Justiz

Letzte Premiere: Der Prozess gegen Florian Teichtmeister endete mit einer bedingten Freiheitsstrafe

Am Wiener Landesgericht wurde über Florian Teichtmeisters Zukunft entschieden. Der Angeklagte trat reu- und demütig auf, entsetzt über sich selbst. Eindrücke aus dem Gerichtssaal.

Drucken

Schriftgröße

Auftritte war er gewöhnt, bis die kriminellen Folgen einer psychischen Erkrankung seine Karriere zunichte machten. Auch diesmal trat er wieder ganz ruhig, betont demütig auf die Bühne des Saals, in dem über seine Zukunft entschieden werden würde. Die Nerven, diese wohl letzte Premiere seines Lebens in seinem Sinne hinter sich zu bringen, besaß er. Wiener Landesgericht, großer Schwurgerichtssaal, Dienstag früh kurz nach halb zehn: Strafsache gegen Mag. Florian Teichtmeister. beschuldigt des Besitzes und der Manipulation zehntausender Foto- und Videodateien mit Missbrauchsdarstellungen minderjähriger Opfer sexueller Gewalt.

Zwei Stunden vorher: Im Foyer vor dem Schwurgerichtssaal hält sich das öffentliche Interesse an der Verhandlung gegen den Schauspieler Florian Teichtmeister noch in Grenzen. Ein paar Kamerateams stehen um 7.45 Uhr bereit, knapp zwei Dutzend Prozesskiebitze warten leicht gelangweilt, dazwischen eine Handvoll Journalistinnen, die in ihre Laptops hacken, und Fotografen, die Schnappschüsse der locker herumstehenden Menge anfertigen. Möglicherweise haben sich manche von dem dringenden Appell der hausinternen Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit doch davon abhalten lassen, den Prozess zu besuchen; es werde, wie es hieß, nicht viele Plätze im Saal geben – und ein Gutteil davon sei für die Medien reserviert.


Beifall verboten


Um 9:22 Uhr öffnen sich die schweren Holztore zum Saal, auf denen eine mit Bundesadler verzierte Mahnung prangt: Beifall oder Unmutskundgebungen seien während der Verhandlung bei Strafandrohung verboten, Ton- und Bildaufnahmen sowieso. Ehe der Angeklagte den Saal betritt, werden die Fernsehkameras und Fotoapparate in Stellung gebracht, um noch vor Beginn ein paar Impressionen herzustellen, dann wieder: warten.
Als schließlich der die Verhandlung führende Richter, der per Los bestimmte Schöffensenat, die Sachverständigen, die Staatsanwältin und die Verteidiger gemeinsam mit dem Beschuldigten erscheinen, ist es kurz,  abgesehen vom Klicken der Kameras, sehr still. Florian Teichmeister tritt im taubengrauen Dreiteiler, mit Krawatte und Stecktuch an den Tisch, von dem aus er, mit dem Rücken zum Publikum, das Gericht zu konfrontieren hat, das über ihn gehalten wird. Ein mittelgroßer Mann in mittlerem Alter, randlose Brille, leicht untersetzt, korrektes Äußeres, unauffällig wie ein Magistratsbeamter.

Richter Stefan Apostol eröffnet die Verhandlung, fasst die Vorwürfe zusammen, skizziert sachlich, ohne moralisierende Untertöne den Fall Teichtmeister, der ja ein doppelter ist: Justizsache und Künstlerabsturz. Teichtmeister habe keine Vorstrafen, sei gerichtlich unbescholten, stellt Apostol klar. Zwei Bildschirme links und rechts des Richterpodiums zeigen den sitzenden Angeklagten, gewähren Einblicke in seine mimisch-gestischen Reaktionen. Sein Geständnis sei als deutlicher Milderungsgrund zu werten, eine Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum stehe – neben einem Strafmaß von maximal drei Jahren – dennoch im Raum. Teichtmeister senkt den Blick. Ab 2008 hat er hunderte bis tausende Kindesmissbrauchs-Dateien jährlich heruntergeladen und archiviert, bis er mit dem Ausbruch der Pandemie in eine Eskalation seines Drogen- und Pornografiekonsums geschlittert ist – und sich Zehntausende Bilder und Videos mündiger und unmündiger Opfer sexueller Gewalt allein in den Jahren 2020/21 per Downloads angeeignet hat, daraus teilweise Bearbeitungen, Text-Bild-Collagen und auch Videos angefertigt hat, die den Schauspieler beim Masturbieren zeigen. Der Großteil der auf 22 Datenträgern gefundenen Files, 47.500 Dateien, zeigt schwer missbrauchte, sexualisierte Null- bis 13-Jährige. Auszüge der pädosadistischen Texte, mit denen Teichtmeister etliche Fotos Minderjähriger versehen hat, werden minutenlang verlesen. Der Angeklagte hört sich diese mit schamvoll gesenktem Blick an.

Alles nur Fantasien?


