„Welche Schulnote würden Sie sich als Chef der Albertina geben, Herr Schröder?"
Von Stefan Grissemann und Wolfgang Paterno
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Einstiegsfrage: 25 Jahre Albertina-Chef – ist ein Vierteljahrhundert genug oder zu wenig?
Schröder
Für mich persönlich ist es genug, weil ich im achten Lebensjahrzehnt kein großes Unternehmen führen möchte, das 360 Mitarbeiter beschäftigt und eine Bilanzsumme von 135 Millionen Euro ausweist. Zugleich reichen 25 Jahre nicht, weil man das Museum immer weiterentwickeln kann – und ich genug Zukunftsideen dafür hätte.
Sie haben die Besucherzahlen um satte 10.000 Prozent gesteigert, heuer 1,3 Millionen Menschen ins Museum gebracht. Hätten Ihre Expansionspläne noch weiter gereicht?
Schröder
Ja, ich hatte vor, eine internationale Zweigstelle zu eröffnen, vergleichbar mit dem Louvre-Lens, dem Centre Pompidou in Metz, dem Louvre Abu Dhabi, dem Guggenheim Bilbao. Es gab drei Verhandlungen, die ich seit 2023 über mögliche Albertina-Dependancen in Málaga, Venedig und Busan geführt habe. Aber dazu fehlte mir am Ende die Zeit, vielleicht auch ein bisschen die politische Unterstützung.
Welche Schulnote würden Sie sich als Chef dieser Institution geben?
Schröder
Unbescheiden eine Eins, weil es mir gelungen ist, die Krise der Albertina zu beenden und der Republik Österreich ein Weltmuseum zu offerieren, das vollkommen neu ist und offensichtlich auch bestens angenommen wird. Das habe ich aber bei Weitem nicht allein geschafft. Diese Eins gebührt allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Albertina und den Mäzenen des Hauses, die meine Vision unterstützt haben.
Frage vier: Verspüren Sie bei allem Stolz über das Geleistete auch ein bisschen Wehmut?
Schröder
Nein, das liegt nicht in meinem Charakter: Wenn etwas abgeschlossen ist, denke ich nur noch mit schönen Gefühlen daran zurück. Ich habe die beruhigende Eigenschaft, alles Negative vergessen zu können.
Sie traten 1999 als Albertina-Direktor an. Fünfte Frage: War die Welt damals nicht eine grundlegend andere?
Schröder
Die Welt, in die meine Mutter 1921 geboren wurde, war eine andere. Was sie an Veränderungen erlebt hat! Den Automobil- und Flugverkehr, den ersten Frigidaire, die erste Waschmaschine, den ersten Trockner, den Fernseher, der so plötzlich die Welt homogenisiert hat. Erst in den letzten zehn oder zwölf Jahren habe ich eine ebenso disruptive Erfahrung gemacht wie meine Mutter, die aus den 1920er- in die Wohlstandsgesellschaft der Nachkriegszeit wechselte. Im Jahr 1999 war Wien eine ruhige Stadt, man hörte kaum ein nicht-deutsches Wort. Heute – ich wohne im 7. Bezirk – höre ich Englisch, Französisch, Italienisch, arabische Sprachen und erlebe eine liberale Weltstadt.
Erwuchsen aus Ihrer Interaktion mit den Kunstschaffenden, die Sie ausstellten, echte Freundschaften?
Schröder
Ja, zu Robert Longo und Georg Baselitz etwa sind echte, tiefe Freundschaften entstanden, ebenso zu Eduard Angeli und Jakob Gasteiger. Alex Katz, Jim Dine und Erwin Wurm. Arnulf Rainer und Maria Lassnig habe ich vielleicht für eine enge Freundschaft nicht oft genug gesehen, aber eine starke gegenseitige Wertschätzung gab und gibt es auch mit diesen und vielen anderen Künstlern und Künstlerinnen.
Wie ist es um Feindschaften bestellt?
Schröder
Es gibt sicher Menschen, die mich nicht mögen, aber ich habe keine Feinde.
Sind tote Künstlerinnen und Künstler nicht leichter auszustellen als lebende?
Schröder
Die Letztentscheidung, wie eine Ausstellung auszusehen hat, lag stets nicht beim Kurator, nicht bei einem Künstler oder dem Ausstellungsarchitekten, sondern beim Generaldirektor. Ich höre selbstverständlich sehr genau zu, wenn jemand Vorstellungen äußert, wie sein oder ihr Werk präsentiert werden sollte. Aber am Ende trage ich die Verantwortung für dieses Haus. Meist ist das kein Problem, weil Künstler wie Baselitz, Rainer oder Lassnig immer neugierig darauf waren, was die Albertina mit ihrer Kunst machen würde.
