Malerei-Star Daniel Richter: "Kunst kommt von Kopieren"
Der Künstler Daniel Richter erklärt im profil-Interview seine Lust an der Albernheit und am Alleinsein – und die Verachtung, die er dem Geld entgegenbringt.
In der Hamburger Punk- und Hausbesetzer-Szene wurde der Arbeitersohn Daniel Richter groß; fast 30 war er, als er sein Kunststudium antrat, von seinem Mentor Werner Büttner das freie Denken und Sehen lernte. Bald gestaltete er Plattencover für befreundete Bands wie Die Goldenen Zitronen und Chicks on Speed, er gründete ein Label, hielt sich am schmalen Grat zwischen abstrakter und figurativer Malerei auf und experimentierte mit narrativen Bildern und den sensorischen Erregungspotenzialen intensiver Farbgebung. Und irgendwann gehörte er, auch durch die stetige Weiterentwicklung, die er sich selbst verordnete, zu den großen Figuren der Gegenwartsmalerei. Inzwischen lukrieren manche seiner großformatigen Gemälde siebenstellige Summen.
Der Film „Daniel Richter“ (Regie: Pepe Danquart, Kinostart in Österreich: 5. Mai) dringt nun tief, wenn auch wenig strukturiert in den Kosmos dieses Künstlers ein und stellt auf die Details seiner Arbeit scharf: Er dokumentiert Richters Weltsichten, sein Misstrauen gegen den Kunsthandel etwa, und lässt nebenbei auch eine Reihe seiner Wegbegleiter wie die Künstler Jonathan Meese und Tal R auftreten. Richter betreibt ebenso originäre wie antiautoritäre Kunst, mit Widerstandsgeist und großer Klappe: Punk mit anderen Mitteln.
Seit 2006 unterrichtet er in Wien, leitet an der Akademie die Klasse für erweiterten malerischen Raum, die sich über die Jahre zu einem Sammelbecken für künstlerisch gestimmte Nonkonformisten entwickelte. Im kreativen Chaos der Halle, in der seine Studierenden zwischen improvisierten Stellwänden, herumliegenden Malereiutensilien, farbbespritzten Altkleiderhaufen und undefinierbaren Plastiken arbeiten, entstanden die Fotos für diese Geschichte.
Am Anfang jenes Dokumentarfilms, der Ihrer Arbeit gilt, sprechen Sie auch über den Sinn, den ein solches Werk haben könnte. Es gehe darum, überprüfbar zu bleiben, sich zur Disposition zu stellen. Wie meinen Sie das?
Daniel Richter
In dem Film kommt beides vor: die Rede über die Arbeit, also mein Versuch, mir selbst darüber klar zu werden, was ich da tue – und dann treten aber auch all die Leute auf, die Teil dieses Betriebs sind und mit mir zu tun haben. Der Film gab mir die Chance, mich selbst mit fremden Augen anzublicken. Zudem sollten eben auch all die ganz profanen Aspekte meines Berufslebens betont werden – der Kunsthandel, die Ausstellungsorganisation, die Auktionen.
Auktionen gelten doch gemeinhin nicht als profan, sondern als Spektakel: So viel Geld kann ein Bild lukrieren!
Richter
Dafür kann ich nichts. Das ist der Markt; seine Regeln gelten für eine Packung Kaugummi, die einen Euro kostet, genauso wie für ein Bild, das auf 30 Millionen kommt. Die hohen Preise, die meine Bilder erzielen, erscheinen im Verhältnis etwa zu den Preisen jüngerer Künstler im englischsprachigen Raum gar nicht so hoch. So bescheiden muss man dann auch sein.
Malerei ist oft totgesagt worden. Milliarden von Bildern werden täglich auf allen verfügbaren Kanälen hochgeladen und präsentiert. Wozu braucht es noch neue Bilder?
Richter
Diese Frage kann nur das gute Bild beantworten.
Was ist das gute Bild?
Richter
Das kann nur die gute Betrachterin beantworten.
Nicht der gute Mensch, der es hergestellt hat?
