Kunstmarkt in Männerhand: „Man muss extrem sein“

Die Tiroler Künstlerin Katharina Cibulka stickt feministische Forderungen überlebensgroß auf Staubschutznetze. Sie hängen aktuell am ehemaligen Hotel Kummer in Wien oder auch in Rabat, Marokko, auf der weltweit ersten Biennale, die nur Frauen zeigt.

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Begonnen hat Cibulka 2017 dieses „SOLANGE“ betitelte Projekt kurz vor dem Aufflammen der metoo-Bewegung im traditionellen Kreuzstich. Die Werke hängen mittlerweile an unfertigen Gebäuden in ganz Österreich. In profil erklärt sie, warum der Kunstmarkt noch immer ein Jungsclub ist und welche Kräfte im Land ihre politischen Netze um jeden Preis verhindern wollen.

INTERVIEW: REBECCA SANDBICHLER

profil: Sie sind gerade als eine der wenigen westlichen Künstlerinnen auf der Biennale in Rabat ausgestellt. Ist das Ihren Netzen geschuldet? Cibulka: Genau. Der algerisch-französische Kurator Abdelkáder Damani hat ein Foto von meinem Netz mit dem Spruch: „As long as the art market is a boys’ club, I will be a feminist“ gesehen und angeblich laut gelacht. Er war zu dem Zeitpunkt schon beauftragt worden, die Biennale 2019 in Rabat zu kuratieren und wusste, dass es die erste Biennale sein würde, die nur Frauen ausstellt. Er fragte mich, ob ich nicht so ein Foto beisteuern könnte. Für mich war klar: Ein Foto ist doch langweilig. Natürlich will er ein Netz haben.

profil: Aber? Cibulka: Das war gar nicht so einfach, denn es gibt dort weniger hohe Häuser als bei uns und es wird auch nicht so viel mit Gerüsten gebaut. Er meinte, so werde wohl nichts draus. Aber ich wollte dort unbedingt etwas realisieren. Also recherchierte ich von Österreich aus nach möglichen Baustellen und kontaktierte ihn immer wieder. Irgendwann schickte er mir ein Foto vom Museum für moderne Kunst, der Hauptschauplatz der Biennale. Das habe einen Vorbau – ob das nicht gehen würde?

profil: Jetzt hängt dort tatsächlich eines Ihrer Staubschutznetze mit einem gestickten Spruch in Arabisch und Englisch. Cibulka: Ich musste zuerst schon überlegen, ob ich von meinem Konzept so abweichen will. Die Idee ist ja, dass die bestickten Netze an Baustellen hängen, nicht vor einem Museum. Aber es ist die erste rein weiblich besetzte Biennale weltweit, das passte einfach. Für mich ist das die Baustelle schlechthin.

Die Tiroler Künstlerin und Filmemacherin Katharina Cibulka

profil: Gerade zugeflogen ist Ihnen diese Teilnahme also nicht. Cibulka: Zwar hat das „SOLANGE“-Projekt mittlerweile sehr gute Presse und es gibt einige offizielle Stellen, die interessiert wären. Vordergründig kommt viel Begeisterung, die negativen Stimmen hört man eher hintenrum. Selbst wenn endlich eine passende Baustelle gefunden ist, kann immer noch etwas schiefgehen. Es setzen sich oft im letzten Moment noch Kräfte durch, die so ein Netz unbedingt verhindern wollen. Manchmal sind es die zukünftigen Mieter oder „jemand aus dem Vorstand“. Ich habe da schon die verrücktesten Mails bekommen. Einmal war das Netz sogar schon fertig getextet, da kam die Absage aus der Marketingabteilung des künftigen Eigentümers: Man möchte es nicht aufhängen, das sei keine Kunst. Viele haben ein Problem mit dem Begriff Feminismus. Auch wenn ich an Schulen bin und mit Jugendlichen rede, höre ich oft: „Wir dachten, alle Feministinnen sind Männerhasser.“ Für manche ist das einfach nur ein unnötiges Projekt. Frauen hätten doch schon alles erreicht.

