Mailath-Pokorny: "Wir stehen vor einer dramatischen Situation“
profil: Am Donnerstag vergangener Woche wurde, auch in Ihrem Beisein, der Wiener Filmemacher und Schauspieler Peter Kern beerdigt, der Sie zeitlebens heftig attackiert hatte. Nun erhielt der Provokateur ein Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof. Versinnbildlicht dies nicht auch die Absurdität der Kulturpolitik? Mailath-Pokorny: Ja, wenn man es abstrakt betrachtet. Ich hatte zu Peter Kern, wie fast jeder, kein ganz ungetrübtes Verhältnis. Spätestens aber in jener Nacht in Locarno im Sommer 2012, als ich mit ihm, Veronika Franz und Severin Fiala die Premiere ihres Dokumentarfilms "Kern“ feierte, brach dann doch das Eis. Wir hatten zuletzt einen respektvollen Umgang miteinander. Natürlich kann man sagen, man hätte Kern mehr geholfen, wenn es viel mehr Förderung für seine Filme gegeben hätte.
profil: Es klingt einfach sehr österreichisch: Kaum war der Politikerfeind Kern, dem die Förderungsstellen das Leben schwer gemacht haben, tot, huldigte man ihm mit einem Ehrengrab und salbungsvollen Worten. Mailath-Pokorny: Das stimmt im konkreten Fall nicht. Er hat gewusst, dass ich ihn geschätzt habe und dass die Stadt Wien durchaus auf seiner Seite war und ihn manchmal auch förderte. Natürlich ist die Gewährung eines Ehrengrabs ein symbolischer Akt: Allerdings ist er angebracht - und mir ein Bedürfnis.
profil: Wird einem in solchen Fällen als Kulturpolitiker nicht auch deutlich, dass man eben doch nicht so sehr auf Seiten der Künstler steht, sondern oft eher auf der anderen? Mailath-Pokorny: Das macht die Funktion. Ich fände es umgekehrt absurd, würden Kunstschaffende die Macht nicht kritisieren, angreifen, verändern wollen. Da liefe etwas grundlegend falsch, wenn es diese Ambivalenz nicht gäbe.
Viele Menschen aus der Kreativszene sind gegenwärtig sehr politisiert, und damit meine ich nicht nur jene, die unmittelbar helfen. Wo immer ich bin in dieser Stadt, ist die Asylkrise selbstverständlich das Thema.
profil: Es ist die alte Leier: Kulturpolitik spielt in Wahlkampfzeiten traditionell so gut wie keine Rolle. Oder ist es 2015 anders? Mailath-Pokorny: Ich finde schon. Denn heuer stellt sich die Grundfrage, wie wir mit Flüchtlingen umzugehen haben - und diese Frage ist zutiefst und buchstäblich kulturell. Um welche Werte geht es, wenn ständig das "christliche Abendland“ apostrophiert wird und zugleich Zäune aufgebaut werden, von gerade denen, die dieses Christentum verteidigen wollen? Viele Menschen aus der Kreativszene sind gegenwärtig sehr politisiert, und damit meine ich nicht nur jene, die unmittelbar helfen. Wo immer ich bin in dieser Stadt, ist die Asylkrise selbstverständlich das Thema. Und sie hat Auswirkungen auf Spielplangestaltung, Filmthemenstellungen und Ähnliches. Es wäre etwas streberhaft, wenn man das Thema auf die Beobachtung reduzierte, dass der Kultur nur wenige Seiten in den Kulturprogrammen der Parteien gewidmet sind. Derzeit passiert unglaublich viel - und die Kunst hat hier die Möglichkeit, Räume zu definieren, Gedanken zu öffnen. Das mag zunächst scheitern - und wir stehen am 11. Oktober rein wahlarithmetisch tatsächlich vor einer dramatischen Situation. Aber so viel Geschichte wie jetzt war seit 1989 nicht mehr. Das berührt auch die Künstler in ihrem Tun. Insofern ist dieser Wahlkampf kulturell sogar eminent beladen.
