Familienzuschlag

"The Salesman“: Gefangen zwischen Repression und Moderne

Gefangen zwischen Repression und Moderne

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Brüchige Beziehungen, baufälliges Leben: Ein Haus in Teheran droht einzustürzen, seine Mieter sehen sich gezwungen umzuziehen. Im neuen Domizil aber, das zuvor eine Prostituierte bewohnte, kommt es zu einer unglücklichen Verkettung der Ereignisse; eine Gewalttat produziert Trauma und Rachelust, der Zerfall zweier Familien zeichnet sich ab.

Moralische Ambivalenz

Um die Komplikationen von Schuld und Verantwortung, um Klassen-und Geschlechterverhältnisse kreisen die Filme des iranischen Sozialrealisten Asghar Farhadi. Die moralische Ambivalenz seiner Stoffe fesselt ebenso wie die kriminaltechnische Akribie in den Winkelzügen seiner Kinoerzählungen. "About Elly“ markierte 2009 Farhadis internationalen Durchbruch, das Scheidungs- und Justizmelodram "Nader und Simin“ (2011) seine Ankunft im Pantheon des Weltautorenfilms. In "The Salesman“ nun spielt man Theater: Das zentrale Paar (Shahab Hosseini, Taraneh Alidoosti) gibt, während es in heftige private Turbulenzen gerät, auf der Bühne Arthur Millers "Tod eines Handlungsreisenden“. Das Leben spiegelt sich, wie gehabt, in der Kunst.

Staatskünstlerische Kompromisse

In Cannes 2016 doppelt ausgezeichnet, konnte "The Salesman“ vor zwei Wochen auch den Oscar für den besten fremdsprachigen Film gewinnen; seinen zweiten Academy Award nach der Auszeichnung 2012 für "Nader und Simin“ holte sich Farhadi aus Protest gegen Trumps antimuslimische Einreisegesetze nicht persönlich ab. Anders als Jafar Panahi, Mohsen Makhmalbaf oder Mohammad Rasoulof gehört Farhadi dennoch nicht zu den dissidenten iranischen Filmkünstlern; seine Werke sind, bei aller Intelligenz ihrer Fertigung, durchaus regierungskonform. Ihre Erfolge sind auch das Ergebnis strategischer Anpassungsmaßnahmen an die Vorschriften und Restriktionen der staatlichen Zensurstellen.

Man kann Farhadis Filme (und insbesondere auch "The Salesman“) schätzen; man sollte nur wissen, dass sie - ihrer gesellschaftskritischen Schärfe und dramaturgischen Virtuosität zum Trotz - staatskünstlerische Kompromisse darstellen.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.