Flanieren Sie oft auch ganz allein durch die Ausstellungsräume?
Schröder
Während des Aufbaus einer Ausstellung bin ich hundertmal dort.Profil:Und wenn sie dann läuft, spätabends, wenn alle weg sind? Sie haben den Generalschlüssel, oder?Schröder: Das ist nur eine Karte. Wenn eine Ausstellung fertig ist, besichtige ich sie nur mehr mit Gästen. Der wichtige Akt des Sich-Einsehens passiert während der Installation der Werke.
Aber prominente Gäste führen Sie doch bisweilen nach Dienstschluss durch Ihre Hallen?
Schröder
Sicher früher mehr als in den letzten Jahren. Ich habe schon Verständnis dafür, dass es für sehr prominente Menschen nicht leicht wäre, neben anderen durch eine Ausstellung zu gehen. Dann öffnen wir ihnen entweder die Tresore, oder man geht eben außerhalb der Öffnungszeit mit ihnen durchs Haus. Aber das macht man ja auch mit Staatsgästen so.
Frage zehn: Erleben Sie bei Ehrengästen großes Kunstverständnis?
Schröder
It depends. Otto Schenk hat unglaublichen Kunstsinn. Es war faszinierend, mit ihm Rembrandt-Zeichnungen zu studieren, weil er an jedem einzelnen Werk bewunderte, wo das Genie Rembrandt fehlerhaft gearbeitet hatte. Ich dachte am Ende, ich werfe alle Zeichnungen weg! An jeder einzelnen hatte Schenk etwas zu bekritteln, was für ihn jedoch die Genialität Rembrandts bewiesen hat. Diese Begegnung habe ich sehr genossen. Auch mit Bob Geldof war es hochinteressant. Keanu Reeves hat eine spannend-merkwürdige Perspektive auf die Kunst. Aber ich bin ja auch auf Promi-Fakes reingefallen.
Sie meinen die falsche Beyoncé?
Schröder
Ja, das hatte das Kronehit-Radio organisiert, mit gigantischem Aufwand, mit Stretchlimousinen, Bodyguards, Manager und Double. Da ich von der klassischen Musik herkomme, kannte ich weder Beyoncé noch ihre Musik. Die Dame, mit der ich durch die Ausstellung ging, muss ähnlich genug ausgesehen haben, sonst hätten nicht alle Besucher Schreianfälle gekriegt. Aber am nächsten Tag konnte ich von „FAZ“ bis „Spiegel“ lesen, dass der Generaldirektor der Albertina die falsche Beyoncé nicht durchschaut hat. Harnoncourt oder Thomas Hampson nicht zu erkennen, wäre mir peinlicher gewesen.
Apropos Fakes, da gab es doch vor zehn Jahren einen anderen Eklat.
Schröder
Sie haben recht, einmal in meiner Karriere hing eine Fälschung bei uns: ein Aquarell, das von Max Pechstein sein sollte. War es aber trotz des vertrauenserweckenden Leihgebers eines deutschen Museums nicht.
Gibt es so etwas wie eine Lieblingsausstellung Ihrer Amtszeit?Schröder: Die Basquiat-Retrospektive liebte ich ebenso wie die beiden großen Dürer-Ausstellungen. Und eine gar nicht so erfolgreiche Schau gehört zu meinen allerliebsten: die Biedermeier-Ausstellung „Die Erfindung der Einfachheit“.
Sind Ihnen auch Ausstellungen misslungen?
Schröder
Ja, zwei von fast 300. Und die werde ich Ihnen nicht nennen.
Die Gesprächshalbzeit ist erreicht. 13. Frage: Wie viel Spaß macht Ihnen dieses Interview noch?
Schröder
Nachdem Sie bislang keine einzige der sonst üblichen Fragen gestellt haben: alles wunderbar. Außerdem sind Sie bis jetzt gut gelaunt.
Gute Laune, kurz getrübt mit Frage 14: Hat die Dauerkritik am „Ausverkauf“ der Albertina, die eine Blockbuster-Ausstellung nach der anderen ausrichtet, Sie je getroffen?