Richter
Der arbeitet daran, das gute Bild durch ihn hindurch fließen zu lassen und es auf die Leinwand zu bringen, um es von dort aus Teil jenes Kommunikationszusammenhangs werden zu lassen, den wir „die Kultur“ nennen. Das ist eine sehr vage Antwort, ich geb’s zu, aber ich bin aufgewachsen in der Zeit, in der die Malerei tatsächlich totgesagt wurde. Ich wusste das aber nicht. Ich dachte, Malerei sei das, was jede Person auf diesem Planeten interessiert. Erst viel später stellte ich fest, dass das nicht stimmte. Die Welt der Malereirezeption ist klein. Machen wir uns nichts vor: Wenn sie im Feuilleton auftaucht, geht es meist um Preise, um jene billige Form der Kapitalismuskritik, die man am Kunstmarkt besonders deutlich üben kann. Wie kann man so viel Geld für ein Bild ausgeben?Steckt ja weder Materialwert noch Arbeit drin – paradox! Es gibt nicht so viele Leute, die sich wirklich für Malerei interessieren, darüber reden können und Beurteilungskriterien entwickeln. Ich glaube, selbst im Bereich der Neuen Musik gibt es mehr versierte Menschen als in der Malerei. Denn Malerei ist etwas zwar höchst Spezifisches, das aber für jede und jeden unmittelbar zugänglich ist, weil der Akt ihres Konsums so simpel ist. Man kann durch eine Baselitz- oder Caravaggio-Ausstellung so gehen, wie man die „Bunte“ durchblättert. Man wendet 20 Minuten dafür auf und sagt dann: Früher konnten die noch malen! Oder: Das ist ja ein lauer Gag, die Bilder kopfüber aufzuhängen.
Man kann sich doch mit allem nur oberflächlich befassen.
Richter
Aber Malerei hat eben in der Rezeption keinen Zeitfaktor. Ein durchschnittlicher Popsong dauert drei Minuten, und erst am Ende kann man entscheiden, ob man ihn gut findet oder nicht. Noch schwieriger wird es, wenn man Gegenwartsopern hören will, die man ohne eine gewisse Vorbildung gar nicht verstehen kann. Das scheint bei Malerei anders. Du stehst in einem Raum, in dem ein Breughel, ein Bosch und ein Botticelli hängen, und beurteilst diese: Daumen rauf, Daumen runter. Du kannst innerhalb von drei Sekunden sagen: Ist mir egal. Film, Literatur, Musik finden in der Zeit statt, die es braucht, um sie zu erfahren. Bilder haben keinen Anfang und kein Ende.
Im Film kann man erleben, wie Sie mit Ihren werdenden Gemälden hadern; es gehört zu Ihrer Methode, sich selbst zu stressen, sich unter Druck zu setzen durch konstante Veränderung Ihrer Mittel und Ziele?
Richter
Es gibt Leute, die gern endlose Variationen dessen malen, was sie vorher schon gedacht und praktiziert haben. Das beruhigt sie. Ich bin dagegen ein eher unruhiger Geist, schnell gelangweilt von den eigenen Erkenntnissen. Damit hoffe ich, mir selbst und der Kunst einen Gefallen zu tun. Eher Methode als Stil.
Normalerweise werden Stagnation und Selbstwiederholung vom Kunstmarkt belohnt.
Richter
Das stimmt nicht ganz. In den USA ist es so: Wenn du einmal die goldene Kugel poliert hast, bleibst du am besten für immer dabei. Mir fällt an jüngeren US-Positionen nur Dana Schutz ein als Beispiel für eine Malerin, die in ihrer Arbeit wirkliche Brüche hat, sich den Erwartungen widersetzt. In Europa aber und speziell in Deutschland gilt eher, dass der Wechsel ehrenwert sei. Ich weiß gar nicht, ob meine Bilder immer besser geworden sind; sie sind halt immer anders geworden.
In den späten 1970er-Jahren gab es in New York eine Ausstellung respektloser, gegen alle Trends agitierender Malerei, die den Titel „Bad Painting“ trug.
Richter
Das ist ein Kampfbegriff, mit dem man beschreiben wollte, dass es einen Kanon jenseits der „guten Malerei“ gibt. Wie im Punk, wo man erkannt hat, dass Led Zeppelin eine prätentiöse Scheißband ist, nutzte man die wenigen Mittel, die einem zur Verfügung standen – und dachte nach.
In der Malerei sind die Begriffe gut und schlecht doch längst obsolet. Geht es nicht eher darum, sinnvolle oder relevante Kunst zu machen – gerade wenn man, wie Sie, mit politischem Anspruch ans Werk geht?
Richter
Mein politischer Anspruch schlägt sich nur in bestimmten Werkphasen nieder. Der ist ja nicht kontinuierlich da, das wäre unmöglich.
