„Salzkammergut 2024“ war ein Projekt weniger Haupt- und vieler Nebenschauplätze, das die Region mit Kunst und Kultur gewissermaßen durchzulüften beabsichtigte, das am Ende nun aber im Traunsee versinkt, worüber noch zu sprechen sein wird.
Überaus passend scheint es da, dass Xenia Hausners Plastik „Atemluft“ auf dem Bad Ischler Bahnhofsvorplatz eine der letzten Salzkammergut-Aktionen einläutet – neben der Fotoausstellung „Åhnlroas“ im Sisipark, einer fröhlichen Inszenierung älterer Menschen, und der Erste-Weltkriegs-Recherche „k. u. k. kritisch und kontrovers“ im Kurpark samt Comic-Galerie. Silbrig schimmert das „Atemluft“-Frauenhaupt vor dem Bahnhof in der Sonne, eine rostgrüne Sauerstoffflasche auf dem Kopf: lebensrettendes Luftschnappen, saisonal eben nach Kunst und Kultur.
Schwankendes Schiff
Die Kulturmanagerin Elisabeth Schweeger leitete und lenkte als Intendantin das XXL-Vorhaben. „Es war eine große Herausforderung, ein schwankendes Schiff sicher in den Hafen zu führen“, sagt sie. „Den ländlichen Raum, der so geschichtsträchtig und so voll von Traditionen ist, zum ersten Mal als europäische Kulturhauptstadt zu entwickeln, war ein Experiment, das kontroversiell diskutiert und erlebt wurde. Und das ist das Beste, das einzig Richtige, was passieren konnte.“
profil begleitete das Kulturhauptstadtjahr mit einer Artikelserie. Nachfrage bei den Protagonistinnen und Protagonisten der in losen Abständen publizierten Reihe: Wie lautet das Resümee?
„Der Titel ,Kulturhauptstadt Europas‘ hätte die größte Chance des Salzkammerguts seit der Entdeckung der Region als Sommerfrische-Destination durch den Kaiserhof sein können“, urteilt Florian Seiberl, seit 2007 Chefredakteur der im steiermärkischen Salzkammergut ansässigen „Alpenpost“: „Man hat sich aber eindeutig überhoben und mit einem Minderheitenprogramm – welches so gut wie keinen Bezug zur Bevölkerung des Salzkammerguts hatte – einen schlechten Kopisten der Abgehobenheit der städtischen Kulturavantgarde gegeben.“
Der Designer Jörg Hoffmann, der sich selbst „Marcel Prawy des Salzkammerguts“ nennt, sagt: „Was mit Herzblut und Engagement seitens der heimischen Kulturschaffenden begann, endet mit einer gehörigen Portion Zorn und Ernüchterung in Sachen Kulturarbeit. Hierzulande ist jeder froh, wenn’s endlich vorbei ist.“ Es bedarf keiner großen Fantasie, sich vorzustellen, welches Fazit Hoffmann zieht: Die Kunstparty, sagt er, sei gründlich gescheitert.
„Es ist trotz der Schwierigkeiten im Vorfeld gelungen, ein international herzeigbares Programm zu entwickeln“, resümiert dagegen Mario Friedwagner, ehemaliger Geschäftsleiter des Vereins Freies Radio Salzkammergut und Vorstandsmitglied des Festivals der Regionen: „Für mich, einen Aktivisten der freien Szene, waren vor allem die Zwischentöne interessant, denn bei einem Projekt dieser Größenordnung, das in der Lage ist, Eitelkeiten zu bedienen, geht es auch immer um das Abstecken politischer Macht. Insofern musste man leider den Eindruck gewinnen, dass das Salzkammergut durch die Kulturhauptstadt weder demokratischer oder politisch durchlässiger noch europäischer geworden ist.“
Doris Nentwich ist Journalistin in Bad Ischl, wo gerade das Gerücht umgeht, sie sei kürzlich als Redaktionsleiterin der Wochenzeitung „Ischler Woche“ entlassen worden. „Es war meine eigene Entscheidung, um wieder freier agieren zu können“, entgegnet Nentwich. Und das Kulturhauptstadtjahr? „Ein nie da gewesenes Brimborium.“ Für Nentwich ist „Nachhaltigkeit“ das „Unwort dieses Jahres“: „Es wurde und wird von den Verantwortlichen, auch auf Seite der Politik, inflationär strapaziert. Es wird Zeit, das Versprechen einzulösen, dass von diesem über 30 Millionen Euro teuren Projekt, das größtenteils von der öffentlichen Hand finanziert wurde, auch etwas für die Region bleibt.“ Die Kulturhauptstadt müsse sich an ihren eigenen Maßstäben messen: „Man wollte das Mobilitäts- und Bildungsangebot ausbauen, Strategien gegen die Abwanderung junger, gebildeter Menschen vorlegen, die Digitalisierung vorantreiben. All das sehe ich nicht.“
Auf Tauchstation
Wurden also Chancen vertan? Intendantin Schweeger widerspricht: „Du hast keine Chance, also nutze sie!“, sagt sie: „Der kluge Spruch von Herbert Achternbusch gilt! Die Chance war, mit und durch Kunst Aufmerksamkeit auf den ländlichen Raum, seine Potenziale und seine Defizite zu legen: Das ist gelungen. Wie immer bei solchen Großprojekten hätte man noch mehr machen können – weder Zeit noch Geld reichten dafür aus. Und Infrastrukturprojekte, die wir nicht finanzieren dürfen, sollten von vornherein bereits im Rahmen der Bewerbung verbindlich von politischer Seite unterstützt werden, um die Anregungen während der Kulturhauptstadt tatsächlich weitertreiben zu können und nachhaltig Orte der Kreativität und damit Entwicklungsmöglichkeiten der heimischen Kunstszene zu schaffen.“
Am Ende eines langen Kulturjahres öffnen sich in Ebensee die Wasser des Traunsees. Die Künstlerin Eva Schlegel hat im Verbund mit der Digitaltruppe 2MVD bei der ÖBB-Haltestelle „Landungsplatz“ einen Teil ihrer Intervention „Erinnerungen aus der Zukunft“ hinterlassen. Und plötzlich ist da ein Loch: Im Traunsee reißt mittels QR-Code am Handybildschirm ein gigantischer trichterförmiger Schlund auf, der vieles verschlingt. Das Salzkammergutjahr geht auf Tauchstation. Was versinkt, kommt anderswo wieder in Sicht.