Kunst kommt von Erweitern: Das Weltwissen des Künstlers Hans Scheugl
Der Stellenwert des österreichischen Künstlers Hans Scheugl, zweifellos einer der größten dieses Landes, hat sich noch immer nicht ausreichend herumgesprochen. Was auch daran liegen mag, dass er ab Mitte der 1960er-Jahre im Bereich des Avantgardefilms zu einer gewissen Bekanntheit kam, in einer Domäne also, die – kaum gerechtfertigt – als besonders sperrig oder anstrengend gilt. Dabei geht es in der experimentellen Kunst (und insbesondere auch im Werk Hans Scheugls) seit je um die lustvolle Erweiterung der Wahrnehmung und der Gattungsgrenzen, um produktive Herausforderung und einen sinnlichen Kitzel, den die „Normalkunst“ niemals vermitteln könnte.
Inzwischen blickt Scheugl auf gut sechseinhalb Jahrzehnte kreativer Arbeit zurück, auf ein Werk, das auch Fotografie und Literatur, Filmkritik und Theorie mit einschließt. Eine zweibändige „Subgeschichte des Films“ veröffentlichte er 1974 gemeinsam mit seinem Kollegen Ernst Schmidt jr.; 1985 arbeitete er für die Sprach- und Psychiatriestudie „Was die Nacht spricht“ mit Elfriede Jelinek zusammen, 1988 veröffentlichte er einen Dokumentarfilm zum Werk des großen Kurt Kren („Keine Donau“). Scheugls berührender und bislang letzter Film, „Dear John“, liegt neun Jahre zurück.
Die Zeit hat Scheugl zum Schreiben genutzt. Sein jüngstes Buch, erschienen im Klever-Verlag, trägt den Titel „Von fremden Vätern“. Es sind – im ersten, rund 200 Seiten langen Teil – sprachlich höchst präzise, gewissermaßen selbstanalytische Memoiren, in denen er sein Denken und Erleben, sein künstlerisches Arbeiten und seine homosexuelle Entwicklungsgeschichte erstaunlich schonungslos rekapituliert: von den frühkindlichen Erinnerungen an den Vater, der 1944 an der Ostfront fiel, über all die kreativen Abenteuer, aus denen Scheugls vielschichtiges Werk entstand, bis zum Schrecken über die Homophobie einer sich ins Reaktionäre radikalisierenden Gegenwartswelt.
Der zweite Teil des Buchs stellt eine Art schwule Kunstgeschichte dar, von Scheugl gewohnt spitzfindig ausgeleuchtet. Wie nebenbei vermittelt sein Buch ungeahnt detaillierte Perspektiven auf Wiens Kunstszene der 1960er- und 1970er-Jahre, gesehen aus den Augen eines rastlosen Außenseiters.
Zwei Hinweise
Kommende Woche wird Scheugl seinen 84. Geburtstag feiern. Seine Idee vom expanded cinema, der seit den Sixties existierende Traum von einem radikal erweiterten Kino, erfährt nun eine Aktualisierung in zwei von der Wiener Innovativ-Konföderation Sixpackfilm kuratierten Veranstaltungen. Morgen, Donnerstag, wird im Blickle-Kino des Belvedere 21 ab 18.30 Uhr demonstriert, wie vielfältig Live-Interventionen in Kinoprojektionen aussehen können. Das kurzweilige Programm bietet eine Mischung aus historischen Konzeptkunststücken (in Szene gesetzt von Scheugl, Valie Export, Dora Maurer, Moucle Blackout und Ernst Schmidt jr.) und Gegenwartswerken (von Tina Frank, Cosma Grosser, Miao Fangping, Markus Maicher und Daniela Gutmann).
Anderntags, am 15.3. ab 18 Uhr, wird Hans Scheugl – in der Reihe „Talking Screen“ – persönlich in der Factory des Wiener Künstlerhauses auftreten, um seine Fotoserien vorzuführen und aus unveröffentlichten Gesprächen mit seinem alten Mitstreiter Peter Weibel zu lesen. Abschließend wird eines der Meisterwerke Scheugls gezeigt, der elfminütige Farbfilm „Hernals“ (1967), in dem das junge Aktionsduo Weibel & Export eine Art Performance im öffentlichen Raum vollzieht, beäugt von zwei gleichzeitig laufenden Kameras, die Choreografie des Paars zerlegt in nervöser Montage: „Hernals“ feiert den „schizophrenen“ Blick des Kinos, die radikale Entwirklichung, die verdoppelte, gedehnte und zerhackte Zeit.
All jenen, die um Erweiterung ihres Kunstbegriffs bemüht sind, seien diese beiden Programme, die übrigens bei freiem Eintritt zugänglich sein werden, wärmstens ans Herz gelegt.