Wer sich kritisch mit Welt und Gesellschaft befasst, arbeitet politisch.
Richter
Das Problem an der Malerei ist, dass Bilder immer auch zwiespältig, in sich widersprüchlich sind. Deshalb ist eine Malerei, die den Kapitalismus darauf reduziert, dass er Elend produziert, und davon ausgeht, man müsse also die Elenden abmalen, auch nur Kitsch.
Das wäre die Kehrseite des Sozialistischen Realismus.
Richter
Genau. Übrigens feiert der Sozialistische Realismus gerade ein kleines semi-ironisches Comeback in interessierten Kreisen: als positive Selbstentwürfe von Leuten, die beispielsweise down sind mit ihrer progressiven Sexualität. Nur sieht das leider ein bisschen so aus wie schlechte Malerei aus dem sogenannten Ostblock, aber nicht mit Ackerbauern und Fabrikarbeiterinnen, sondern divers statt sozialistisch. Mehrschichtig ist das nicht.
Ihre Bilder tendieren ins Figurative, künden dabei vom sozialen Lärm, von der Unruhe in der Gesellschaft. Wie vertragen sich die Gesten eines linken Aktivismus mit dem formalen Ziel, dass es am Ende auch gut aussieht?
Richter
Das verträgt sich meist gar nicht. Gute Absicht ergibt noch kein gutes Bild. Es wäre ein Irrglaube, mit sieben linken Kalendersprüchen, die man in Malerei überführt, die Komplexität des Lebens abdecken oder den Finger in die Wunde legen zu können. Ein Bild von einer Demonstration ist in der Regel einfach nur ein schlecht gemaltes Bild von einer Demonstration.
Sozialrealistische Malerei ist immer unzureichend?
Richter
Nein. Es hat Ansätze zu radikaleren Positionen gegeben bei den Malern des mexikanischen Muralismo etwa, bei José Clemente Orozco, David Alfaro Siqueiros und Diego Rivera, auch bei den Surrealisten. Sie malten formal revolutionär, dachten mit ihren Bilder über die Leinwand hinaus, gingen in die Öffentlichkeit. Jörg Immendorff und der Kreis um Joseph Beuys versuchten sich ebenfalls am Sozialpolitischen. Die wenigen gelungenen Versuche waren aber formal so kompliziert, dass sie nicht mehr in die parteipolitische Ebene passten.
Politische Kontexte ändern sich doch laufend.
Richter
Ja, ein Stillleben, das jetzt in Russland entsteht, wird ganz anders betrachtet werden, als es noch vor fünf Jahren gesehen worden wäre. Und wenn eine junge Kurdin heute ein ausgelöschtes Dorf malt, ohne Hinweis darauf, wer daran beteiligt war, reicht das trotzdem aus, um für Jahre ins Gefängnis zu gehen. Das Politische der Bilder hängt von der Umgebung ab, in der sie entstehen. Aber ein Bild wird nicht nur dadurch gut, dass auf ihm geschrieben steht: Stoppt den Krieg und schlagt die Schweine tot! Guter Bildtitel übrigens.
Haben Sie nie am Sinn der Malerei gezweifelt?
Richter
Nicht eine Sekunde. Ich kann ja noch nicht einmal, wenn ich unterrichte, den Leuten, von denen ich denke, dass sie zur Produktion schlechter Kunst beitragen werden, ihr Tun absprechen. Denn jede Person kann sich entwickeln; manche fangen als trübe Tassen an und steigen wie Phönix aus der Asche – und umgekehrt. Selbst wenn es schlechte Gedichte sind oder gut gemeinte sozialdemokratische „Tatort“-Folgen, ist Kultur allemal besser, als in andere Länder einzumarschieren, Law-&-Order-Parolen zu brüllen oder zu glauben, dass ein erigierter Penis bedeutender ist als ein nicht-erigierter.
Sie sind mit Jonathan Messe eng befreundet. Mögen Sie Albernheit in der Kunst?
Richter
In Meeses Fall: ja. Jonathan ist eine Art umgekehrter Midas; alles, was bedeutend ist, wird durch seine Berührung trivial. Ich schließe mich Alexander Kluge an, der unlängst behauptete, Helge Schneider und Jonathan Meese seien im Grunde progressive, anarchistische, aufklärende Geister. Albernheit hat etwas Unmittelbares, spontan Kommunizierendes, das in der Malerei kaum zu haben ist, weil im Rechteck dieses Rahmens alles festgefroren ist. Humor bleibt eine Waffe im Kampf gegen die Dummheit, und der Kampf gegen Dummheit und Opportunismus ist die nobelste Aufgabe der Kunst.