profil: Natürlich können Kunstschaffende die Krise bearbeiten und thematisieren, aber was kann denn da kulturpolitische Wahlkampfarbeit leisten? Mailath-Pokorny: Es stellt sich heraus, dass sämtliche neuen Führungskräfte in Wiener Kulturinstitutionen - von den Festwochen bis zu brut, Schauspielhaus, Wien Museum und Volkstheater - mit einem stark erweiterten Kulturbegriff arbeiten wollen. Der Rückzug in die geschlossenen Räume der Theater oder Festivals wird zunehmend obsolet. Die massiven gesellschaftlichen Veränderungen in Europa spüre ich, ebenso wie die Kreativen, nicht erst seit Anfang September.
profil: Sie bevorzugen Kulturschaffende, die nicht nur in ihren geschützten Werkstätten arbeiten, sondern "die Straße“, "das Volk“, die Ränder der Gesellschaft mit einbeziehen? Birgt das nicht die Gefahr, dass am Ende alle das Gleiche machen wollen, dass sich die Kulturszene zwar zur Welt hin öffnet, sich dabei aber auf seltsame Weise vereinheitlicht? Mailath-Pokorny: Nein, die neuen Führungskräfte sind sehr unterschiedliche Charaktere, und sie leiten Häuser, die ganz unterschiedliche Aufgaben haben.
Ich sehe Wiener Sozialdemokratie als eine der letzten großen politischen Kräfte, die für das öffentliche Gemeinwesen noch derart vehement eintreten.
profil: Sie haben angedeutet, dass Sie im Rahmen Ihrer Wahlkampftouren oft "Unvorstellbares“ erlebten: Die Menschen, mit denen Sie sich unterhielten, dachten und forderten bisweilen "Ungeheuerliches“. Was meinten Sie damit genau? Mailath-Pokorny: Die Haltung vieler Menschen zur Flüchtlingsproblematik. Das ist ein sehr monothematischer Wahlkampf, wie ich ihn selten erlebt habe. Ungeheuerlich finde ich es, wenn Menschen meinen, man sollte keine Flüchtlinge aufnehmen, sie lieber sofort zurückschicken. Oft kommt das Argument, "uns hilft ja auch keiner“, was ich argumentativ zu entkräften versuche, indem ich auf die bestens ausgebauten Sozial- und Gesundheitssysteme Wiens und auf die Gemeindebauten hinweise. Aber das wirklich politische Thema abseits der Frage, wie wir mit Schutz suchenden Menschen umzugehen haben, ist doch: Wie verfahren wir mit dem Öffentlichen? Da ist die Kultur ein wesentlicher Teil. Das Öffentliche wird zunehmend angegriffen, das Bekenntnis, dass es ein demokratisch legitimiertes und überprüfbares System von Gesundheits-, Wohnbau-, Bildungs- und Kunstförderung geben muss, immer heftiger kritisiert. Das ist der politische Kampf, in dem wir uns befinden. Wenn wir den verlieren, in diesen Fragen nachgeben, wird das Politische insgesamt seine Rolle einbüßen. Da sehe ich die Wiener Sozialdemokratie als eine der letzten großen politischen Kräfte, die für das öffentliche Gemeinwesen noch derart vehement eintreten.
profil: Abgesehen von der FPÖ gibt es doch in keiner Partei Widerstand gegen die Förderung von Kunst durch die öffentliche Hand. Mailath-Pokorny: Bei der ÖVP bin ich mir da nicht so sicher. Das ist die Partei der Privatisierung. Über kulturelle Fragen konnte ich, offen gestanden, mit Vertretern der ÖVP schon lange nicht mehr ernsthaft diskutieren. Ich weiß nicht einmal, wer dazu etwas zu sagen hätte. Bei den Grünen ist es nach dem Abgang des Kultursprechers ähnlich. Was die Freiheit der Kunst angeht, ist die SPÖ sehr viel großzügiger. Ich halte es mit dem aufklärerischen Grundsatz: "Ich bin zwar nicht Ihrer Meinung, aber ich werde alles dafür tun, dass Sie diese Meinung äußern können.“ Selbst wenn sie mir widerstrebt. Alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt. Als Kulturstadtrat verwirkliche ich nicht meinen Geschmack. Ja, ich habe meine Haltungen und Meinungen, die ich auch äußere. Und es gibt einen Grundsatz, der Qualität heißt und Professionalität einschließt. Aber nur weil etwas nicht meinem politischen Weltbild entspricht, werde ich ihm nicht Förderung entziehen.
