Kulturtipp

Politserie „Hitler und die Nazis“: Oh Weia!

Der Wille zum Schauen ist da, allein die Netflix-Serie schwächelt: Wolfgang Paterno kann die historische Politserie „Hitler und die Nazis“ nicht empfehlen.

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Jetzt haben sie den Hitler vernetflixt! In der Rubrik „Neu auf Netflix“ ist auf dem Portal des kalifornischen Streaming-Riesen kürzlich die sechsteilige Dokumentation „Hitler und die Nazis“ an den Start gegangen. Untertitel: „Das Böse vor Gericht“. 

Der Beginn markiert hier das Ende. Berlin, 30. April 1945. Eine Kamera, heruntergebremst auf Drama-Slow-Motion, beobachtet via Schlüssellochblick eine Schauspielerin und einen Schauspieler in einem verdunkelten, grünstichigen Zimmer: Adolf Hitler nimmt sich zusammen mit seiner Frau Eva Braun das Leben, mit Gift und Pistolenschuss. Aus dem Off ist die Originalstimme des US-amerikanischen Historikers, Publizisten und frühen Radiostars William L. Shirer (1904–1993) zu vernehmen, auf dessen Augenzeugenberichten und Büchern der Ereignisse im Deutschland der Zwischenkriegszeit und des Nationalsozialismus die historische Politserie lose basiert: „Hitler ist also tot und zerstört wie sein Land, das er zum Herrn der Welt machen wollte, aber letztlich völlig zerstörte. Ich muss sagen, in gewissem Sinne, in einem tieferen Sinne, ist dies der Tag, auf den ich seit vielen Jahren warte.“ Es ist nicht Shirers Stimme, die nach lang erhoffter Erlösung klingt, welche das Netflix-Unternehmen „Hitler und die Nazis“ von der ersten Minute an zweifelhaft erscheinen lässt. Man muss kein Historiker sein, um das absurd zu finden: Netflix (er)findet Bilder, die der Streaming-Dienst mit dem heiligen Ernst der Scripted Reality präsentiert, als wäre es ein Leichtes, die Zeitgeschichte zwischen dem Aufstieg der Nazis und den Nürnberger Nachkriegsprozessen mit Suspense und Cliffhanger zu bepacken.   

Damit ist in Folge eins – „Die Entstehung des Bösen“ – der Ton für sämtliche Teile gesetzt, auch wenn später bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit Wagners „Walkürenritt“ in einzelne Szenen hinein posaunt. „Weia! Waga! / Woge, du Welle“, tönt es in „Der Ring des Nibelungen“, was auch ganz gut zu „Hitler und die Nazis“ gepasst hätte. 

Der nervöse Wechsel zwischen Dokumentationsmaterial und nachgestellten Szenen, die Historikerinnen und Historiker, die Kluges und Reflektiertes zur Zeitgeschichte einwerfen – und dabei auf einer Bühne sitzen, deren Vorhänge im Hintergrund fatal an das Hakenkreuzfahnen-Rot der Nazis erinnern: Historie verdichtet sich hier auf besonders verdrehte Weise. Es sieht ein bisschen so aus, als läge der jüngeren Historie ein Drehbuch zugrunde, das die Netflix-Macher nur abzufilmen bräuchten; statt Aufklärung gibt es mehr vom Alten. Nationalsozialismus ist ein böses Phänomen, begraben unter mehreren Schichten aus Propaganda, Menschenhass, Antisemitismus, Verfolgung, Verhöhnung, Massenmord. „Hitler und die Nazis“ wirkt so, wie die Serie ihrem Namen nach klingt: Geschichte auf Samstagabend-Niedrigenergie-Level.  

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.