Literatur

„Meine Familie war wie ein weißer Fleck, ein unentdecktes Land“

Kurt Palm ist Theaterregisseur, Filmemacher und Bestsellerautor. In „Trockenes Feld“, seinem neuen Buch, macht sich auf die Suche nach der SS-Vergangenheit seines Vaters.

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Es ist ein Tag der Toten. Kurt Palm sitzt in einem Wiener Café und erzählt über seine vor langer Zeit verstorbenen Eltern. Es sind Geschichten über Entbehrung, Verzweiflung und das Gefühl, nirgends zu Hause zu sein. Palms widerborstiger Humor bringt selbst tieftraurige Episoden zum Leuchten. Freitagsnachmittagslicht fällt auf sein kurzärmeliges Hemd. Es ist ein hübscher Zufall, dass die kleinen Totenköpfe auf dem Shirt in vielen Farben schimmern.

Palm ist 69 Jahre alt und wirkt so, als sei er an eine unsichtbare Energiequelle angeschlossen. Für spontane Gesten und Ideen wie im leichten Delirium ist der Theaterregisseur, Filmemacher und Bestsellerautor immer gut. „Einmal wurden wir in der Volksschule nach unserer Lieblingsspeise gefragt, und ich antwortete wahrheitsgemäß ‚Bohnennudeln‘“, erinnert er sich. Später die Vorwürfe der Mutter: „‚Warum hast du nicht Wiener Schnitzel gesagt?‘ Vermutlich schämte sie sich, dass die Lehrerin aufgrund meiner Antwort glauben könnte, dass wir uns nichts Besseres leisten konnten. Oder, noch schlimmer: dass sich meine Eltern als Flüchtlinge immer noch nicht integriert hatten. Zumindest, was das Essen betraf.“

In seinem neuen Buch „Trockenes Feld“ erzählt Palm viele solche Geschichten. Mutter Anna musste Anfang September 1943 aus dem Dorf Kapan im kroatischen Slawonien als Deutschstämmige fliehen. Nach 14 Monaten auf dem Pferdefuhrwerk strandete sie in Neukirchen an der Vöckla – und blieb 13 Jahre lang staatenlos. Erst Ende Februar 1956 wurden die Eltern österreichische Staatsangehörige.

„Ich bekam ein Jahr nach meiner Geburt die österreichische Staatsbürgerschaft, weil ich durch Zufall in Vöcklabruck geboren bin“, sagt Palm. „Womit bewiesen wäre, dass Herkunft nichts anderes ist als ein kulturelles Konstrukt oder eine Gleichung mit vielen Unbekannten. Wären meine Eltern nach Curitiba oder Milwaukee ausgewandert, hätte ich heute einen brasilianischen oder US-amerikanischen Pass. Blut hin oder her.“ Palm lernt neuerdings Kroatisch, die Sprache seiner Großeltern und Eltern, in der er bislang wenige Flüche kennt. Jebem ti boga. Scheiß auf Gott.

Bei der einen Familie ist es die Arbeit, bei der anderen der Alkohol, bei der dritten der Suizid, bei der vierten der Verlust. In meiner Familie war von allem etwas dabei.

Kurt Palm

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.