Killing Me Softly: Auftragsmörder sind auch nur Spießbürger
Die Gewalt hat, als Weltproblem und Menschheitsthema, im Kino ihren festen Platz. Man kann sie ernst nehmen oder zynisch überhöhen, sie mit den Skalpellen der Regie und der Montage sezieren oder in den Sicherheitszonen der Fiktion ausgelassen mit ihr spielen. Die Mörder sind unter uns, soviel ist klar – und leider nicht nur auf den Leinwänden der Filmtempel.
Eine Figur, die daher wie keine andere fasziniert, weil sie Urängste schürt und die Fantasie beflügelt, ist der professionelle Killer: der eiskalte Engel, der Skrupel, Rücksicht und Mitgefühl allenfalls vom Hörensagen kennt, dafür Freude an präziser Organisation und fristgerechter Abwicklung verspürt. Bei den laufenden Filmfestspielen in Venedig ist diese Figur omnipräsent – in erstaunlich unterschiedlichen Ausprägungen.
Thriller-Psychedelia in giftigen Farben assoziiert etwa der Amerikaner Harmony Korine („Gummo“; „Trash Humpers“) in „Aggro Dr1ft“, dem vielleicht abwegigsten Werk dieses Festivals. Wie ein experimentell animiertes, aber mit realen Darstellern (wie dem Rapper Travis Scott) besetztes Videospiel erscheint dieses von elektronischer Musik geflutete Duell zwischen einem Auftragsmörder (Jordi Mollà) und einem schurkischen Warlord: Immersiv angelegter Action-Minimalismus ist das, zur Gänze mit Infrarotkameras aufgenommen und mit KI-induzierten Bildwelten ausgestattet; Fantasy-Action als Marvel-Alternative oder auch: die Dreigroschenversion eines Superheldenfilms. Korine selbst nennt seinen jüngsten formalen Ansatz „Gamecore“. Es wagt den Blick in ein dystopisches, sich selbst generierendes Kino der Zukunft, bei dem man nur noch schauen und hören, nicht mehr mitdenken muss, in das man versinken kann wie in einen Fiebertraum, in den Zustand der Trance. Hier gibt es keine Ambivalenzen und Dramaturgien mehr, nur noch schlichteste Gut-Böse-Kollisionen – und irrwitziges Oberflächendesign.
Zwei weitere Berufsmörder streifen aktuell durch Venedigs Filmfestival. Der eine betreibt sein Gewerbe mit bürokratischer Akkuratesse, der andere, ein Universitätsprofessor mit Undercover-Nebenjob bei der Polizei, improvisiert lieber; er tut nur so, als könnte man ihn dafür buchen, lästige Zeitgenossen schnell und nachhaltig zu entsorgen. Michael Fassbender führt im ersten Fall, in David Finchers unspektakulärem, seinem Protagonisten entsprechend hohlem Rachekrimi „The Killer“ vor, wie monoton das Reisen und Töten mit immer neuen Pässen, Nummerntafeln und Handfeuerwaffen ist. Über solche Klischees des Genres macht sich dagegen der Texaner Richard Linklater im Zweiten Fall, in der Killer-Comedy „Hit Man“ mit großem Einfallsreichtum lustig.
Die Mantren seiner Profession („niemals Empathie zulassen“, „alle Eventualitäten durchdenken“) spricht Fassbender ebenso wie Korines Killer aus dem Off unaufhörlich vor sich hin. Und in beiden Fällen sind die bezahlten Mörder privat sehr unauffällige Familien- und Beziehungsmenschen. Dies trifft auch auf den Protagonisten in „Hit Man“ zu: Der biedere Pädagoge Gary (Glen Powell) entdeckt sein Talent, Menschen mit Mordabsichten in stetig wechselnden Kostümierungen den Killer vorzuspielen, nur um seine Auftraggeber umgehend der Polizei ausliefern zu können. Linklaters unprätentiöses Lustspiel, das auf einer (unglaublichen) realen Geschichte fußt, avancierte augenblicklich zu den Hits der 80. Filmfestspiele, Heiterkeitskundgebungen und Szenenapplaus inklusive.
Aber natürlich gab es auch in diesem Jahr wieder Filme, die einem nichts anderes zu vermitteln hatten als das beklemmende Gefühl des brachialen Scheiterns. Es war jedoch nicht abzusehen, dass ein Regisseur wie Roman Polański, der erst vor drei Wochen 90 Jahre alt geworden ist, zu jenen gehören würde, die sich hier derart demontieren würden. Der französisch-polnische Filmemacher, ein wegen sexuellem Missbrauch einer Minderjährigen verurteilter Straftäter, gilt in weiten Teilen der globalen Kulturszene inzwischen als Persona non grata. In Venedig wurde ihm der rote Teppich ausgerollt, über den er freilich wegen der Gefahr einer Auslieferung an die Justizbehörden, denen er sich entzogen hat, nicht persönlich schreiten konnte: Seine qualitativ unterirdische Schweizer Hotelkomödie „The Palace“ rechtfertigte den Aufwand nicht.
Unsterblich blamiert hat sich damit aber nicht nur Polański selbst, sondern auch die Leitung des Filmfestivals in der Lagunenstadt: Ein nicht satisfaktionsfähiges Werk wie dieses mutwillig in das Hauptprogramm ehrwürdiger Kino-Festspiele zu verfrachten, zeugt von einem befremdlichen Mangel an Kunst- und Humorverständnis.