Dem eigenen Legendenstatus lakonisch zu begegnen: Selbstredend gelingt Kim Deal auch das. Wahre Coolness liegt bei dieser Indie-Rock-Kapazität eben nicht im Mythos, sondern in der Kunst, ihn nonchalant zu ignorieren. „Mir ist bewusst, dass die Leute Songs wie ,Cool as Kim Deal‘ über mich geschrieben haben“, berichtete sie neulich dem US-Popkulturportal „Vulture“: „Aber mal ehrlich, wie cool kann ich schon sein? Ich lebe allein in Dayton.“ Dass Deal derzeit öffentlich über ihren – natürlich unerschütterlichen – Coolness-Status sinniert, hat freilich einen guten Grund: Mit 63 wagt sie sich in diesen Tagen erstmals ohne Band-Begleitung ins Rampenlicht, das gerade erschienene Album „Nobody Loves You More“ ist tatsächlich ihr Debüt unter eigenem Namen.
Urknall und Kanonenkugel
Vier Dekaden hat das Zentralgestirn des Alternative-Universums auf seinen Solo-Einstand warten lassen – eine nachgerade singuläre Vorlaufzeit, die der Einzigartigkeit von Deals Karriere aber irgendwie auch angemessen ist. Geboren in Dayton, Ohio, stieß sie Mitte der 1980er-Jahre als Bassistin zu einer aufstrebenden Gitarrenband. Ihr Name: Pixies. Ihr Sound: ein Urknall. Das Frühwerk jenes Quartetts sollte mit seinen stilprägenden Laut-Leise-Dynamiken und fiebrig überdrehten Hooks zur kreativen Blaupause für die Indie-Rock-Revolution der 1990er-Jahre werden.
Doch da hatte Kim Deal die Pixies bereits im Streit verlassen, um sich mit Zwillingsschwester Kelley ihrer eigenen Band The Breeders zu widmen. Eine Entscheidung mit nachhaltiger Resonanz: Die Breeder’sche Post-Grunge-Hymne „Cannonball“ von 1993 etwa, getragen von einem Basslauf für die Ewigkeit, entfaltet bis heute hypnotische Kraft. Dieser können sich selbst die Pop-Ikonen der jüngeren Generation nicht entziehen: Olivia Rodrigo hat sich erst unlängst als Fan geoutet und die Band als Support-Act mit auf Tour genommen.
Landkarte der Schicksalsschläge
Angesichts dieser ungebrochenen Popularität hätte Deal ihr neues Material also leicht über den Breeders-Kanal verbreiten können. Doch ihr Weg führte sie aus gutem Grund in die Solo-Sphäre: „Nobody Loves You More“ ist ein Werk von tiefgreifender Intimität, autobiografisch wie nichts zuvor in ihrem Schaffen. Es offenbart bislang verborgene Facetten ihrer Persönlichkeit, zeichnet eine musikalische, von Schicksalsschlägen geprägte Landkarte der letzten Jahre. Der Verlust beider Eltern zieht sich wie ein Grundton durch dieses Album. Mit der ihr eigenen Leichtigkeit, die immer auch die Hoffnung miteinberuft, trotzt Deal aber der Schwere des Themas. Ein Paradebeispiel dafür ist „Are You Mine?“: ein Song, der die von Demenz verwirrten Worte ihrer Mutter zitiert, aber auch als sanftes Liebeslied gehört werden kann.
Überhaupt bewegt sich das Werk in einem steten Wechselspiel emotionaler Kontraste, das die Künstlerin mit dosierter Nostalgie und ungezügelter Lust an stilistischen Brüchen vorantreibt: Wärmender, von Streichern und Bläsern durchwirkter Pop steht gleichwertig neben gezielten Noise-Eruptionen, Trip-Hop-Anmutungen, Dance-Punk, gar einigen Takten Calypso und Walzer. Wenn eine Musikerin nach 40 Jahren im Geschäft noch mit derart ungebrochen jugendlicher Energie zu klanglichen Entdeckungsreisen einzuladen versteht, dann muss sie wohl tatsächlich so sein: cool wie Kim Deal.