Liebhaber des Vieldeutigen: Nachruf auf Peter Simonischek
Der Schauspieler Peter Simonischek konnte etwas, das die meisten seiner Kollegen nicht ohne Reibungsverluste zu leisten imstande waren. Im Kino war er ebenso eindrücklich wie auf der Bühne, denn er modulierte sein Spiel dem Medium entsprechend – dem Donnergrollen, das er am Theater raumfüllend entfesseln konnte, entsprach der leise Hintersinn, jene fast träumerische, traumtänzerische Qualität, mit der er dem Hochpräzisionssensorium der Kamera oft begegnete.
Mit grundlegender Ironie aber blickte der gebürtige Grazer, aufgewachsen in der Oststeiermark und im Lavanttal, auf seinen Beruf: Die tägliche Routine etwa, die er am Theater zu praktizieren hatte (20 Jahre lang wirkte er im Ensemble der Berliner Schaubühne, 24 weitere in jenem des Burgtheaters) weise „fatale Ähnlichkeiten mit der eines Beamten auf“, erklärte Simonischek 2018 in einem profil-Interview. „Sie stehen in der Früh auf, frühstücken, gehen auf die Probe, die bis drei oder halb vier dauert, dann kehren Sie nach Hause zurück, essen etwas, um abends pünktlich auf die Minute in der Maske zu sitzen. Gegen halb elf haben Sie Ihren abendlichen Auftritt hinter sich, trinken ein kleines Bier und gehen schlafen. Das mach’ ich jetzt schon seit über 50 Jahren.“
Die Theaterkunst nannte er dennoch liebevoll „das Fest des Augenblicks“. Eine „wunderbare Schizophrenie“ wohne ihr inne: „Wenn Sie brav in der Garderobe keine Zigarette geraucht haben und das gebrauchte Geschirr wie versprochen in die Kantine zurückgetragen haben, geht der Vorhang auf – und Sie sind ein Shakespeare-Schurke oder ein Doppelmörder.“ Diesem gleichsam bipolaren Treiben zuliebe opfere man vieles. Auf der Bühne sei man „zwischen halb acht und halb elf eben der alleinige Verwalter seiner Figur. Da kann keiner dazwischenfunken.“
Mit seiner Profession haderte er bisweilen trotzdem: „Gewisse Abhängigkeiten zu akzeptieren wird mit zunehmendem Alter nicht leichter.“ Man müsse mitunter Entscheidungen mittragen, die man selbst so nicht getroffen hätte. Und: „Die Hälfte all jener, die sich Regisseure nennen, ist verzichtbar.“ Große Namen finden sich in der anderen Hälfte. Wäre er Klaus Michael Grüber nicht begegnet, er wäre ein ganz anderer Schauspieler geworden, meinte Simonischek. Auch Andrea Breth, Peter Stein, Luc Bondy prägten ihn tief, „Aber etliche verdienen tatsächlich weder den Regisseurstitel noch das Honorar, das sie beziehen. Warum soll es in diesem Beruf anders sein als sonst wo? Pfeifen gibt es überall.“ Mit einem Regisseur zu arbeiten, der dies geworden sei, „weil er gern recht hat, kann sehr anstrengend sein. Aber auch das Gegenteil ist mühsam: ein Regisseur, der unvorbereitet ist und einem sämtliche Entscheidungen überlässt."
2016 brillierte der Virtuose, an Sandra Hüllers Seite, als grenzwertige Vaterfigur in Maren Ades tragikomischem Film „Toni Erdmann“, in einer Rolle, die zwei sehr charakteristische Simonischek-Parts in sich vereinte: den anarchischen Witzbold und die leicht tyrannische, patriarchale Figur. Nicht nur als Schauspieler liebte er die Ambivalenz, sondern „offen gestanden: auch im Leben“. Auf den Begriff „absolut!“ lasse er stets gern das Wort „obwohl“ folgen.
Sein Beruf war wohl das unumschränkte Zentrum seiner Existenz, dies kann man auch seinem Familienleben entnehmen, mit dem er eine Art Dynastie begründet hat: Seine drei Söhne – Benedikt, Max und Kaspar –, die den Beziehungen mit den Schauspielerinnen Charlotte Schwab und Brigitte Karner entsprangen, wählten allesamt ebenfalls den Schauspielerberuf.
Wie es dazu kam, dass ein Teenager aus dem Lavanttal sich einst in den Kopf gesetzt hatte, Schauspieler zu werden, erklärte Simonischek übrigens so: Dies habe auch mit Fußball zu tun. „Ich beherrschte diesen Sport nicht, weil ich aus der Oststeiermark stammte, die bekanntlich sehr hügelig ist und in der kein Ball ruhig liegen bleiben kann. Also musste ich mir ein anderes Betätigungsfeld suchen – das war die Theatergruppe.“ In der Nacht auf Dienstag erlag der grüblerische Menschendarsteller Peter Simonischek 76-jährig in seiner Heimatstadt Graz einer lange stoisch ertragenen Krankheit.