Kino: Oliver Stones blutleere Hommage an Edward Snowden
Seine Leidenschaft für populärhistorische Erzählungen hat der New Yorker Filmemacher Oliver Stone, gerade 70 Jahre alt geworden, nicht eingebüßt. Er ist immer noch der Pathos-Berserker des liberalen Mainstream-Kinos. Als ehemaliger Vietnamkämpfer und Schöpfer von Kriegstraumafilmen wie "Platoon“ (1986) und "Geboren am 4. Juli“ (1989) hält er die USA für einen Polizeistaat und Hollywood für grundfeige, seine Freunde Fidel Castro und Hugo Chávez, die er in Dokumentarfilmen porträtierte, dagegen für genuine Menschenfreunde - hart, aber herzlich. Die Chefs von NSA und CIA vergleicht er mit Himmler und Goebbels. Er dreht gern politische Filme, aber leider nicht (im Sinne Jean-Luc Godards) auch Filme politisch. Als Regisseur ist Stone entschieden konservativ, ein Populist, der an den Grundfesten des Unterhaltungskinos nicht rütteln mag.
An "Snowden“, Stones neuem Film (Kinostart: 23. September), kann man dies gut erkennen. Die Wut habe ihn zu diesem Werk getrieben, sagt Stone: der Zorn über den stillen Krieg, den die US-Regierung gegen die eigene Bevölkerung führe und der im schlimmsten Fall, also jederzeit, auch in den Totalitarismus führen könne. Mit dieser Haltung ist er nicht allein, so treten in "Snowden“ gleich zu Beginn nicht nur der Titelheld auf, sondern auch die Dokumentaristin Laura Poitras (dargestellt von Melissa Leo) und der US-Journalist Glenn Greenwald (Zachary Quinto), die Snowdens Enthüllungen publik machten.
Keine Exzesse, keine Action, kein Drama
Sein Protagonist stellt Stone vor gewichtige Probleme. Ein scheuer junger Mann, der von Vorgesetzten indoktriniert wird und an Computern Arbeit verrichtet, das ist im Unterhaltungskino schwierig: keine Exzesse, keine Action, kein äußeres Drama, nur Unterredungen, Bildschirme, ein bisschen Paranoia und jede Menge ominöser Blicke. Eine fesselndere Suspense-Szene als jene, in der eine mit geheimem Datenmaterial bespielte Mini-Speicherkarte aus den nervösen Händen Edward Snowdens vor seinen Mitarbeitern unbemerkt auf den Büro-Spannteppich springt, bringt Stone unter diesen Umständen nicht zuwege.
Die Reifung Snowdens zum Whistleblower wird hier unter besonderer Betonung seines leider auch nicht übermäßig packenden Privatlebens heraufbeschworen: Aus dem Kennenlernen, dem Zusammenleben und den Meinungsverschiedenheiten mit Langzeit-Freundin Lindsay Mills (Shailene Woodley), die über die streng geheimen Tätigkeiten Snowdens naturgemäß nicht Bescheid wusste, macht Stone Zentralereignisse seiner Erzählung. Das tut ihr nicht gut.
Triviale Fantasien
Hauptdarsteller Joseph Gordon-Levitt, einer der jungen Stars des US-Kinos, macht seine Sache durchaus passabel; er legt Snowden naturgetreu verhalten an, arbeitet mit mehr Understatement, als die Biopic-Polizei eigentlich erlaubt. Seinen Helden hat Stone 2014 in Moskau, wo Snowden bis heute festsitzt, übrigens persönlich kennengelernt und befragt. Nicht über alles habe er mit dem Regisseur reden wollen. So sei dieser Film eben eine "Dramatisierung tatsächlicher Begebenheiten“, wie es anfangs klassisch heißt, eine Bearbeitung der biografischen Linien, die von der Militärausbildung Snowdens 2004 bis zu seinem NSA-Ausstieg 2013 reichen. Und tatsächlich füllt Stone die Lücken seiner Erzählung mit trivialen Fantasien: Ausgerechnet in einem Zauberwürfel schmuggelt Snowden die brisanten Daten an den Wachposten und Durchleuchtungsmaschinen vorbei.
Außer großer Verehrung für den Mut, sich allein gegen die US-Administration und ihre Geheimdienste zu stellen, hat Stones "Snowden“ nicht viel mitzuteilen. Die Inszenierung klappert, begleitet von stetig blubbernder Billig-Spannungsmusik, die Stationen ab, die aus dem angepassten Konservativen Edward Snowden einen "Regierungsverräter“ im Dienste der Transparenz gemacht haben. Es gibt einen besseren, viel direkteren Film über Edward Snowden. Laura Poitras hat ihn vor zwei Jahren veröffentlicht. Er heißt "Citizenfour“ und zeigt die Schicksalsmomente in Hongkong, im Juni 2013, aus nächster Nähe - ohne den mühevollen Umweg über die Fiktion.