Schröder
Nein, sie hat mich nicht getroffen. Bei uns gibt es eine Hauptausstellung, die auf der Straße plakatiert wird. Daneben finden heute bis zu elf weitere Ausstellungen statt, stets drei davon allein aus der Grafischen Sammlung. Aber auf der Straße werben eben Monet, Basquiat, Chagall oder Van Gogh für die Albertina. All die anderen Ausstellungen werden jedoch vom Großteil jener Menschen, die wegen der Hauptschau kommen, genauso besucht und studiert. 2003 ist neben Dürer zeitgleich Günter Brus retrospektiv gezeigt worden. Dürer sahen 550.000 Besucher – nur knapp weniger, 500.000, sahen auch den großartigen Zeichner und Aktionisten Brus. Das muss doch unser Ziel sein, so viele Menschen wie möglich mit jener Kunst zusammenzubringen, derentwegen sie nicht kommen würden, die sie sich aber nicht entgehen lassen, wenn man sie ihnen mitanbietet: und dann den Besuch als persönlichen Gewinn verbuchen.
Die Ikone der Albertina, Dürers Feldhase, darf nicht unerwähnt bleiben. Wie oft haben Sie dem Hasen in die Augen geblickt?
Schröder
Ich schätze, etwa acht bis zehn Mal im Jahr, dann waren das 200, vielleicht 250 Mal. Denn viele neu antretende Botschafter und andere Ehrengäste möchten Dürers berühmteste Werke im Tresor sehen. Den Feldhasen muss ich die nächsten 20 Jahre nicht mehr 200 Mal sehen.
Wohnt dem Hasen, Frage 16, nach 200 Begegnungen noch ein Zauber inne?
Schröder
Der Zauber des ersten Mals wohnt ihm für mich persönlich nicht mehr inne. Es sind eher die Reaktionen der Menschen darauf interessant: So groß ist er? So klein ist er? Was frisst er denn? Dürers Rasenstück? Ich kenne jeden „originellen“ Witz dazu. Und natürlich die Frage: Was ist an ihm so besonders? Meine Antwort kann ich schon auswendig: Dürer hat hier etwas zum ersten Mal gemacht und gesehen – dazu gehört unglaubliche Kraft. Dalí stellte fest, der erste Mann, der einer Frau gesagt habe, ihre Haut sei wie die Blüte einer Rose, war ein Genie – der zweite ein Idiot! Es ist sehr schwer, etwas wirklich zum ersten Mal zu machen.
Was mussten Sie an diesem Haus erst lernen oder verlernen?
Schröder
Ich hatte das Glück, das Kunstforum gegründet und ex nihilo aufgebaut zu haben. Dabei habe ich vieles gelernt: auch dass man ein Haus nicht gegen sein Personal führen kann, man muss es mit ihm führen, um eine Neugründung zum Erfolg zu führen, eine radikale Transformation zu bewältigen. Meine 360 Mitarbeiter lehren mich noch etwas: Im Durchschnitt ist der Mensch durchschnittlich – und das ist gut so. Ein großes Unternehmen funktioniert wie ein Chor, da braucht es keine Solisten. Von der Personal- bis zur Rechtsabteilung, vom Bilanzwesen bis zur Restaurierung, von der Security bis zu den Kuratoren: Eine Institution wie die Albertina muss wie ein Chor funktionieren, in dem alle an einem Strang ziehen, denselben Klang erzeugen wollen. Ich konnte nur erfolgreich sein, weil ich vom ersten Augenblick an diese gewaltige Unterstützung des gesamten Hauses hatte.
Sie waren im Albertina-Chor immer ein Domingo.
Schröder
Die Albertina zeichnet trotz ihrer 74 Abteilungen unter meiner Führung eine ganz flache Hierarchie aus, bei der allerdings klar ist, dass die wichtigen Fragen die Zweier-Geschäftsführung entscheidet.
18. Frage: Hat sich Ihr Blick auf die Kunst in den vergangenen 25 Jahren verändert?
Schröder
Vollkommen. Ich bin noch mit dem Wissensstand aufgewachsen, dass es einen unverrückbaren kunsthistorischen Kanon gibt. Dieser ist auch in der Albertina bestens repräsentiert. Er ist eurozentrisch, männlich und weiß. Das ist gewiss großartige Kunst. Dürer, Michelangelo, Raffael, Leonardo und Bruegel zählen dazu, Rembrandt, Rubens, Picasso, Goya, Klimt, Schiele, Kokoschka, ich könnte stundenlang fortfahren. Aber immer hätte ich Ihnen männliche, weiße, europäische Künstler genannt. Was Herzog Albert, unser Gründer, noch als Enzyklopädie bezeichnet hat, ist jedoch in Wahrheit nur ein ganz enges Spektrum dessen, was große Kunst heute ist und sein kann. Der Kanon ist viel breiter. Zu behaupten, Picasso sei der Aboriginal Art ästhetisch überlegen, ist sinnlos. Es ist nutzlos, Ai Weiwei mit Michelangelo zu vergleichen. Und 50 Prozent der Bevölkerung waren bei meinem Amtsantritt in unserer Sammlung einfach nicht repräsentiert: Es gibt fast keine Künstlerinnen in der überlieferten Grafischen Sammlung. Also habe ich neue Schwerpunkte gesetzt, ob das Valie Export ist, Maria Lassnig oder Cecily Brown. Diese Auseinandersetzung mit dem Kanon, seine zu Recht erfolgte Infragestellung hat auch mich verändert, denn kunsthistorisch wurde ich an der Uni ganz anders sozialisiert.
