Kubelka-Hommage: 24 Sonnenaufgänge in der Sekunde

Der einst verhöhnte Wiener Film-Avantgardist Peter Kubelka erlebt einen späten Karrierehöhepunkt: Im Pariser Centre Pompidou wird diese Woche sein radikales Kino gefeiert.

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Mit Österreich hat Peter Kubelka längst seinen Frieden gemacht, obwohl man ihm einst hier den Krieg erklärte. Das Delikt: 129 Sekunden Film. Ende der 1950er-Jahre musste Kubelka in Schweden untertauchen, weil er seine Auftraggeber düpiert hatte - mit zwei kurzen, streng formalisierten Werbefilmen, die heute zu den weltberühmten Beispielen der Nachkriegsavantgarde zählen, damals aber als Affront gesehen wurden. Die Archaik seines irrlichternden Tanzfilms "Adebar" (1956-57) und der Rigorismus der blutrot und nachtschwarzen Bilderserie von "Schwechater" (1957-58) machten Kubelka zur Persona non grata. Er hege jedoch keinerlei Groll mehr, meint er im profil-Gespräch, "denn diese Art der Zurückweisung ist ganz normal und wurde praktisch allen zuteil, die normale Kunst hergestellt haben. Was Arnold Schönberg komponiert hat, war normal. Die anderen blieben halt lieber bei Brahms' konventionellen Methoden." Er habe übrigens nie versucht, "originell" zu sein, sei stets erstaunt über der Ablehnung gewesen, die ihm entgegenschlug. "Ich wollte normale Filme machen und davon leben wie der Schuster von den Schuhen, der das ja auch kaum noch kann."

Tatsächlich fertigt Peter Kubelka, 83, Filmmacher, Theoretiker, Objektsammler, Kochphilosoph, sein Kino seit je manuell an, klebt nach präzisen mathematischen Konstruktionsplänen ein Filmbild ans andere, um daraus die Illusion frenetischer Bewegung und metrischer Zuspitzung zu gewinnen. Sein filmisches Gesamtwerk ist, auch der Lust an der maximalen Verdichtung und der aufwendigen Gestaltungsprinzipien wegen, schmal geblieben - historisch aber umso bedeutender. Mitte dieser Woche wird das noch einmal augenfällig werden: Aus Anlass seiner laufenden 40-Jahr-Feierlichkeiten richtet das Pariser Centre Pompidou ab Mittwoch eine fünftägige "Hommage à Peter Kubelka" aus. Gleich der erste Abend wird das sprichwörtliche Monument, das Kubelka dem analogen Kino errichtet hat, ausstellen: Kubelkas gänzlich abstrakter, komplex rhythmisierter Film, "Arnulf Rainer" (1958-60), gebaut aus Licht und Finsternis, aus gleißendem Weiß und reinem Schwarz, aus ohrenbetäubendem Rauschen und (relativer) Stille, trifft da auf seine Inversion, das jüngste Werk des Künstlers, auf "Antiphon" (2012), eine Art Negativ des Originals. Nach den jeweils sechseinhalbminütigen Vorführungen dieser beiden 35mm-Filme wird es zu zwei Doppelprojektionen kommen, wobei die beiden Werke erst nebeneinander, dann übereinander auf die Leinwand gestrahlt werden: 26 Minuten stroboskopisch lärmende Kino-Ekstase.

Die Idee, das Filmische auf seine wesentlichen Elemente zu reduzieren, ist für Kubelkas Denken zentral. Die Pariser Hommage, die für ihn "schon ein großer Augenblick" sei, geht auf eine Zusammenarbeit zurück, die bereits vor der Gründung des Beaubourg, wie das Centre Pompidou gern genannt wird, ansetzte. Um 1974/75 begann Kubelka für Gründungsdirektor Pontus Hultén mit der Arbeit an einer Geschichte des avantgardistischen Kinos für die Sammlung des Hauses, die er schlicht "Une histoire du cinéma" nannte - auch um darauf hinzuweisen, dass die Filmhistorie sich nicht primär aus dem industriellen, erzählerischen Kino speist, sondern an der scheinbaren Peripherie der Formexperimente entsteht.

Wir waren uns früh einig, dass der unabhängige Film ein Gebiet war, das die Museen moderner Kunst keinesfalls vernachlässigen durften

Er habe Hultén seit der Brüsseler Weltausstellung 1958 gekannt, erzählt Kubelka: "Wir waren uns früh einig, dass der unabhängige Film ein Gebiet war, das die Museen moderner Kunst keinesfalls vernachlässigen durften. Hultén hat also eine Sektion für experimentellen Film im Pompidou eingeführt - obwohl mir der Begriff des ,Experimentalfilms' nie zugesagt hat, weil er abwertend, von der Industrie her gedacht ist. Er beauftragte mich, eine Avantgardefilmsammlung für sein Haus anzulegen, damit eine alternative Filmgeschichte zu schreiben, die - wie in allen anderen Medien auch - von der Überzeugung ausgeht, dass nicht der Mainstream die Geschichte schreibt. James Joyce schrieb Literaturgeschichte, nicht Hedwig Courths-Mahler. Im Kino ist das genauso: Da sind es Fernand Léger und Dziga Vertov, später die Avantgarde nach dem Zweiten Weltkrieg, die alle zeigen, dass der Film als Medium eine autonome Kunstgattung ist, die durch keine andere ersetzt werden kann - eine nicht bloß abbildende, sondern eine genuin eigenständige Kunst."

