Gegenwartskultur. "Cumernustag" und Gefiedertes aus dem "Mutual Aid Orchestra" bei der Wienwoche
Kultur

Konzerte, Festivals, Kino: Auswege aus dem drohenden Covid-Brachland

Konzerte, Ausstellungen, Partys, Performances und sogar ein richtig verquerer Blockbuster. Kultur-Empfehlungen für die kommenden Tage.

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Ihre Zuversicht ist aktenkundig, und die Garantie liegt auf dem Tisch: "Die Kultur bleibt geöffnet." Kunststaatssekretärin Andrea Mayer hat sich vor wenigen Tagen trotz stark steigender Intensivstationsbelegungen und zahlloser Expertenwarnungen weit aus dem Fenster gelehnt: Es gebe "Planungssicherheit" für den Herbst, ließ sie wissen, denn die neuen Maßnahmen stellten sicher, dass es, wenigstens für Geimpfte, keine weiteren Lockdowns oder Zugangsbeschränkungen geben werde. Die Pandemie sei zwar "noch nicht überstanden", fügte Mayer an, und sie habe "von vielen Menschen aus der Kulturbranche" gehört, dass man mit der Planung von Veranstaltungen zurückhaltend sei, aus Angst vor "gravierenden Einschränkungen". Aber: "Diese Befürchtungen möchte ich der Szene nehmen: Veranstaltungen werden weiterhin stattfinden."

Gerne würde man Andrea Mayer glauben, allein: Es fehlt an Grundvertrauen. In Graz hat Festivalchefin Ekaterina Degot den diesjährigen Steirischen Herbst sicherheitshalber um drei Wochen vorverlegt. Das Motto lautet "The Way Out".Sie wolle raus, präzisierte Degot vergangene Woche in ihrer Eröffnungsrede-"raus aus der Gefahr und raus aus der Sicherheit". Das Leben sei der Ausweg für die Kunst, und die Kunst der Ausweg für das Leben "der Ausweg aus dieser merkwürdigen umzäunten Situation, in der wir uns wiedergefunden haben". Der Steirische Herbst serviert also auch heuer wieder eine bunte Mixtur aus Installationen, Vorträgen, Interventionen, improvisierten Bewegtbildern und etwa einer interaktiven Performance der Medienkünstlerin Hito Steyerl sowie des Schauspielers Mark Waschke (Orpheum, 18./19.9., jeweils 19 Uhr). Die 54. Festivalausgabe wird, wenn nichts dazwischenkommt, bis 10. Oktober laufen - begleitet von einem (auf der Festival-Website nachzulesenden) politischen Liebesbrief des spanischen Queerness-Philosophen Paul B. Preciado an den unbekannten Festivalgast: "Ich richte mich an Dich als eine lebende, sich stets wandelnde, irreduzible Entität. So will ich Dich: im Wandel."

Um soziale Umbrüche und Utopien kreist auch die noch bis 19. September laufende Wienwoche, ein Festival für Kunst und Aktivismus, das nah an aktuellen Diskursen wie Posthumanismus oder Gender-Forschung gebaut ist: Im Tierpark Schönbrunn wird es unter dem Titel "Mutual Aid Orchestra" eine kompositorische Interaktion geben, genauer: ein Konzert für Menschen, Tiere, Bäume, Pflanzen im Zoo (15.9., 14 und 16 Uhr). Die Künstlerin Sara-Lisa Bals dagegen wird, begleitet von der fabelhaften Dark-Ambient-Musikerin Rosa Anschütz, einen Feiertag begehen, den es nie gegeben hat: den "Cumernustag" (19.9., 16-18 Uhr), an dem man sich weibliche Selbstermächtigung verordnet hat und die "lustvolle Überwindung von Geschlechterungleichheit und Repression".

Die Arbeiten zweier Kinomodernisten der 1960er-Jahre stehen im Österreichischen Filmmuseum in einer Doppelretrospektive zur Begutachtung an: Die beiden schwedischen Regiegrößen Bo Widerberg und Jan Troell, die dem existenzialistischen Kino Ingmar Bergmans einst eine klare Absage erteilt haben, galten einst als Speerspitze einer neuen kinematografischen Welle, analog zur sich gerade global entfaltenden französischen Nouvelle Vague. Wer es weniger historisch mag, sei an einen Film verwiesen, der einen das Staunen lehren kann: Das wilde Superhero Movie "The Suicide Squad" des eigensinnigen Blockbuster-Regisseurs James Gunn ("Guardians of the Galaxy", 2014/17) läuft aktuell in österreichischen Kinos.

Auf zwei sehr unterschiedliche Fotoausstellungen sei noch hingewiesen: Neben der sehenswerten World-Press-Photo-Schau im Wiener Westlicht (bis 24.10.) wird der Bildkünstler Peter Rigaud, der oft auch für profil fotografiert hat, eine neue Serie namens "fadisieren" zeigen (Vernissage am 11. September bei art postal in der Wiener Margaretenstraße). Langeweile ist dort genauso wenig zu erwarten wie in der Wiener Grellen Forelle, wo man am 18.9. ab 23 Uhr eine queere Techno Party namens "Fish Market" zelebrieren wird, mit hohem Besuch aus dem mythischen Berliner Berghain.

Abenteuerliche Musik in allen Schattierungen gibt es selbstverständlich auch anderswo: Die Postrock-Experimentatoren Radian spielen am 15.9. im Wiener Fluc am Praterstern, und die soeben eröffneten Klangspuren Schwaz bieten bis 26.9. Programm: Der Komponistin Adriana Hölszky wird ein Schwerpunkt gelten, und Wolfgang Mitterer wird ein neues Werk uraufführen. Auch dieses Tiroler Festival für neue Musik steht unter einem Motto, das den Zeiten, in denen wir leben, angemessen erscheint: "Transitions". Musik für eine Ära der Verwandlung, des Übergangs in unbekanntes Neues.

 

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.