Augenfällige Spuren hat die neue Weiblichkeit nicht hinterlassen: Aktuell sind im Haupthaus Marc Chagall, Jim Dine, Adrian Ghenie, Robert Longo und Monet bis Picasso zu sehen, in der Albertina Modern sind es Erwin Wurm und Alfred Kubin. 19. Frage: Wie das?
Schröder
Tatsächlich waren für heuer Ausstellungen zur Fotografin Lisette Model und zu den britischen Malerinnen Jenny Saville und Cecily Brown geplant, beide mussten verschoben werden, Model und Saville finden nun 2025 statt. Die jetzige Ballung all dieser männlichen Künstler ist mir unangenehm, trotzdem freuen mich diese Ausstellungen, weil sich mit ihnen ein Kreis schließt: Sie alle haben etwas mit meinen Anfängen an der Albertina zu tun.
Sie haben seit 1999 neun Regierungswechsel und noch mehr Kulturverantwortliche erlebt. Wie war Ihr Verhältnis zur Politik?
Schröder
Es gab und gibt Politiker, die an Kunst sehr interessiert sind, die Albertina oft besuchen, Kunst leidenschaftlich lieben. Etwa Wolfgang Schüssel, der –selbst Zeichner– das Genre der Zeichnung besonders liebt. Manche Politiker habe ich hier nie gesehen. Sie spiegeln eben die Bevölkerung wider. In meiner Amtszeit gab es immer nur zwei Kanzlerfarben: Rot oder Schwarz. Zu manchen Politikern habe ich bewusst Distanz gehalten, denn ein weiteres Foto von mir macht mich nicht bekannter, aber den Politiker an meiner Seite vielleicht attraktiver, als mir recht ist. Daher habe ich Fotowünsche mit mir seitens einer bestimmten Partei stets abgelehnt. Sie werden erraten können, von welcher Partei ich spreche.
Sind Sie froh darüber, dass Sie, bevor die Kanzlerfarbe sich ins Blaue wenden könnte, abtreten?
Schröder
Ich gehe fix davon aus, dass es keinen blauen Kanzler geben wird. Eher wird es zu Neuwahlen kommen, falls die drei anderen Parteien nicht zusammenfinden.
Sie wollten einst selbst Maler werden. Sehen Sie Ihre Karriere als eine Spätfolge dieses Wunsches?
Schröder
Natürlich, denn ich wollte unbedingt Künstler werden. Mein Vater dachte, er könne mich dazu bringen, dass ich in Linz Jus studiere. Ich ging aber nach Wien, wollte nur ein Semester Kunstgeschichte zur Überbrückung studieren, bis zur Aufnahmsprüfung an der Akademie. Allein, die Kunstgeschichte hat mich so gefesselt, dass ich dabei geblieben bin. Aber das Zeichnen und Malen hat mich durch die Matura getragen, weil der Vorsitzende nicht als Fußnote in der Biografie eines Künstlers als derjenige landen wollte, der ihn schulisch scheitern ließ: Dabei hätte es sicher viele Gründe gegeben, mich scheitern zu lassen. Meine Aktzeichnungen und Landschaften haben mir das Leben gerettet.
Ihr Lieblingsgedicht stammt von Andreas Gryphius, sein Titel: „Es ist alles eitel“. Sie lieben barocke Vergänglichkeitslyrik?
Schröder
Ich halte dies für eines der großartigsten Gedichte. Wahrscheinlich nicht besser als 100 andere Meisterwerke der Poesie. Aber eines, das mich mehr trifft als jedes andere.
Denken Sie so darüber nach, dass auch Ihr Lebenswerk vergänglich sein wird?