profil: Dass es nicht ganz unnötig ist, belegen Sie mit zahlreichen Statistiken zu Ihren Sprüchen. Woran merkt man denn zum Beispiel, dass der Kunstmarkt ein „boys' club“ ist? Cibulka: Frauen sind zum Beispiel in den Museen immer noch unterrepräsentiert. Bei den Galerien ist es schon besser, ein Viertel bis ein Drittel sind Frauen. Die Quote in den großen Museen mit großen Kollektionen ist natürlich systemimmanent, weil die ganze alte Kunst fast ausschließlich von Männern stammt. Auch im MoMa (Anm.: Museum of Modern Art in New York) wurden bis in die Fünfziger- und Sechzigerjahre quasi kaum Frauen ausgestellt. Obwohl es auch damals großartige Künstlerinnen gegeben hätte. Auch heute noch sind in den großen Museen nur fünf bis acht Prozent Künstlerinnen vertreten.

profil: Das Prinzip wurde in Rabat auf den Kopf gestellt, es werden ausschließlich Künstlerinnen gezeigt. Wie kann man sich das vorstellen: in Marokko, geleitet von einem Mann? Cibulka: Damani hat tolle Künstlerinnen eingeladen; sie stammen vom ganzen afrikanischen Kontinent. Allein das war für mich eine große Horizonterweiterung, weil der Kunstkanon bei uns sehr westlich orientiert ist. Auffallend war aber, dass beim offiziellen Teil der Eröffnung immer nur Männer vorne standen. Seien es die Leute von der Stiftung oder die Minister. In den hohen Posten sitzen natürlich fast nur Männer. Beim Kuratorenteam gab es eine gewisse Vorsicht: Sie haben sich mit der Presse bis zum Schluss zurückgehalten, damit das Ganze nicht schon im Vorfeld zerrissen wird.

Cibulkas Netz am Innsbrucker Dom sorgte für Gesprächsstoff.

profil: Mit starken Reaktionen kennen Sie sich aus. Einer Ihrer bekannteren Sprüche lautet: „Solange Gott ein Mann ist, bin ich Feminist“. Der hing ausgerechnet am Innsbrucker Dom. Cibulka: Ja, das hat natürlich viele gestört und es hat einige Diskussionen gegeben – gerade zwischen den Generationen. Genau so ist es aber auch gedacht. Solange wir miteinander sprechen können, gibt es eine Chance auf Veränderung.

profil: Ihr Spruch in Rabat ist vergleichsweise zurückhaltend: „As long as following our rules is more important than following our hearts, I will be a feminist.“ Wieso? Cibulka: Die große Intention bei diesem Projekt ist, einen Brückenschlag zwischen den Geschlechtern zu ermöglichen und die Kommunikation zu erleichtern. Das ist in einer fremden Kultur nicht so einfach, weil die Hemmschwellen vielleicht woanders liegen. Ich habe im Vorfeld viel gelesen und mich bei Frauen aus Marokko erkundigt, welche Themen es dort gibt. Ganz wichtig ist mir, dass der Spruch wirklich von den Frauen dort stammt und nicht ich als Katharina aus Österreich dort etwas fordere. Die Geschichten der Frauen waren sehr berührend, teilweise schockierend. Von ihnen ausgehend haben meine Mitarbeiterinnen und ich mit dem Texten begonnen. Wenn im arabischen Sprachraum öffentlich Schrift verwendet wird, muss das eine gewisse Poesie haben. Das ist ein Balanceakt, bei dem man nicht zu direkt sein kann. Sonst würde der Spruch wie ein Transparent auf einer Demonstration wirken. Es ist aber politische, feministische Kunst, die vor einem Museum hängt.

profil: Das Netz thematisiert Konventionen, die verhindern, dass wir unseren Herzen folgen. Würde das nicht auch bei uns passen? Cibulka: Die Regeln, die dieser Spruch meint, sind noch weiter zu fassen. Im dortigen Kulturkreis steht das Individuum unter einer großen Beobachtung - von der Gesellschaft aber auch von den nächsten Menschen. Die „rules“ sind also einerseits die gesetzlichen und die gesellschaftlichen Regeln, aber auch die familiären und ganz persönlichen Regeln. Das betrifft nicht nur Frauen, auch Männer begehren dagegen auf. Zufällig entstand genau einen Tag, nachdem das Netz hing, eine neue Bewegung: In der Erklärung „We are outlaws“ geben die Verfasserinnen zu, dass sie Regeln gebrochen haben. Ausgelöst wurde das von einem prominenten Fall, in dem eine Journalistin, ein Arzt und Krankenschwestern eingesperrt wurden, weil sie angeblich eine Abtreibung durchführen wollten. Diese Geschichte zeigt mir, dass wir mit dem Begriff der „rules“ schon ein wichtiges Thema aufgegriffen haben. (Anm.: Die Journalistin Hajar Raissouni wurde mittlerweile zu einem Jahr Haft verurteilt.)

