Tritt in den Bauch
Die meisten Namen jener Personen, deren Übergriffe in dem Fernsehfilm beschrieben werden, mussten aus juristischen Gründen vorerst verschwiegen werden, aber drei Künstlerpersönlichkeiten, denen Empörendes zur Last gelegt wird, nennen die Regisseurinnen der Reportage: Neben dem deutschen Serienstar und Regisseur Kida Khodr Ramadan („4 Blocks“) sind dies der Wiener Schauspieler und Regisseur Paulus Manker sowie der steirische Regisseur Julian Pölsler. Anders als Ramadan, 47, der sich – wie im Vorjahr auch sein Kollege Til Schweiger – für seine aktenkundigen cholerischen Ausfälle und diskriminierenden Äußerungen inzwischen en gros entschuldigt hat und sich in Therapie begeben habe, ließen Manker, 66, und Pölsler, 70, – von den NDR-Journalistinnen mit den Vorwürfen konfrontiert – über ihre Anwälte lediglich ausrichten, dass sie alle Anschuldigungen zurückwiesen. Manker wird in der Sendung unter anderem beschuldigt, während einer Aufführung eine Schauspielerin gedemütigt und in den Bauch getreten zu haben – und einem Kollegen mit der Faust aufs Ohr geschlagen zu haben. Pölsler wiederum soll bei Proben und Casting-Prozessen wiederholt sexuelle Übergriffe begangen haben – und junge Schauspielerinnen, die mit ihm arbeiten wollten, bei sich zu Hause einquartiert haben. Für beide Männer gilt die Unschuldsvermutung.
Über das Unrecht sprechen
Die Aktivistin und Filmemacherin Katharina Mückstein („Feminism WTF“) interessiert sich weniger für die Einzelfälle als für das Grundsätzliche des auch nach #MeToo längst nicht ausgerotteten Problems des Machtmissbrauchs in der Kulturbranche. Sie hält „Gegen das Schweigen“ – auch sie wurde für die TV-Reportage interviewt – für „viel mehr als bloß eine Einführung ins Thema“, schon der Vielstimmigkeit wegen. Denn der Film beleuchte vor allem „die strukturellen Probleme; sie zeigt anhand von persönlichen Erfahrungen auch, dass die Frage nach der Verantwortung allzu oft ungeklärt bleibt. Ich habe das Gefühl, dass der intensivierte Diskurs zu diesem Thema immer etwas bringt, weil dadurch mehr und mehr Leute bereit sind, darüber zu sprechen, wenn ihnen Unrecht widerfahren ist.“
Auf der strukturellen Ebene habe sich jedoch immer noch viel zu wenig verändert – trotz der neu installierten, sehr gut arbeitenden Anlaufstellen wie #wedo und vera*. „Wir brauchen zusätzliche Systeme des Qualitätsmanagements“, sagt Mückstein. „Denn überall dort, wo viel Macht bei einer Person gebündelt ist, muss sehr genau hingeschaut werden: Die im Filmbereich Mächtigen sollten unmittelbar Feedback bekommen, und dazu braucht es auch diverse Kontrollfunktionen innerhalb eines Teams, innerhalb der ganzen Filmhierarchie. Die Förderstellen und TV-Sender müssen daran interessiert sein, dass eine Produktionsfirma gute Arbeitsbedingungen schafft, ebenso muss ein Produktionsunternehmen dafür sorgen, dass die Regie dies auch tut; und die Regie muss ein Interesse daran haben, dass die jeweiligen heads of department mit ihren Leuten gut umgehen.“
Manker, Pölsler, Ramadan: Alle drei Namen kursieren seit Jahren in der Branche, aber das Problem, sie für das, was man ihnen zur Last legen will, auch zu belangen, war stets an fehlenden oder erfolglosen Klagen gescheitert. Denn verständlicherweise schrecken viele Menschen, denen an Filmsets oder auf Theaterprobebühnen Gewalt angetan wurde, davor zurück, sich zu outen – und nicht nur Gefahr zu laufen, vor Gericht zu scheitern, sondern möglicherweise auch nie wieder einen Job in ihrem Umfeld zu bekommen. Viele Übergriffe sind schwer zu beweisen, auch wenn mehrere Personen übereinstimmend aussagen, und die Androhung beruflicher Diffamierung wiegt schwer. Der Fall des inzwischen verstorbenen Regisseurs Dieter Wedel beweist, wie unwahrscheinlich es ist, selbst vielfach beschuldigten Übergriffstätern beizukommen.
