Kritik: Was ist mit den Wiener Theatern los?
Während der Sommer in die Verlängerung geht, wirkt der früh angesetzte Saisonstart im Theater flächendeckend trist. Dabei wollen alle doch so viel: Politisch soll es sein; historische Stoffe, die neues Licht auf die Gegenwart werfen, wurden eigens bearbeitet. In der Josefstadt scheitert Daniel Kehlmanns Flüchtlingsstück „Die Reise der Verlorenen“ daran, dass es keine echten Figuren gibt; das Material raschelt papieren.
Holzhammer
Im Volkstheater lässt Anna Badora Shakespeares umstrittenes Stück „Der Kaufmann von Venedig“ in Casino-Kulissen spielen. Das Publikum darf mittels Applausometer wählen, wer den jüdischen Geldverleiher Shylock spielt. Badoras grelle Trash-TV-Ästhetik fährt mit dem Holzhammer in den Text, die Schauspieler hetzen wie Hamster im Laufrad durch eine Show, die bloß beweist, dass Theater extrem alt aussieht, wenn es das Fernsehen persiflieren möchte.
Platter geht es kaum
Und nun auch noch das Burgtheater: Vollblutschauspieler Nicholas Ofczarek verkörpert „Mephisto“, Sinnbild eines Künstlers, der sich von der Macht korrumpieren lässt, der unter den Nazis zu Ruhm und Ansehen kommt. Regisseur Bastian Kraft inszeniert einen Tanz auf dem Vulkan und stellt der opportunistischen Figur Hendrik Höfgen seinen Autor gegenüber, als sei der Roman gerade im Entstehen begriffen. Der Abend ist phänomenal geheimnislos, die schrill aufgemotzte und viel zu lang ausgewalzte Nacherzählung einer Biografie. Wenn sich Höfgen in den Netzen der Nazis verfängt, wird er auf der Bühne in Seile gehängt. Platter geht es kaum. Es ist schon einigermaßen verteufelt diesen Herbst; gut gemeint bleibt eben oft das Gegenteil von gut gemacht.