Staatsanwältin Julia Kalmar ortet eine schwere Substanzgebrauchsstörung und zwanghaften Pornografiekonsum. Danach betont Strafverteidiger Rudolf Mayer das Fantasiehafte der Texte Teichtmeisters. Dieser habe seine Neigungen nachweislich niemals in die Tat umgesetzt, keine Handlungen an realen Personen gesetzt. Er habe sich seine Persönlichkeitsstörung nicht ausgesucht. Teichtmeister nickt zu den Ausführungen seines Anwalts, der ein Plädoyer für die Resozialisierung seines Mandanten hält. Sinn für gut gewählte Vergleich besitzt Mayer diesmal nicht: Auch beim Fleischkonsum wüssten viele nicht, welches Leid sie indirekt an den Tieren anrichteten. Er schließt mit diesen Worten: „Unser Mandat braucht keine Gefängnisstrafe, sondern eine Heilung“.

Dann ist Florian Teichtmeister am Wort: Er bekennt sich schuldig, alle Vorwürfe seien korrekt. Er habe Anfang der 2000er-Jahre eine ausgeprägte Pornografiesucht entwickelt. Im Lauf der Jahre sei sein Unrechtsbewusstsein immer geringer geworden durch eine parallel sich entwickelnde Alkohol- und Drogensucht. Bis sie „vollkommen eskaliert“, in Gewaltfantasien ausgeufert sei. Die Frage nach dem Warum beantwortet Teichtmeister so: „Es geht um das Gefühl einer Machtlosigkeit und der Grenzüberschreitung.“ Er befinde sich eben deshalb in Therapie, sei seit zwei Jahren völlig clean, konsumiere keine Missbrauchsdarstellungen mehr, sein therapeutischer Prozess dauere an.

„War nie nüchtern“


Er schreibt sich eine „verdrängte Selbsterkenntnis“ zu. „Ich hätte Hilfe suchen sollen.“ Doch die Vernunft sei leider nicht stärker gewesen als seine Krankheit. Er gibt zu, dass ihn die Bilder, die er zwanghaft sammelte, erregten. Das Alter derer, die er betrachten wollte, wurde immer geringer. Denn er leide „an Ohnmachtsgefühlen seit meiner Kindheit“. Um 2019 sei auch sein Drogenkonsum entgleist. Täglich drei Gramm Kokain habe er konsumiert, über Monate. „Ich war nie nüchtern in dieser Zeit.“ Kokain nehme er seit mehr als einem Jahrzehnt, seit 2018 exzessiv, seit 2019 täglich.

Zum Drogenrausch kam der Rausch durch die verbotenen Bilder. Fast schon zu eloquent erscheint Teichtmeister, während er all dies reumütig zu Protokoll gibt. Der verstörte Autor jener Texte, die er zu Kinderfotos stellte, wohnt offenbar gerade nicht in ihm. Bezogen habe er die inkriminierten Bilder aus dem Darknet. Fotos, die zu weit gingen, habe er wieder gelöscht. „Es gibt“ – und er verbessert sich: „gab ein ,zu jung’“ – ebenso wie angeblich auch ein „zu brutal“. Er habe sich damit getröstet, nicht an der Herstellung der drastischen Aufnahmen beteiligt gewesen zu sein, so habe er sie sich „schöngelogen“.


Hände vors Gesicht


Dreimal werden Teichtmeisters brutale Textfantasien verlesen, die er in den Hochphasen seines Kontrollverlusts und Urteilsvermögens geschrieben habe, wie er berichtet. Diese Texte seien, und er stockt kurz – „einfach schrecklich.“ Er habe „die Grauslichkeit damals in jeder Formulierung auf die Spitze treiben wollen“. Als er seine Abhandlungen hört, schlägt er sich die Hand erst nur vor den Mund, dann beide Hände vors Gesicht. Über 100 Dateien dieser Art gebe es. „Niemand aus meiner Umgebung wusste das Geringste von alledem." Er habe stets Wert auf eine „partnerschaftliche, liebevolle Sexualität“ gelegt im eigenen Beziehungsleben, das 2021 zerbrach. Am Ende wollte er nur noch erwischt werden. „Ich war erleichtert, dass es vorbei war.“ Nun wolle er ein Vorbild für andere in seiner Lage sein, ein Advokat fürs Hilfesuchen. Seine erste Therapiesitzung habe er im Sommer 2021, „wenige Tage nach dem Hausbesuch der Polizei“, gehabt, denen er freiwillig seine Bildträger ausgehändigt hat. Er setze seither alles daran, seinen Entzug „rückfallfrei zu bewältigen“.

