappeal, begonnen, eine gesellschaftliche Rolle zu spielen. In New York, unterstützt von ihrem lieben Mann, konnte sich ihre gesellschaftliche Befähigung voll entfalten, zum Nutzen der New Yorker Künstler und New-York-Besucher." Oswald Oberhuber fand, dass sie "als Frau mit einem gewissen Unvermögen, das ich sehr gern hab, die Probleme Bildaufbau usw. angegangen" sei. Kunstforum-Chefin Brugger kommentiert die über Kogelnik kursierenden Anekdoten so: "Zu ihrer Zeit waren Künstlerinnen in Wien keine Künstlerinnen, sondern höchstens Gefährtinnen von Künstlern. Die Geschichten über Kogelnik produzieren das Bild einer schrägen Figur, die als Künstlerin nicht unbedingt ernst zu nehmen sei."
Nicht nur ihr Ruf verstellte die Sicht auf ihr Werk, sondern auch ihre Glasköpfe-Verkaufsschlager am heimischen Kunstmarkt, entstanden ab 1994 auf Anregung ihrer Kärntner Galeristin Judith Walker und des venezianischen Glasmeisters Adriano Berengo. Die damals schon schwer erkrankte Künstlerin selbst ließ sich dazu, wie Walkers Tochter Carolin erzählt, ein wenig bitten. Doch dann entdeckte sie den Umgang mit einem ihr neuen Material. "Ich habe das Gefühl gehabt, ich arbeite mit Wasser aus den Lagunen von Venedig", sagte sie später. Manche der Köpfe scheinen sich auch über sich selbst lustig zu machen und über den Kitsch, den venezianische Souvenirläden anbieten.
Kosteten die Arbeiten Mitte der 1990er-Jahre, als sie entstanden, 20.000 bis 30.000 Schilling, so sind sie heute in Auktionen ebenfalls für fünfstellige Beträge zu haben-allerdings in Euro. Der institutionelle Kunstbetrieb rümpft gern die Nase über diese Kleinskulpturen. Brugger meint: "Die nicht wirklich zu kontrollierende Vermarktung der Glasköpfe ist ihr passiert. Doch daran wurde sie in Österreich lange gemessen." Auch Galeristin Carolin Walker sieht diese Problematik: "Viele Jahre brachte man Kogelnik nur mit den Köpfen in Verbindung. Doch sie ist viel mehr." Und laut Kuratorin Ortner-Kreil hätten diese Arbeiten Kogelnik "in die Kitschecke" gedrängt. Dennoch platzierte sie einige davon in der Ausstellung-angesichts der Bedeutung, die diese für die Künstlerin selbst in der letzten und schwierigsten Phase ihres Lebens hatten, eine respektvolle und plausible Entscheidung.
In der internationalen Wahrnehmung Kogelniks spielen ihre "Venetian Heads" kaum eine Rolle. Derzeit zeigt sich eine stark erhöhte Aufmerksamkeit ihrem Werk gegenüber, die mit dem Biennale-Beitrag neuen Anschub erhalten hat. Schon in den vergangenen Jahren zeigten der Hamburger Kunstverein, die Kunsthalle Stavanger und das britische Modern Art Oxford Einzelausstellungen. Die aktuelle Kunstforum-Ausstellung geht später weiter ins Kunsthaus Zürich sowie ins dänische Kunstmuseum Brandts. Die gewichtige New Yorker Pace Gallery verkauft mittlerweile Kogelniks großformatige Gemälde. In Auktionen kommen heute vorwiegend die Glasköpfe sowie Papierarbeiten zum Aufruf, doch vorigen Oktober erzielte ein Gemälde einen neuen Rekord: "Siempre por tio" (1964) kostete bei Sotheby's London umgerechnet fast 240.000 Euro, mehr als das Doppelte des oberen Schätzwertes.
In dem ORF-Beitrag von 1975 zeigte sich Kogelnik übrigens davon überzeugt, "dass in den nächsten 50 Jahren in der Kunstwelt die Frauen aufholen werden". Damit sollte sie sich als visionär erweisen-wie auch mit ihrer Kunst.
Kunstforum Wien: "Kiki Kogelnik. Now Is the Time", 2. Februar bis 25. Juni