eine Installation der kubanischen Gruppe Instar, die sich mit dem Schicksal kubanischer Regimegegner befasst

Kunstfestival Documenta: Werkstatt statt Werk

Das Kasseler Kunstfestival Documenta feiert heuer das Kollektiv – mit einer ermüdenden Fülle an Dokumentationen, Handbüchern und Videointerviews. Eindrücke, die ein erster Rundgang lieferte.

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Wenn Verantwortliche eines Kunstfestivals schon vor dessen Eröffnung mehrfach betonen, dass weniger die entstandenen Werke zählten als deren Entstehungsprozesse; wenn die zuständige Kulturministerin, Claudia Roth, erklärt, dass sie für sich möglicherweise kein einziges Bild, keine einzige Skulptur entdecken werde: Was ist dann von einer solchen Megaausstellung zu erwarten? Wie kann man sich als Betrachterin diesem Event nähern, an dem, aktueller Stand, rund 1500 Personen teilnehmen, Organisationsteam nicht eingerechnet? 

Erstmals in der Geschichte der Documenta in Kassel hat ein Künstlerkollektiv diese seit 1955 existierende internationale Kulturveranstaltung kuratiert (profil berichtete). Die zehnköpfige Gruppe Ruangrupa, anno 2000 im indonesischen Jakarta gegründet, machte das kollektive künstlerische Arbeiten zum Thema der 15. Documenta (sie läuft bis 25. September). Dazu lud Ruangrupa weitere Kollektive und einzelne Künstlerinnen und Künstler ein, die teilweise ihrerseits weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer dazuholten. Die Liste der Namen wird vermutlich weiter wachsen, wird doch während der traditionell 100 Tage der Documenta an vielen Projekten beständig weitergearbeitet, die Ruangrupa dem Publikum näherbringen möchte. 

Um diese Documenta zu erkunden, braucht man viel Geduld. Auf 32 Standorte verteilen sich quer durch die Stadt zahllose Initiativen. In der Documenta-Halle präsentiert etwa das kubanische „Instituto de Artivismo Hannah Arendt“ seinen Kampf gegen Zensur und politische Unterdrückung, wobei aufgrund fehlender Informationen vieles im Dunkel bleibt. Ebendort erzählt das Wajukuu Art Project aus Nairobi in einem Video über seine Arbeit mit Kindern in Slums. Im Fridericianum gibt das Asia Art Archive einen – bloß oberflächlichen – Einblick in asiatische Performance, nebenan kann man sich durch eine Bibliothek der Black Archives lesen. Einige Räume weiter hat das tunesische Designkollektiv El Warcha eine Art Werkstatt aufgebaut, mit Holzgerüsten, die Sitzgelegenheiten bergen. Von diesen aus lässt sich ein Video betrachten, in denen Personen in Zoom-Sitzungen über ihre Workshop-Erfahrungen berichten.

Die Fülle an Handbibliotheken mit antikolonialistischer, antirassistischer und antikapitalistischer Literatur, an Grafiken, Tabellen, Skizzen und Notizen, die Arbeitsprozesse festhalten, ist enorm. Viele der Initiativen leisten beeindruckende Arbeit. Doch bisweilen beschleicht einen die Frage, wie es um den künstlerischen Mehrwert bestellt sei. An vielen Stellen feiert diese Documenta ein Revival jenes erweiterten Kunstbegriffs, der von Joseph Beuys’ „sozialer Skulptur“ ausging. Dass diese einst eben hier mit der legendären Aktion „7000 Eichen“ ein Highlight fand, scheint immerhin folgerichtig.

Auf Werke, die mit den Mitteln der Kunst arbeiten, stößt man nicht allzu häufig. Eines davon ist Hito Steyerls Videoinstallation im Naturkundemuseum. Sie dreht sich um die gescheiterte Realityshow, die in das Revier eines Hirten eindringt, und handelt in der eigenwilligen künstlerischen Sprache Steyerls, die Gaming-Ästhetik mit Naturaufnahmen mixt, drängende Fragen ab. Ebenso die Arbeit der Vietnamesin Nguyen Trinh Thi: In einem kreisförmigen alten Turm versetzt sie Chilipflanzen durch Licht in Bewegung – ein faszinierendes Schattentheater, das eine traurige Geschichte rund um ein Gefangenenlager als Hintergrund hat. Ebenso beachtenswert ist ein Kollektiv mit dem Namen Off-Biennale Budapest, das Roma-Kunst versammelt, darunter die schockierenden KZ-Zeichnungen der 2013 verstorbenen Österreicherin Ceija Stojka. 

Leider vernachlässigt die Documenta die Grundbegriffe des Kuratierens: Wer winzig gedruckte Saaltexte auf Wadenhöhe hängt, demonstriert eine ziemliche Nonchalance seinem Publikum gegenüber. Wobei jede Information ohnehin schon eine Offenbarung darstellt in dieser weitestgehend erschütternd schlecht vermittelten Ausstellung. Aber vielleicht ist diese ohnehin weniger für ein traditionelles Kunstpublikum gedacht, das aus Wien, New York oder Tokio anreist, sondern richtet sich eher an alle jene, die selbst involviert sind – und an das Netzwerk, das sich im Lauf der 100 Tage weiter ausweiten wird. Ob eine solche Kunstausstellung freilich über sich selbst hinaus Strahlkraft entwickeln kann, bleibt fraglich. 

Nina   Schedlmayer

Nina Schedlmayer