Und noch etwas kommt zur Sprache: Auf Teichtmeisters Datenträgern habe man Chats gefunden mit – allerdings volljährigen – Menschen, einem jungen Mann und einer Frau. In diesen Gesprächen vor allem mit Ersterem (1400 diesbezügliche Chats habe man sichergestellt) geht es erneut um sadomasochistische Fantasien. Teichtmeister tritt da als selbststilisierter Zucht- und Sklavenmeister auf. Dem liege derselbe Drang zugrunde wie seinen Texten, sagt er. „Da bricht sich etwas Bahn, das in einem drin ist, seit meiner Kindheit schon.“

„Muss mich pädophil nennen“


Wo er sich selbst in ein paar Jahren sehe, fragt ihn der Richter. „In meinem Therapiefortschritt noch stabilisierter, noch sicherer“, antwortet Teichtmeister. Und: „in einem aufrechten Arbeitsverhältnis.“ Er habe eine Ausbildung zum Kulturmanager, möglicherweise könne er seine erlernten Fähigkeiten in diesem Bereich anwenden. Er sei aber „bereit, jede Arbeit anzunehmen“. Auf die Frage der Staatsanwältin, ob er sich selbst als Pädophilen sehe, entgegnet er, dass daran im Licht der Evidenz wohl kein Weg vorbeiführe: „Ich muss mich pädophil nennen.“

Gerichtspsychiater Peter Hofmann attestiert ihm eine „sexuelle Devianz mit pädosexuellem Inhalt, welche die Dimension einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychologischen Störung erreicht“; bei einem Rückfall in die Drogensucht wäre ein Rückfall in die Missbrauchsdelikte ebenfalls sehr wahrscheinlich. Er empfiehlt dem Gericht, Teichtmeister eine Behandlung in Freiheit zu ermöglichen. „Angesichts der Unbescholtenheit und der mittlerweile stabilen Einbindung in ein therapeutisches Setting, ist aus forensisch-psychiatrischer Perspektive eine bedingte Einweisung zu empfehlen.“

Eine Gefährlichkeitsprognose sei schwer zu stellen: Vier von 100 Tätern, die in einer mit Teichtmeisters Disposition vergleichbaren Situation sind, „gehen tatsächlich irgendwann auf Kinder los“. Es sei jedoch schwer zu identifizieren, wer das sein werde. Da Teichtmeister aber willens sei, reinen Tisch zu machen, und es deutliche therapeutische Fortschritte gebe, empfehle er ein bedingtes Nachsehen der Maßnahmenunterbringung. Vier Weisungen sollten ausgesprochen werden: fachpsychiatrische Behandlung und qualifizierte Psychotherapie, absolute Alkohol- und Drogenabstinenz, zudem Bewährungshilfe. So könne Teichtmeisters potenzielle Gefährlichkeit hintan gehalten werden.

S/M-Einkaufsliste


Staatsanwältin Kalmar wendet noch ein, dass mit weiteren Eskalationen in Teichtmeisters Fall durchaus zu rechnen sei. Dafür sehe sie Indizien: Man habe auf seinen Festplatten auch eine Amazon-Einkaufsliste für sadomasochistische Instrumente gefunden, die eine klare Planungsbereitschaft signalisiere. Kalmar fordert die Verhängung einer „empfindlichen Freiheitsstrafe“ und die Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum.   

Zuletzt ist noch einmal Florian Teichtmeister am Wort: „Es ist sehr erschreckend zu hören, was ich geschrieben und gemacht habe. Ich bereue ehrlich und tief.“ Hinter jeder Abbildung stehe ein sexueller Missbrauch, das wisse er inzwischen, befasse sich seit zwei Jahren mit dem Leid der Opfer. Er übernehme die Verantwortung für sein Tun und entschuldige sich bei all den Menschen, „die sich durch mich verletzt und verraten fühlen“.

Die Schöffinnen, als Laienrichterinnen vereidigt, fällten am Ende mit den beiden amtierenden Berufsrichtern das Urteil: Florian Teichtmeister werde im Namen der Republik schuldig gesprochen und mit einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren bestraft, die ihm bedingt nachgesehen wird. Auch eine Unterbringung im Maßnahmenvollzug wird angeordnet, von ihr wird vorläufig abgesehen – unter der Auflage einer hochfrequenten forensischen Psychotherapie und fachpsychiatrischer Behandlung, unter der Bedingung vollständiger Drogen- und Alkoholabstinenz.

„Nicht dem Ruf der Straße folgen“


Als erschwerend seien der lange Deliktszeitraum und die vielen Vergehen durch die immense Zahl an Bildern zu werten, erklärt der Richter noch, als erleichternd der bislang ordentliche Lebenswandel des Angeklagten. Der Prozess, den Teichtmeister zu erdulden habe, suche seinesgleichen, sagt Apostel schließlich noch. Es habe, anders als in weniger prominenten Fällen, Vorverurteilung und soziale Ächtung, sogar die Forderung nach Todesstrafe gegeben. „Wir folgen in unserem Urteil nicht dem Ruf der Straße.“

Um kurz nach halb zwei Uhr mittags nimmt Florian Teichtmeister das Urteil an, das über ihn gesprochen wurde, er werde keine Rechtsmittel einlegen. Eine Form der Erleichterung ist ihm nicht anzusehen. Dazu gäbe es auch keinen Grund. Aus dem Alptraum seiner Existenz gibt es kein Erwachen.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.