20 Quadratmeter Unglück: Kultur in Zeiten von Corona
Liebesszenen und Schlägereien sind derzeit schwierig, auch in der Kunst. Theater- und Filmproduktionen werden in der Regel von nicht gemeinsam unter einem Dach lebenden Personen erarbeitet – Kuss und Faustschlag also exklusive. Wie aber soll man auf Sicherheitsabstand Theater spielen, Filme drehen? Man müsse schon aufpassen, dass man, auch als Regierung, „selbst nicht skurril wird“, wenn man die Details für künftig mögliche Kulturveranstaltungen festzulegen versuche, sagte Vizekanzler Werner Kogler selbstironisch noch. Und er hatte nicht Unrecht.
Die Pressekonferenz, die Kogler als Ressortverantwortlicher gemeinsam mit Kunststaatssekretärin Ulrike Lunacek Freitagmittag abhielt, um über den Planungsstand in Sachen Kulturmaßnahmen zu informieren, geriet zu einem Dokument großer Ratlosigkeit. Man denke „Lockerungen und Öffnungen“ an, sprach Kogler, aber die meisten davon seien alles andere als „fix“. Man müsse naturgemäß, auf Basis der Neuinfektionszahlen, alle paar Wochen überprüfen, abwägen und abmessen. Man sei aber fest entschlossen, ab Mitte Mai „Orte der Präsentation“ öffnen, jedenfalls Museen „und ähnliche Einrichtungen“, möglicherweise kleine Clubs oder geringer dimensionierte Freiluftveranstaltungen. Ab 1. Juli allerdings werde „die Situation schon ein bisschen kniffliger“, so Kogler.
Sie habe dennoch drei gute Nachrichten, sprach Lunacek anschließend: Kleinere Museen werden also ab Mitte Mai ihre Türen öffnen dürfen, wohlgemerkt nicht die Bundesmuseen, Kulturveranstaltungen „hoffentlich“ ab Anfang Juli, darüber werde man Mitte Mai entscheiden. Dies betreffe etwa Freiluftkinos, auch Theater, Chöre und Orchester. Die meisten Kinos aber werden, angeblich auf eigenen Wunsch, bis Anfang September geschlossen bleiben.
Großveranstaltungen, bei denen „viele Menschen ganz eng und stehend zusammenkommen“, werden auch im Juli und August nicht möglich sein, sagte Kogler. Stadtfeste also, Musikfestivals, natürlich auch das Donauinselfest. Was genau im Sommer an Kultur angeboten werden könne, sei ebenfalls erst Mitte Mai wirklich festzulegen. Ob die Sommerfestspiele in Salzburg und Bregenz, in welcher Form auch immer, stattfinden können, bleibe ebenfalls bis Ende Mai noch offen – aber nichts, was Kogler und Lunacek sonst noch formulierten, ließ auch nur die geringste Hoffnung aufkeimen, dass die Festspiele 2020 tatsächlich über die Bühnen gehen könnten.
Wenn es darum gehen soll, auch die Kulturwirtschaft wieder hochzufahren, muss man ihr ermöglichen, ein nennenswertes Publikum zu erreichen.
Noch im Mai sei es immerhin möglich, im professionellen Kulturbereich wieder zu produzieren, zu proben und zu trainieren – aber auch hier wohlgemerkt nur allein oder auf 20 Quadratmeter Freifläche. Restaurierungswerkstätten, Ateliers, Fotostudios könnten geöffnet werden. Filmproduktionen seien bis auf Weiteres leider nicht möglich, da gehe der Schaden zwar mittlerweile „in die Millionen“, wie es Lunacek fast schon fahrlässig untertreibend formulierte, aber Drehbücher zu schreiben sei vorerst ja denkbar.
Man wolle aber bestimmte Veranstaltungen eben auch ermöglichen, allerdings gelte hier der „altbekannte Mindestabstand von einem Meter“, das sei, „was die Dichte betrifft, 20 Quadratmeter für eine Person“, so Kogler. Man musste angesichts dieser Ansage ins Grübeln kommen. Nun wird ein Menschenkörper, sitzend oder stehend, wenn er die Arme nicht gerade ausstreckt, einen guten Quadratmeter in Anspruch nehmen. Warum aber 19 weitere um ihn herum freigehalten werden müssen, also in jede Richtung mehr als vier Meter Abstand gelten sollen, erklärte niemand. Natürlich war die Zahl aus dem unlängst vorgelegten Maßnahmenkatalog für den Gebrauch der wiedereröffneten Geschäfte übernommen, aber wenn es beim Einkaufen denkbar sein mag, sich für die wenigen Minuten der Erwerbsabwicklung einen derartigen Schutzraum zu nehmen (und gleich wieder freizugeben): Kulturveranstaltungen fast sämtlicher Art wird diese Regelung verunmöglichen. Denn es würde bedeuten, dass Auditorien lediglich schütter besetzt werden könnten, und das ergäbe wirtschaftlich wohl praktisch für keine Institution Sinn.
Klar: Es geht auch hier um den bestmöglichen Schutz vor Ansteckung, die Besorgnis bleibt nachvollziehbar; aber Angebote dieser Art sind keine Lösung. Wenn es darum gehen soll, auch die Kulturwirtschaft wieder hochzufahren, muss man ihr ermöglichen, ein nennenswertes Publikum zu erreichen – oder man muss vorläufig bei der klareren Mitteilung eines Aufführungsverbots bleiben und die horrenden Verluste möglichst vollständig ausgleichen.