profil: Darf man diese Haltung Pragmatismus nennen? Mailath-Pokorny: Gern. Als Politiker muss man sogar Pragmatiker sein. Man will bestimmte Dinge ja auch umsetzen.
profil: Allerdings gerät man, wenn man den Pragmatismus zu sehr verinnerlicht, in die Nähe der berüchtigten Subventionsgießkanne: Alles, was irgendwie Qualität hat, muss unterstützt werden. So werden Budgets oft problematisch: Für alle ist immer zu wenig da. Mailath-Pokorny: Es gibt historische Entwicklungen, bei denen es - zumal in Wien - schwer ist, sie zu beenden. Auch da habe ich mittlerweile einen milderen Zugang: Bestimmte theatralische Entwicklungen etwa soll und kann man nicht einfach abdrehen. Da sehe ich in meinem Amt auch eine Art Schutzfunktion. Und das Wienerische daran ist, dass man auch die persönlichen Hintergründe der Protagonisten, die man nach 15 Jahren gut kennt, ein bisschen ins Kalkül ziehen kann, ohne dass das alles zur Freunderlwirtschaft wird. Davor schützen schon all die Jurys und Expertenbeiräte. Bei mir interveniert glücklicherweise kaum jemand noch.
profil: In vielen Fällen scheinen Ihnen die Hände aber auch gebunden zu sein. Viele Kulturvereine agieren sehr autonom: Im Filmarchiv Austria etwa, das von der Stadt Wien budgetär unterstützt wird, wurde die Amtszeit Ernst Kieningers trotz seines durchaus umstrittenen Wirkens unlängst klammheimlich verlängert - ohne jede Aussendung oder Ausschreibung. Ärgert Sie das nicht? Mailath-Pokorny: Ich habe zum Missfallen vieler Vereine darauf hingewiesen, dass alle Unternehmungen im Bereich der Stadt Wien Leitungspositionen ausschreiben müssen. Viele machen das auch. Andere verweigern es. Mit diesen Leuten bin ich im Gespräch.
profil: Das nützt aber nichts. Und da Sie mit Subventionsentzug grundsätzlich nicht drohen, haben sie auch nichts zu befürchten, wenn sie Ihre Empfehlungen missachten. Mailath-Pokorny: Es geht ja nicht darum, dass ich mich einmische, sondern dass Ausschreibungen zum guten Ton gehören müssten. Ich würde eine entsprechende Regelung in der nächsten Legislaturperiode gerne durchsetzen - aber über Gespräche, nicht über Drohungen.
profil: Ihr teures Engagement für die Musical-Bühnen trägt Ihnen seit Jahren heftige Kritik ein. Müsste man da nicht andere Finanzierungspläne machen? Mailath-Pokorny: Das geschieht ja. Aber knapp die Hälfte davon fließt ohnehin in die Oper. Man könnte auch bei der Oper sagen, das sei eine veraltete Kunstform, die man nicht fördern muss. Aber erstens gibt es dafür das Publikum, und zweitens hilft ein breites Kultur- und Musikangebot dieser Stadt. Und dem Argument, man könne Musicals ja auch privat finanzieren lassen, wäre ich zugänglich - wenn es stimmte. Leider sind diese historischen Häuser zu klein, um ohne Subvention mit großem Orchester bespielt werden zu können. Und die Vereinigten Bühnen - zu denen ja auch zwei Opernhäuser gehören - sparen bereits, wollen von 42 Millionen auf 40 Millionen Euro Förderung zurück. Wir haben schließlich auch Verantwortung für das Personal dieser Institutionen.
