Lotte de Beer übernimmt Volksoper Wien: No risk, no fun
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VON MANUEL BRUG
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Das Haus soll erstrahlen, pretty in pink, genauer: im Farbton Rosa cyclam 5. So präsentiert sich, wenn die Gerüste bis zum Saisonstart am kommenden Samstag gefallen sein werden, die äußerlich aufgehübschte, ihre notorische Nachkriegstristesse nun mit Farbe veredelnde Wiener Volksoper. Nicht als Grabennymphe, sondern als fröhliche Gürtelschwalbe, so hätte es die neue Intendantin gern, die hier, im ehemaligen Kaiser-Jubiläums-Stadttheater, im immerhin zweitgrößten Opernhaus Wiens, einen Tempel des Frohsinns installieren möchte.
Dabei bringt Lotte de Beer als Niederländerin (und Nachfolgerin des 14 Jahre lang hier regierenden Robert Meyer) auf den ersten Blick nicht die besten Voraussetzungen mit – hat man doch in ihrer Heimat ein höchst gespaltenes, eigentlich ein lupenreines Nichtverhältnis zur Operette. Zwar haben die beiden aktuellen Bayreuth-Recken Andreas Schager und Arnold Bezuyen sich ihre ersten Sängerlorbeeren in holländischen Operetten-Touring-Truppen verdient, aber das ist wie mit der Pornografie: Viele konsumieren sie, doch keiner gibt’s zu. Immerhin, Lotte de Beers Mama hat in einer Laiengruppe Operette gesungen, und die an der Regieschule verfasste Diplomarbeit der neuen Chefin galt Offenbachs „Häuptling Abendwind“, der heute in Nestroys Parodiebearbeitung fast populärer ist.
Die 41-Jährige, die bestens Deutsch spricht, mit dem Dirigenten Steven Sloane verheiratet ist (der in ihrer ersten Saison eine Premiere leiten wird) und eine kleine Tochter hat, ist nun erst einmal bereit, Wien sehr offen zu umarmen. Schließlich hat man eine gemeinsame Vergangenheit: „Mit 15 war ich mit meiner Musikklasse erstmals in Wien, in der Bösendorfer-Fabrik, in der Staatsoper auf dem Stehplatz; als Chor haben wir ein Wien-Programm mit Walzern und Heurigenliedern einstudiert und auf der Straße gesungen. Damit haben wir ordentlich Geld verdient und konnten sehr gut essen gehen!“ Rundum positiv erinnert sie sich auch an die Musikbegeisterung der Wiener. Das nächste Mal war sie erst wieder für Gespräche mit dem Intendanten Roland Geyer da, der ihr für das Theater an der Wien zwei Inszenierungen anbot. Sie fühle sich in dieser Stadt „also durchaus schon künstlerisch zu Hause“. Sechs Produktionen sind es seit 2013 geworden, fünf davon im Theater an der Wien; herausragend war vor allem ihr Bizet’scher „Perlenfischer“ 2014 als Quizshow auf Leben und Tod; in Bregenz ging sie 2017 mit Rossinis „Moses in Ägypten“ leider baden.
Zwar hatte die Regisseurin Lotte de Beer international ordentlich zu tun, aber „während der ersten Corona-Welle kam auch mein Leben zu einem abrupten Halt, mit kleinem Kind und vier Inszenierungen, die gerade vorzubereiten waren“, erzählt sie im profil-Gespräch. Da habe sie noch einmal darüber nachgedacht, was sie eigentlich als Mensch und Künstlerin noch wolle, auch für die Oper an sich. Eine Art Samen habe sie pflanzen wollen, deshalb interessierte sie sich für eine Intendanz, nicht zum ersten Mal: „Eigentlich hat mich Verantwortung im Betrieb seit meinem ersten Praktikum gereizt. Ich fand auch, dass ich mich neuerlich mit Operette beschäftigen möchte, gerade weil unsere Welt so gefährdet, so hart und unsicher ist.“ Dies sei eines ihrer Zukunftsziele: „Menschen zusammenzubringen, sie mit Schönheit und Utopie zu verführen, zu unterhalten, gemeinsam zu lachen.“
Zu lachen hatte das Ensemble der Volksoper freilich wenig. Wie so viele vor ihr ging auch die designierte Intendantin mit dem eisernen Besen durch die Sänger-reihen, die Pandemie erschwerte den Austausch und das Ansehen, meist wurde nach einem einzigen Vorsingen entschieden. Das soll jetzt aber, trotz der unerfreulichen öffentlichen Begleitmusik, Vergangenheit sein. De Beer will nach vorn schauen. Und sie lobt auch ganz emphatisch: „Ich bin sehr beeindruckt von der Art, wie das Ensemble hier spricht, wie man mit Dialogen umgeht in ihrer ganzen Vielseitigkeit – und wie sich das dann im Singen, Spielen und Tanzen fortsetzt. Das ist im Grunde das Gegenteil dessen, was ich auf der Regie-schule bei den Babyboomern gelernt habe, die das Publikum bloß vertreiben wollten.“
Sie sei auf der Suche nach einem Humor, der über Grenzen gehe. Die Frau, die bisher nur eine einzige Operette inszenierte, hat sich inzwischen ausführlich mit der Gattung befasst. „Natürlich war die Komische Oper in Berlin immer ein Haus, das ich im Blick hatte“, bekennt sie. Barrie Koskys Arbeit dort habe sie sehr bewundert, sein „herrlich diverses“ Publikum geliebt. „Ich fand damals auch Hans Neuenfels’ berühmt-berüchtigte Salzburger ,Fledermaus‘ in ihrer auf Ablehnung stoßenden Heftigkeit sehr bemerkenswert.“ Ebenso schätze sie jedoch die traditionelle Operette, „denn ich sehe, dass sie ihr Publikum hat. Wenn ich Brücken bauen möchte, muss ich beide Ufer betrachten, die ich verbinden will. Vielleicht ist ja mein neuer, liebevoller Blick von außen auf dieses so besonders Wienerische Genre gar nicht so schlecht?“ Man könne Operetten auf so viele verschiedene Weisen spielen und vitalisieren.