Die Beschuldigten schweigen
Auf profil-Anfrage gibt Paulus Manker lediglich zu Protokoll, er habe die TV-Reportage nicht gesehen, alle weiteren Antworten bleibt er schuldig. Er hat dem NDR-Team im vergangenen Sommer erlaubt, während einer „Alma“-Aufführung am Semmering zu drehen, ein Interview hat er dort nach Aussage der Sendungsgestalterinnen kategorisch verweigert. Und Pölsler reagierte, von profil kontaktiert, gleich gar nicht auf die Bitte, sich zu den Vorwürfen zu äußern.
Der Diskussion müssten nun dringend Taten folgen, findet Katharina Mückstein: „Diese Debatten, die nun endlich auch einmal anhand konkreter Namen geführt werden“, sollten zu politischem Durchgreifen führen. Es müsse heißen: „Schluss! Wir heuern jetzt Expertinnen und Experten an, um Regelwerke zu schaffen. Denn eines unserer großen Probleme liegt darin, dass immer, wenn so etwas passiert, sich die Filmbranche aufrafft, Arbeitsgruppen gründet und drauflosarbeitet.“ Doch es sei immer die Branche selbst, die sich ihre Regeln schreibe. Um aber echte Präventivmaßnahmen in Bezug auf Übergriffe zu setzen, seien unbedingt die Expertisen von Fachleuten nötig – und konkrete politische Maßnahmen. „Wer mit öffentlichen Geldern hantiert, wird Regeln berücksichtigen müssen, wie man auf seine Leute am Set am besten aufpasst. Das wäre das große Ziel: endlich zu einem tragfähigen Opfer- und Arbeitsschutz zu kommen.“ Denn Gewaltprävention sollte man nicht einfach aus dem Bauch heraus regulieren, sondern Fachwissen berücksichtigen.
Filmemacherin Katharina Mückstein („Feminism WTF“)
„Das Gedächtnis in unserer Branche ist leider sehr kurz. Sobald die mediale Aufmerksamkeit vorbei ist, kehren doch alle wieder zu business as usual zurück.“
Der Kopf des Fisches
„Der Fisch stinkt eben, wie man sagt, vom Kopf her.“ Sie habe es oft selbst erlebt, sagt Mückstein noch: „Wenn ich möchte, dass es anders läuft, wird es auch anders. Weil dann alle den von oben erteilten Auftrag, gut miteinander umzugehen, auch ernst nehmen.“
Es werde hoffentlich noch viel journalistische Arbeit in diese Richtung geben, meint die Regisseurin; denn es müsse weiterhin sehr genau hingeschaut werden. „Das Gedächtnis in unserer Branche ist leider sehr kurz. Sobald die mediale Aufmerksamkeit vorbei ist, kehren doch alle wieder zu business as usual zurück. Es braucht diesen öffentlichen Druck. Leider gibt es nach wie vor nicht genügend Veränderungswillen, und da ist die Gefahr, dass der Ruf von Menschen oder Produktionen Schaden nehmen kann, ein möglicher Motor für Veränderung; wenn beispielsweise Täter weiter beschäftigt werden oder an einem Set grauenhafte Arbeitsbedingungen geherrscht haben, dann ist es gut und richtig, dass dies öffentlich kritisiert und nach Verantwortung gefragt wird.“