profil: Geht Ihr Misstrauen gegen private Investoren auch auf die bislang missglückte Revitalisierung der Sofiensäle zurück? Sie haben dem Unternehmer Soravia vor Jahren zwei Millionen Euro zugeschossen, aber von kulturellen Effekten ist dort kaum etwas zu spüren. Mailath-Pokorny: Meines Wissens gibt es immer wieder Veranstaltungen dort. Es gibt den ehrlichen Versuch und die Offenheit, dort etwas zu tun. Das Problem ist: Man muss Miete verlangen, und das ist vielen offenbar zu teuer. Aber wir hatten es mit einer Brandruine zu tun. Ich bin froh, dass jemand die Sanierung übernommen hat. Die kulturelle Nutzung ist in der Tat bislang nur teilweise gelungen.
profil: Teilweise gelungen? In den Sofiensälen findet kulturell doch nichts Nennenswertes statt. Mailath-Pokorny: Die Kultur war der Nebenaspekt, es ging um die Restaurierung der denkmalgeschützten Teile. Es galt, diese Baulücke zu schließen.
profil: Dann ist das aus Ihrer Sicht ohnehin ein positives Beispiel für privates Sponsoring? Mailath-Pokorny: Ja, wenn man so will.
Das sollte vom Spätsommer 2015 dereinst bleiben: ‘Welcome to Vienna. You’re safe now.‘
profil: Warum wollen Sie eigentlich nach 15 Jahren weiterhin Wiens Kulturagenden leiten? Mailath-Pokorny: Viele Projekte sind noch offen, etwa der Neubau des Wien Museums. Und ich mag die Arbeit. Die Stadt wächst, die soziale Durchmischung steigt. Das sind auch kulturpolitische Herausforderungen. Wie können wir das Angebot erweitern, ohne mehr Geld zu investieren? Es geht um Verdichtung. Und ich will kein Vakuum entstehen lassen. Ich bin nicht so vermessen, mich für unersetzlich zu halten, aber ich sehe das Angebot an Kulturpolitikern derzeit nicht. Es muss aber eine halbwegs gewichtige Kulturvertretung geben.
profil: Die aktuellen Wahlprognosen klingen aus SPÖ-Sicht alarmierend. Wird Ihre Partei überhaupt den Anspruch auf das Amt des Kulturstadtrats stellen können? Mailath-Pokorny: Die Frage ist momentan nur noch, ob es in dieser Stadt eine Mehrheit links der Mitte gibt. Diese ist in Gefahr. Umgekehrt merke ich wie kaum jemals in einem Wahlkampf, dass die SPÖ dieser Tage mit breiter Brust marschiert - weil wir weiterhin für Solidarität und Menschlichkeit eintreten, was derzeit mehr denn je nötig ist. Da gibt es einen starken Motivationsschub. Wir haben die großen Flüchtlingskrisen von 1956, 1968, 1983, 1989 und 1992 wunderbar bewältigt - und damals kamen sehr viel mehr Menschen! Das sollte vom Spätsommer 2015 dereinst bleiben: "Welcome to Vienna. You’re safe now.“
profil: Ein Pragmatiker wie Sie hat selbstverständlich einen Plan B, sollte es mit der Verlängerung Ihrer Amtszeit nicht klappen. Werden Sie in der Kultur bleiben? Mailath-Pokorny: Ich kann es Ihnen nicht sagen. Ich bin 16 Stunden täglich unterwegs, um Wahlkampf zu führen und Angst zu nehmen.
profil: Sie haben noch keinen Gedanken an eine Niederlage der SPÖ verschwendet? Mailath-Pokorny: Nein, dafür habe ich ehrlich nicht die Zeit. Aber sollte das Projekt scheitern: Ich habe einen Kopf und zwei Hände, die ich einsetzen kann. Ich bin da entspannt. Die Kultur wird mich nie verlassen und ich nicht die Kultur. Aber mein erlernter Beruf ist der eines Diplomaten, da gäbe es also ausreichend Betätigungsfelder.
Andreas Mailath-Pokorny, 55, fungiert seit 2001 für die SPÖ als Kulturstadtrat in Wien, operiert mit einem Jahreskunstbudget von rund 250 Millionen Euro. Seit den mittleren 1980er-Jahren ist der gelernte Diplomat politisch tätig, unter Kanzler Franz Vranitzky war er bis 1996 Büroleiter. Seit 2010 ist Mailath auch Präsident des Bundes sozialdemokratischer AkademikerInnen. Er strebt eine vierte Amtszeit als Kulturstadtrat an.