Kino

Liebesfilm in Opposition: Eine Kino-Tragikomödie aus dem Iran

Dissidentes Entertainment: Das iranische Drama „Ein kleines Stück vom Kuchen“ tritt mutig gegen das Mullah-Regime ein – im Gewand einer heiter-melancholischen Beziehungsstudie.

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Eine lustige Witwe, die in Teheran ihrem gut geordneten Alltag nachgeht, lernt einen bescheidenen Taxifahrer kennen, er geht wie sie auf die 70 zu. Die einsame Protagonistin lädt ihn zu sich nach Hause ein – obwohl die iranische Sittenpolizei dies verbietet. Eine späte Romanze zeichnet sich ab. Bei der diesjährigen Berlinale machte der iranische, in Europa koproduzierte crowdpleaser „Ein kleines Stück vom Kuchen“ (Österreich-Kinostart: 26. Juli) von sich reden. Das seit rund zehn Jahren gemeinsam schreibende und Regie führende Ehepaar Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha war bereits während der Fertigstellung seines neuen Films den Repressionen des Mullah-Regimes ausgesetzt; sie wurden mit Ausreiseverbot belegt, ihre Arbeitsplätze wurden durchsucht, und man erstattete Anzeige gegen sie; das Gerichtsurteil steht noch aus. Kinokünstler wie Jafar Panahi und Mohammad Rasoulof wurden aus ähnlichen Gründen schon zu jahrelangen Haftstrafen, Peitschenhieben und Berufsverbot verurteilt.

Was hat die islamistischen Behörden an dieser kleinen Tragikomödie, deren couragierte Gesten aus westlicher Sicht gar nicht leicht nachvollziehbar sind, derart erzürnt? Er zeigt, zum Beispiel, eine Gruppe von Frauen, die sich bei Kaffee und Kuchen unverschleiert miteinander bestens amüsieren. In einer anderen Szene wird ein Mädchen auf der Straße gewaltsam verhaftet, weil sie ihr Kopftuch angeblich nicht gut genug angebracht habe. Übergriffe dieser Art passierten im Iran unaufhörlich, lange vor dem Mord an der 22-jährigen Mahsa Amini vor knapp zwei Jahren, der eine weltweite Protestwelle ausgelöst hat. „Mädchen werden deshalb verletzt oder sogar getötet“, sagt das Regieduo. Mit ihrem Film führen sie der Welt das im Iran herrschende blutige Unrecht vor.

Die fabelhafte Schauspielerin Lili Farhadpour, auch sie muss übrigens mit beruflichen Konsequenzen rechnen, hat am Erfolg dieses Films starken Anteil. Esmail Mehrabi agiert an ihrer Seite kongenial, überlässt Farhadpour aber im Wesentlichen die Bühne. Im Iran ist es Unverheirateten untersagt, sich miteinander in einem Haus aufzuhalten; hier tun sie nicht nur dies, sie trinken auch Alkohol, lärmen, tanzen und berühren einander: alles verboten. So zeigt dieser Film der Sittenpolizei den Mittelfinger.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.