Schröder
Nein, aber ich bin vergänglich. Meine älteren Geschwister behaupten, ich hätte schon als Kind immer davon gesprochen, dass ich eines Tages nicht mehr sein werde. Die Museen sind von Dauer. Sie haben Revolutionen, Monarchien, Diktaturen überlebt, die Erste und die Zweite Republik, galoppierende Inflationen. Diese Dauer von Museen ist es, die ich Mäzenen und Sammlern als Gegenleistung offeriere. Es gibt nicht viele Einrichtungen, die 250 Jahre alt sind. Innerhalb dieser langen Geschichte überschätzen sich Direktoren oft maßlos. Ich habe mit der Modernisierung der Albertina, der Gründung neuer Sammlungen und Standorte breite Spuren hinterlassen. Aber man kann auf dieser Orgel auf meine oder auch auf ganz andere Weise spielen.
In wenigen Wochen wird Ralph Gleis die Albertina übernehmen. 23. Frage: Haben Sie vor, ihm ein bisschen auf die Nerven zu gehen?
Schröder
Nein, ich werde ihm auf keinen Fall Ratschläge geben. Schon gar nicht öffentlich. Wenn er mich um Rat fragt, antworte ich ihm unter vier Augen. Ich habe dafür seit meiner Kindheit ein großes Vorbild. Ich wollte stets amerikanischer Präsident werden, seit meine Mutter mir erklärt hatte, dieser könne sich das Essen nach Belieben aussuchen. Ich wollte immer Cabanossi und Vanillepudding haben. Dann hat sie mir zum elften Geburtstag elf Schlingen Cabanossi geschenkt. Das kann ich nicht vergessen. Außerdem dürfe der US-Präsident auch nachts ins Museum gehen. Das gefiel mir. Und drittens äußere sich ein Präsident niemals zu seinem Vorgänger. Ralph Gleis wird von mir, von der Seitenlinie aus, keinen Zuruf erhalten. Ich freue mich darüber, dass er bestimmt anders arbeiten wird als ich. Es wäre abstrus, würde man in 20 Jahren noch Ausstellungen auf meine Art und Weise konzipieren.
Können Sie sich schon mit der Vorstellung Ihres Ruhestandes anfreunden? Klaus Albrecht Schröder, ehemaliger Albertina-Direktor, nunmehr Pensionist?
Schröder
Ja. Warum sprechen Sie das wie ein Todesurteil aus? Als Generaldirektor werde ich ab 2025 ein Emeritus sein. Natürlich würde ich manche Veränderungen, die die Welt in Zukunft ereilen werden, gerne noch miterleben. Und möglicherweise würde ich nicht tatenlos herumsitzen.
Letzte Frage: Was steht an? Bibliothek und Kunstsammlung pflegen?
Schröder
Freunden und Interessierten Kunst mit meinen Augen und meinem Wissen zeigen, vielleicht auch Transformations- und Change-Management mit meiner Praxiserfahrung lehren.
Sammlungen betreuen? Haben Sie vor, auch in Vorstände zu gehen?
Schröder
Wenn es eine Stiftung wäre, stünde dies zur Debatte, aber diesbezüglich bin ich nicht angesprochen worden. Es gibt Sammler, die meinen Rat suchen, von mir betreut werden wollen.
Wir meinten vorhin Ihre eigene Kunstsammlung, der Sie sich nun intensiver widmen könnten.
Schröder
Da bin ich sehr treu – viel treuer als sonst. Ich habe viele Werke seit den 1980er-Jahren bei mir zu Hause. Da kommt selten Neues dazu. Ich lebe mit Fremden in meiner Wohnung, was viele nicht aushalten würden: mit großen Porträtköpfen an den Wänden, die mich ansehen. Ich esse neben einem lebensgroßen toten Christus und einer Johannes-Schüssel des 16. Jahrhunderts, mit dem abgeschlagenen Haupt des Täufers, voller Blut. Das sind geistige und emotionale Herausforderungen. Wenn Sie das drei Monate lang aushalten, halten Sie es auch 50 Jahre aus.
Wir halten ja im 26. Jahr Ihrer Direktion. Deshalb eine 26. Frage: Ihr Geist wird noch in Jahren durch die Albertina spuken. Sind Gedenktafeln oder Inschriften geplant?
Schröder
Ja, das Museum wird man wohl umbenennen.
In Schröderina oder Albrechtina?
Schröder
Albert von Sachsen-Teschen, der die Albertina 1776 gründete, hat seine französischen Briefe mit „Albert“ unterschrieben, seine deutschen mit „Albrecht“. Mein Mittelname ist Albrecht, französisch „Albert“.
Man muss das Haus also nicht umbenennen, es heißt schon wie Sie!
Schröder
Ja, es kommt nur darauf an, wen man damit assoziiert!
Stefan Grissemann
leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.
Wolfgang Paterno
ist seit 2005 profil-Redakteur.