Kochtöpfe und Kanister
Es ist nicht ganz alltäglich, dass sich Ausstellungsmacher von der Literatur leiten lassen. Doch der Ethnologe Christian Schicklgruber bezieht seine Inspiration gern daraus. Auch als er vor der Aufgabe stand, sein Spezialgebiet zu präsentieren: den Himalaya. Im Oktober 2017 wurde das Weltmuseum am Wiener Heldenplatz wieder eröffnet, das er seit Jahresanfang leitet. Auf der Suche nach Ideen für eine passende Ausstellungsgestaltung fiel ihm damals James Joyces "Ulysses" ein: Wie dessen Protagonist Leopold Bloom einen Tag lang durch Dublin streift, so zeigt Schicklgruber nun dem Publikum, was ein fiktiver Himalaya-Bewohner von morgens bis abends treibt. Er arbeitet in der Natur, kocht, betet im Tempel. Auch Orhan Pamuk kam in den Überlegungen des Kurators vor. "Er schrieb, dass sich Kulturmuseen auf Menschen wie du und ich fokussieren sollten, statt die Geschichte der Päpste und Kaiser zu erzählen." So stößt der Besucher in der Präsentation, die an diesem Vormittag gut besucht ist, auf alltägliche Materialien: Kochtöpfe, Kanister, Schränke, Sensen, ein Radio, ein Handy. Auf einem Video sieht man Menschen in einem Haus sitzen und kochen.
Schicklgruber kennt den Ort gut. "In diesem Haus habe ich in den 1980er-Jahren zwei Jahre lang mit der Familie gelebt", erzählt er: "Nach der Hälfte der Zeit stellte ich erschrocken fest, dass mein ethnografisches Tagebuch leer war - wobei ich schon ziemlich gut war im Ziegentreiben und die Sprache halbwegs beherrschte."
Schicklgruber ist ein drahtiger Mann, ständig in Bewegung. Man sieht, dass er kein Schreibtischmensch ist. Sein Idiom versteckt der gebürtige Oberösterreicher, der seit rund 25 Jahren Museumsarbeit betreibt, keineswegs.
Bis dato trat der neue Weltmuseum-Chef mit seinen Plänen noch nicht an die Öffentlichkeit; profil gibt er nun erste Einblicke. Er möchte mehr Kunst und Fotografie als sein Vorgänger Steven Engelsman zeigen, etwa Arbeiten von Christine Turnauer über die Roma. 2019 wird er eine große Schau zu zeitgenössischer Kunst aus Nepal eröffnen, danach eine Ausstellung über Medizin, in der Themen wie Korruption im Medizinbereich, Seuchen und Hygiene beleuchtet werden. Und 2021 soll sich das Museum mit den Azteken befassen, "mit spektakulären Leihgaben aus Mexiko", wie er ankündigt.
Wenn wir uns in den Diskurs nicht einbringen, können wir zusperren. Ich fühle mich verpflichtet, zu gewissen Auffassungen ein Gegenbild zu präsentieren
Doch ethnologische Museen können sich längst nicht mehr mit schönen Ausstellungen begnügen, besitzen sie doch in brisant diskutierten Themenfeldern - etwa zu Migration und Globalisierung - besondere Expertise. "Wenn wir uns in den Diskurs nicht einbringen, können wir zusperren. Ich fühle mich verpflichtet, zu gewissen Auffassungen ein Gegenbild zu präsentieren", sagt Schicklgruber. Für Herbst plant er eine Ausstellung über das Kopftuch. Wie geht er an die heikle Materie heran? "Wir stellen uns weder als die großen Erklärer hin, noch mischen wir uns in die Tagespolitik ein. Der Aufhänger der Schau ist zwar die Bedeutung des Kopftuchs im Islam, aber wir zeigen auch dessen Funktion im Judentum, in christlichen Religionen oder als Modeerscheinung. Das Kopftuch der Musliminnen werden wir nicht kommentieren, sondern diese selbst zu Wort kommen lassen."
Wie sehr Schicklgruber den Facettenreichtum, die Vielstimmigkeit forciert, zeigt sich auch in seiner Himalaya-Ausstellung. "Wir fragten drei Menschen aus Bhutan, was sie im Tempel tun -einen gelehrten buddhistischen Mönch, eine toughe Geschäftsfrau und einen Bauern. Jeder ihrer Zugänge war anders. Das sind Individuen, die eine Kultur teilen, diese aber ganz unterschiedlich leben." So vielstimmig Schicklgrubers Präsentationen sind, so unterschiedlich wurde auch seine Bestellung kommentiert. Denn er wurde ohne Ausschreibung von Sabine Haag berufen, was für Kritik sorgte. Als Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums (KHM) ist Haag auch für das Weltmuseum zuständig. Vorerst wird der neue Direktor drei Jahre lang amtieren; danach wird Eike Schmidt das KHM leiten und entscheiden, ob er ihn weiter in dieser Funktion beschäftigen will.
Besonders bösartig beklagte ein User im Online-Forum einer Tageszeitung, dass man keinen "Schicklgruber am Heldenplatz" brauche. Der neue Weltmuseum-Chef trägt nämlich denselben Namen wie Adolf Hitlers Vater.
Wird er oft nach dieser Namensgleichheit gefragt? Schicklgruber lacht kurz auf und erzählt von absurden Begegnungen im Wirtshaus. Er ist nicht mit Hitler verwandt. Und seine Mutter hieß vor ihrer Heirat Marx.