Ihren Führungsstil definiert Lotte de Beer so: „Inspirieren, verführen, unterstützen. In den gigantischen Opernapparaten hatte ich öfter das Gefühl, mein Stil werde als Schwäche wahrgenommen. Ich will aber versuchen, mich ohne Machtworte und auf meine Art durchzusetzen“ – auch darauf hoffend, dass sich der immer noch sehr autoritäre Kulturbetrieb verändern werde.
Wie um das Risiko ihres Volksopern-Antritts noch zu vergrößern, hat sich Lotte de Beer für den in Wien bislang nicht sonderlich geschätzten, anderswo aber bejubelten israelischen Dirigenten Omer Meir Wellber als Musikdirektor entschieden. Er hat noch nie eine Operette dirigiert, ist zudem gegenwärtig auch in Palermo, Manchester und Dresden verpflichtet. In de Beers erster Saison dirigiert er in seiner neu geschaffenen Chefposition zunächst nur eine Premiere. Doch auch von dieser Personalie, um die sie hatte kämpfen müssen, weil Meir Wellber eigentlich ganz andere Pläne hatte, ist Lotte de Beer, die gerne lacht und noch mehr gestikuliert, zutiefst überzeugt: „Omer ist ein Musikus mit brennendem Herzen, der in vielen Genres zu Hause ist. Ich will nicht in Schubladen denken, da wird es schnell dogmatisch. Ich mag Offenheit, genau wie Omer. Sein Operettendebüt wird ein Abenteuer, auf das er sich voll einlässt.“ In späteren Spielzeiten soll er, so der Plan der neuen Direktorin, auch drei und mehr Produktionen pro Jahr stemmen.
An der Volksoper fasziniert Lotte de Beer der einzigartige Auftrag mit den vier Sparten Oper, Operette, Musical und Tanz – und ganz besonders alles, was dazwischen liegt. „Schon die Operette als Kerngenre ist ja eine Mischform, deshalb möchte ich noch mehr Vielfalt.“ Ihre Treue zu dieser Gattung zeige sie schon in der ersten Spielzeit: Es wird drei Operetten geben, eine davon, „Die letzte Verschwörung“, ist eine Uraufführung des Heidelberger Komponisten Moritz Eggert, dazu eine Spieloper, eine Mozartoper, einmal Kurt Weill. „Weill wird hier sehr wichtig werden, Bernstein auch“, kündigt de Beer noch an. Millöckers und Mackebens „Dubarry“ sei erst spät auf ihre Liste gerückt, ihr Regisseur, der Deutsche Jan Philipp Gloger, habe sie davon überzeugt – und nun ist sie sogar die Eröffnungspremiere.
Mit den anderen Wiener Intendanten sei Lotte de Beer in guten Abstimmungsgesprächen, schließlich habe auch das Theater an der Wien Operetten-Ansprüche angemeldet. Über ihren – durch die Staatsoper gesetzten – Ballettchef, den Schweizer Martin Schläpfer, ist sie ebenfalls voll des Lobes: Man denke über gemeinsame Projekte nach, in denen sich Tanz und Oper verbinden sollen. Irgendwann möchte sie auch die schlechte Akustik des Hauses verbessern: „Sie ist, weil im Zuschauerraum der Stuck fehlt, sehr hart.“ Es gebe Pläne, für die sie aber noch einen Sponsor suche.
Gesunde Selbstzweifel treiben sie voran. „Ich sitze dauernd aufrecht im Bett und denke: Wie komme ich dazu, zu glauben, diesen Job zu können? Ich habe so etwas noch nie gemacht! Aber die Spannung, die täglichen Krisen – das beflügelt mich doch sehr. Und wenn ich auf meinen Fünfjahresplan blicke, habe ich Gänsehaut – aus Vorfreude.“