Literatur: Sabine Grubers Roman über Kriegsfotografen
Krieg ist verstörend und barbarisch. Aber langweilig? "Es hatte ihm nie einer geglaubt, dass viele Kriege öde waren, langweilig, dass sein Beruf vor allem aus Warten bestanden hatte“, schreibt die Wiener Autorin Sabine Gruber in ihrem neuen Roman "Daldossi oder Das Leben des Augenblicks“ über den gleichnamigen Protagonisten, einen ehemaligen Kriegsfotografen. "Warten auf die Gelegenheit. Auf eine Schießerei oder einen Anschlag.“
"Daldossi“ entfaltet kein mit Abenteueranekdoten und Schlachtfeldsensationen gespicktes Heldenstück. Gruber, 52, erzählt von den beruflichen und biografischen Brüchen Daldossis, von dessen hämmernden Fragen im Kopf. Was stellen Terroranschläge mit Menschen an? Welche Spuren hinterlassen die Kollisionen und Unfälle mit der Welt? Wie überlagern die Bilder von den Zerrissenen, Zerfetzten und Zerschlagenen, die Daldossi mit seiner Leica und Nikon fotografiert hat, die Banalität des Wiener Alltags? Gruber, eine der besten Autorinnen ihrer Generation, beschreibt Leben, Leiden und Liebespein Daldossis in schnörkellosen Sätzen, fernab rhetorischer Muskelspielereien, mit der ihr eigenen Ernsthaftigkeit und Akkuratesse einem Thema gegenüber, das bereits im Romandebüt der Autorin angeklungen ist: In "Aushäusige“ (1997) stirbt der Kriegsreporter Denzel, niedergestreckt von einem serbischen Heckenschützen.
Versuch, das Unerklärliche zu erklären
Daldossi ist ein kleines Rädchen im großen Weltkonfliktgetriebe. Der Frontheimkehrer, der sich gegen Ende des Romans mit dem Flüchtlingselend auf Lampedusa konfrontiert sieht, wird von seiner Frau verlassen. Das Privatleben eine nicht enden wollende Konfusion aus Alkohol, Stimmungsschwankungen, Herzrhythmusstörungen; er "dachte in Kriegen“, schreibt die Autorin, und er lebt ein Leben im Irrealis, irrlichtert durch einen ihm fremd gewordenen Alltag. Gruber dramatisiert und psychologisiert nicht, sie versucht das Unerklärliche nicht zu erklären. Sie protokolliert die Folgen von Daldossis Traumata: Die gutbürgerliche Aufgeräumtheit, die Diskussionen um Mülltrennung und Bettwäschewahl stehen mit Daldossis völliger Verlorenheit zueinander wie Feuer und Eis, Normalität und Wahn. Daldossi kann kein gegrilltes Fleisch mehr essen, weil er dann an die verbrannten und verkohlten Leichen denken muss, an die Opfer der Autobombenattentate. Ein Tschetschene, den Daldossi im Guerillakrieg gegen die Russen in der Nähe von Grosny kennengelernt hat, vertraut dem Journalisten an, er könne ohne Menschenfleisch nicht mehr leben: "Er sei ein Psycho. Im Krieg merke er es nicht, da seien alle so, aber zu Hause falle es sofort auf.“
Stumme Zeugen der Zeit
Daldossi laboriere, schreibt Gruber, an "Seelenbrand“ und "Graurauschen“, an den Langzeitauswirkungen seines Metiers. "Mich stört, dass man Kriegsfotografen oft unterstellt, sie seien sensationsgeile Typen, Abenteurer, labile Actionjunkies“, sagt Sabine Gruber. "Die gibt es auch, in der Mehrzahl sind es aber Menschen, die das Unrecht festhalten wollen, die unzählige Entbehrungen auf sich nehmen, um uns Vorfälle in Krisen- und Kriegsregionen näherzubringen.“ Deren Bilder seien Teil unseres Gedächtnisses, unseres Bewusstseins, sie bestimmten unser politisches Handeln, unsere Kultur. Die Fotos der Attentate und Anschläge, der Völkermorde und Massaker sind stumme Zeugen der Zeit, die das Entsetzen in Sekundenbruchteilen speichern, während nebenan die Gemetzel weitergehen. Ein Zitat des deutschen Kriegsfotografen Christoph Bangert dient als Motto für den Roman: "Woran wir uns nicht erinnern, das hat nicht stattgefunden.“ Gruber sagt: "Wir brauchen Bilder, die bezeugen, was geschieht, was geschehen ist. Wir benötigen Augenzeugen. Jedes Foto ist aber auch eine subjektive Wirklichkeitskonstruktion. Es muss kontextualisiert werden, damit es verstanden werden kann.“
"Daldossi“ ist deshalb nicht nur tragischer Liebesroman und Porträt eines Kriegsversehrten, sondern auch aufklärerischer Querschnitt durch eine Epoche Kriegsfotografie-Geschichte. Aus dem sogenannten Bang-Bang-Club, einer losen Verbindung von Fotografen, die während der südafrikanischen Apartheid aktiv waren, treten im Roman Kevin Carter, Ken Oosterbroek und João Silva auf. Carter beging 1994 Suizid; Oosterbroek wurde im selben Jahr erschossen; Silva verlor 2010 in Afghanistan durch eine Landmine beide Beine. An die 2014 ebenfalls in Afghanistan durch Schüsse ermordete Reporterin Anja Niedringhaus erinnert Gruber ebenso wie an Chris Hondros, der 2011 in Libyen durch eine Granate sein Leben verlor. Kriegsfotograf, sagt Gruber, sei kein Beruf. "Es ist eine Art zu leben. Wie das Schreiben übrigens auch.“
Sabine Gruber: Daldossi oder Das Leben des Augenblicks. C.H. Beck, 315 S., EUR 22,60