So entstand ein Filmzyklus für Paris, ganz ähnlich jenem, der seit 1996 jeden Dienstag im (von Kubelka 1964 gegründeten) Filmmuseum läuft: ein Bildungsprogramm für all jene, die ahnen, dass das Kino nicht nur ein Medium für Schauspielervirtuosität und Geschichtenerzähler ist. Kubelkas Museumsarbeit hatte immer "polemischen Charakter, richtete sich gegen die Konventionen der Kunstmuseen. Meine Programme sind ja keine Bestenlisten, sondern eine demonstrative Sammlung aus spezifischen Werken, die den harten Kern des Mediums berühren. Wer meinen Zyklus zur Gänze betrachtet, hat ein nichtverbales Wissen und ein Gefühl über all das erworben, was der analoge Film zu leisten imstande ist."

Film wird schlicht noch immer nicht auf Augenhöhe mit Malerei und Skulptur präsentiert

Nach einer Buchpräsentation am Donnerstag, bei der Christian Lebrats Fotoband "Chez Peter" vorgestellt wird, zeigt man am Freitag alle acht Filme Kubelkas, die - zwischen 1954 und 2012 entstanden - kaum länger als eine Stunde Projektionszeit in Anspruch nehmen: von "Mosaik im Vertrauen" bis zu "Antiphon". Am Samstag steht Martina Kudláčeks vierstündiges Filmporträt "Fragments of Kubelka" (2012) auf dem Programm; am Sonntag schließlich wird Kubelka ab 16 Uhr eine rund anderthalbstündige "Conférence en mouvement", eine kommentierte Reise durch die permanente Kollektion des Centre Pompidou, abhalten (Anmeldung unter [email protected]). Dabei werde er die moderne Sammlung des Pompidou interpretieren und unter anderem zeigen, "wie die Museen das Kunstmedium Film völlig falsch ausstellen, bei Tageslicht nämlich und in digitalisierten Schleifen. Film wird schlicht noch immer nicht auf Augenhöhe mit Malerei und Skulptur präsentiert." Das sei - auf Kuratorenseite - "eine Frage der Bequemlichkeit, des Unverständnisses und der Faulheit". Denn Film habe einen Anfang und ein Ende. "Er findet in einem verdunkelten und schallgeschützten Raum statt. Nur dann existiert er. Alles andere sind Möbelstücke mit einem audiovisuellen Ereignis drauf."

So wie unser Schicksal Tag für Tag durch die Schlafnacht getrennt wird, so wird auch der Ablauf des Schicksals auf dem Filmstreifen in statische Bilder geteilt, zwischen denen gewissermaßen Nacht herrscht

Dies ist leider auch im Pompidou so, wo man zentrale Avantgardefilme als blasse Digitalkopien in hellem Museumslicht sehen kann. Kubelka freut sich darauf, den Finger erneut in die Wunde zu legen. Die Essenz seines Mediums zu zeigen, darum geht es ihm; die Maschinerie, die das Kino braucht, ist dafür entscheidend. Der Filmprojektor sei "ein Modell der kosmischen Situation unserer Erde im Verhältnis zur Sonne. Die Lampe im Projektor ist die immer gleichbleibende, lichtgebende Sonne, davor befindet sich das Malteserkreuz, das den Lichtstrom unterbricht - es entspricht der sich drehenden Erde. So wie unser Schicksal Tag für Tag durch die Schlafnacht getrennt wird, so wird auch der Ablauf des Schicksals auf dem Filmstreifen in statische Bilder geteilt, zwischen denen gewissermaßen Nacht herrscht. Im Kino geht jede Vierundzwanzigstelsekunde die Sonne auf und wieder unter. Das ist ein Modell unserer Welterkenntnis, wie der Löffel ein Abbild des Unterarms und der gehöhlten Hand ist. Alle menschlichen Erfindungen haben ihre Modelle in der Natur. Tatsächlich ist der Projektor ein Modell des fortschreitenden menschlichen Schicksals, geteilt in Schlaf und Tag, ablaufend am Filmstreifen, Bild für Bild, bis ans Ende."

Dieser Artikel stammt aus dem profil Nr. 15 vom 10.4.2017. Das aktuelle profil können Sie im Handel oder als E-Paper erwerben.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.