Auf das Netz in Rabat reagieren die Marokkanerinnen teils ausgesprochen positiv.

profil: Welche Reaktionen hat es bisher auf das Netz gegeben? Cibulka: Gerade hat mich der Kurator angerufen: Eine siebzig Jahre alte Frau sei zum Museumsdirektor gegangen um ihm zu sagen: „Danke, auf diesen Satz haben wir all die Jahre gewartet.“ Allein für diese eine Frau hat sich das Ganze schon gelohnt.

profil: Nicht nur in Rabat, auch am ehemaligen Hotel Kummer in der Mariahilfer Straße haben Sie vor ein paar Tagen ein Netz aufgehängt. Kriegen Sie da eigentlich gleich die Reaktionen mit? Cibulka: Ich bin schon immer mindestens vier Stunden mit Aufhängen und Korrigieren beschäftigt. Es ist immer sehr nett, mit den Bauarbeitern auf dem Gerüst herumzuturnen. Die identifizieren sich richtig mit der Arbeit, auch wenn ich nicht sicher bin, wie sehr sie inhaltlich zustimmen. Die Reaktionen, die ich unmittelbar bekomme, sind meistens positiv. Menschen bleiben stehen, machen Fotos und bedanken sich. Viele sagen auch einfach nur: Wow. So ein riesiger Schriftzug aus einem gestickten Kreuzstich, das sieht wirklich schön aus. Und nur etwas Besonderes kann sich von all der Werbung und den Plakaten abheben, von denen wir umgeben sind. Museen und Galerien sind ein extrem exklusiver Bereich, in dem sich einige meist Hochstudierte deine Kunst anschauen. Das Schöne am öffentlichen Raum ist, dass jeder damit konfrontiert wird und sich das anschauen kann, ob er nun will oder nicht. Ich möchte nicht nur eine Elite ansprechen, die eh schon politisch meiner Meinung ist.

Unsere Gesellschaft ist auf Halbe-Halbe nicht vorbereitet. Diese Männergeneration hat überhaupt keine Vorbilder dafür, wie das gehen soll.

profil: In Ihrer Kunst verhandeln Sie schon lange Aspekte der Gleichberechtigung. Gab es denn einen bestimmten Moment, in dem Sie feststellten: Ich bin Feministin? Cibulka: Lange dachte ich, Frauen und Männer seien völlig gleichberechtigt. Ich war eine der ersten Kameraassistentinnen Österreichs, in einer totalen Männerdomäne, und habe in einer reinen Girls-Band gespielt. Ich dachte, mir gehört die Welt. Dann wurde ich Mutter. Und auf einmal war alles anders. Unsere Gesellschaft ist auf Halbe-Halbe nicht vorbereitet. Diese Männergeneration hat überhaupt keine Vorbilder dafür, wie das gehen soll. Plötzlich wird von dir als Frau familiär und gesellschaftlich erwartet, dass du auf drei Spuren gleichzeitig super bist. Ich brauchte damals die Kunst, um das auszuhalten.

profil: Heute scheint feministische Kunst so laut wie lange nicht mehr. Cibulka: Dazu hat #metoo sehr viel beigetragen. Die Energie dieser Bewegung ist schon eine andere, als bei unserem „SOLANGE“-Projekt. Die ganze Opfer-Täter-Sache treibt uns weniger an, wir arbeiten viel mit Humor und Mehrdeutigkeit. Denn wir wollen alle gemeinsam ins Boot holen und Gespräche anstoßen. Trotzdem finde ich #metoo sehr wichtig. Manchmal muss man eben extrem sein, wenn sich etwas ändern soll. Auch die rein weibliche Biennale in Rabat mag extrem sein, aber sonst geht nichts weiter.