Comics waren Ihnen früh wichtig. Versuchten Sie schon als Kind, diese nachzuzeichnen?
Richter
Ja. Da ich aus einem bildungsfernen Haushalt komme, in dem man nicht gemeinsam Matisse kopierte und Liszt hörte, malte ich als allerersten künstlerischen Akt „Lucky Luke“-Hefte und „Die Schlümpfe“ ab. Ich musste mir als Jugendlicher jedes Bild buchstäblich aneignen. Kunst kommt also nicht von Können, sondern von Kopieren.
Als jemand, der mit sozialen Gewissen arbeitet, werden Sie ein spezielles Verhältnis zu Ihrem Reichtum haben, oder?
Richter
Ich liebe diesen Reichtum. Der war mir nicht in die Wiege gelegt. Aber er ist mir nicht zugefallen, sondern das Ergebnis meiner Arbeit. Als ich kein Geld hatte – und ich hatte lange Zeit keines –, hat es mich nicht interessiert. Jetzt habe ich Geld – und eigentlich interessiert es mich immer noch nicht. Diese Form der Sorglosigkeit möchte man ja jedem Menschen gönnen: so zu leben, dass alles geteilt werden könnte und man mit wenig Arbeit gleichberechtigt seinen Interessen nachgehen kann. Über das Geld findet aber eine Verbürgerlichung statt. Denn wenn man ein bestimmtes Einkommen hat, treten der Bankberater, der Steuerberater und der Finanzberater auf den Plan. Dann ist nur eines wichtig: Wie machst du aus deinem Geld durch Zinsen und Anlagen noch mehr Kapital? Das nervt mich, weil ich keine Lust auf diese Gespräche habe. Sollte ich heute 20 Prozent meines Vermögens verlieren, dann läge ich nachts nicht wach. Aber man redet mir ein, ich sei verpflichtet, mein Geld in akkumulierendes Kapital zu verwandeln. Das finde ich unangenehm. Ich bin, was Geld betrifft, zugleich Lumpenprolet und Aristokrat: entweder gar nichts haben und verschwenden – oder sehr viel haben und eben deshalb verschwenden. Man muss Geld ein bisschen verachten.
Könnten Sie ohne Musik malen?
Richter
Ja, aber es passiert selten – und nur in Momenten, in denen entscheidende Striche gemacht werden müssen. Dann schalte ich die Musik aus und brauche eine Stunde buddhistischer Kontemplation, um drei Striche anzubringen, die mir, wenn sie schiefgehen, sehr schlechte Laune bereiten.
Wann ist ein Bild fertig?
Richter
Man legt eine Art Blumenbeet an, und wenn das Timing stimmt, blüht alles genau so auf, wie man das zu Ostern haben will. Aber es ist dann doch auch das Beet selbst, das über sein Wachstum entscheidet. Die Eigendynamik des Gepflanzten kann man nicht einfach steuern. Ein Bild ist dann fertig, wenn man das Gefühl hat, dass all diese Elemente, die in ihm latent vorhanden sind, gleichzeitig zur Blüte kommen.
Manches in Ihrer Arbeit ist fremdbestimmt: Wenn eine Ausstellung fertig werden soll, müssen zeitgerecht Bilder her.
Richter
Ich arbeite immer mit einer Ausstellung, die ich zugesagt habe, im Hinterkopf, weil ich sonst in Grübelei verfalle, unerwartet nur lese, Musik höre, essen gehe oder mich um den Abwasch kümmere. Ich brauche ein bisschen Druck, aber der ist eben auch produktiv. Wenn ich weiß, im Oktober muss ich zwölf Bilder haben, dann arbeite ich daran.
Und Sie haben es immer hinbekommen?
Richter
Ich hatte ein paar Jahre, in denen ich sehr unsicher war und in denen die Produktion mich eher unglücklich gemacht hat. Ich hatte damals eine fast traumatische Erfahrung: Als ich aus dem Urlaub zurück kam, hingen im Atelier drei halbfertige Bilder, die ich zu Ende malen wollte, aber es ging nicht. Es war physisch richtig unangenehm, diese Bilder gingen mir so auf die Nerven, ich fand sie redundant, kam mir vor wie jemand, der anfängt, sich selbst zu kopieren. Und dann wusste ich nicht weiter. Das ging jahrelang so.
Auch wenn man zwischendurch Galeristinnen, Kuratoren, Herausgeberinnen und Sammler trifft: In den entscheidenden Momenten ist man als Maler allein mit sich. Fehlt Ihnen nicht manchmal ein Gegenüber?
Richter
Ich bin ein sozialer, kommunikationsfreudiger Mensch, habe Interesse am Austausch. Aber für die Malerei habe ich mich entschieden, weil ich nicht mit anderen Leuten zusammenarbeiten wollte. Ich war auch nie in einer Band, weil ich die Vorstellung, mit Leuten Zeit verbringen zu müssen, um zu einem Ergebnis zu kommen, quälend fand. Das Bild ist eigentlich ein Kontemplationsobjekt. Wenn man in Wien ins Kunsthistorische Museum geht und sich dort auf eine Bank setzt …
… ist man allein mit dem Objekt.
Richter
Genau. Und ich bin wahnsinnig gerne allein. Das hat mit meinen Mitmenschen, die ich liebe, mit meinem Sohn oder meiner Frau gar nichts zu tun. Ich war schon als Kind gern allein, saß da und las, hörte Musik und hing meinen Reflexionen, Erinnerungen, Tagträumen nach. Ich empfinde das als produktiv. Wenn ich unterrichte, bin ich danach erschöpft; es höhlt mich eher aus. Leute inspirieren mich selten. Sie verschaffen mir Wissen, politische Bildung, ich komme durch sie zu neuen Überzeugungen, Liebe, Erheiterung – aber beim Malen sind sie keine Hilfe.
Gibt es in der bildenden Kunst Leute, an denen Sie sich vorzugsweise orientieren?
Richter
Klar. Das sind sehr unterschiedliche Positionen: von Cecily Brown, Nicole Eisenman und Dana Schutz über Albert Oehlen und Werner Büttner bis hin zu Tal R und Jonathan Meese. Und natürlich Philipp Guston, Edvard Munch. Es sind nicht viele. Und dann gibt es aber jede Menge Positionen, wo ich nur Fan bin: Ich bewundere Dorothy Iannone, Dana Schutz und Raymond Pettibon, den ich für einen der größten Künstler unserer Zeit halte. Gerade weil er nur mit Zeichnung und Schrift arbeitet, was technisch sehr einfach herzustellen ist. Aber am Ende landet man immer bei denselben zehn Namen. Das ähnelt diesen dämlichen Umfragen nach den zehn besten Platten der Musikgeschichte. Bestimmte Namen tauchen da zwangsläufig auf: Selbst wenn man sie verabscheut, muss man zugeben, dass sie einflussreich waren.
Led Zeppelin und Pink Floyd.
Richter
Zum Beispiel. Scheußlich. Ich hasse Led Zeppelin.
Weil Sie Dana Schutz erwähnt haben, der vor ein paar Jahren das Recht abgesprochen wurde, als weiße Künstlerin in ihrer Malerei schwarze Leidensgeschichte zu thematisieren. Gibt es Motive, die Sie nicht malen würden, weil sie nicht Ihr Terrain sind?
Richter
Popelbilder. Ich glaube, in keinem meiner Bilder treten Figuren auf, die man leicht bestimmten Identitäten zuordnen könnte. Es sind eher Ideen, die mich interessieren. Das ist ja beispielsweise die Krux der sogenannten Kritischen Malerei und Grafik der 1970er-Jahre: Indem man die nackte Frau als gebeuteltes Wesen zeichnet, schafft man eine Doppelung ihrer Unterdrückung, gleichzeitig aber auch ein fast schon sadistisch behandeltes Objekt.
Sie stehen ideologischer Kunst skeptisch gegenüber.
Richter
Allerdings. Wenn man Politik machen will, muss man sich einer Bewegung anschließen. Natürlich ist alles politisch, aber nur weil man eine Fahne malt, ist man noch kein politischer Künstler. Wobei: Fahnen zu malen ist natürlich superlustig. Grundsätzlich bin ich natürlich ein Anhänger des umfassenden Misstrauens in der Kunst – und gegen Fahnenschwenkerei.
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Stefan Grissemann
leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.