Mambo Helsinki: Aki Kaurismäkis großer neuer Film "Fallende Blätter“
Entfremdete Arbeit, wohin man blickt, geraucht wird nach Maßgabe, getrunken im Akkord. Ein junger Bauarbeiter namens Holappa geht mit seinem Freund nach Dienstschluss gern noch auf ein Dutzend Bier, Schnapsbegleitung obligatorisch. Das ständige Trinken deprimiere ihn, erklärt er dem Kollegen, leider müsse er aber trinken, weil er stets deprimiert sei. Die Dialoge drehen sich planvoll im Kreis. Da erscheint das wenige, das man einander zu sagen hat, schon unvernünftig viel. In den Karaoke-Bars wird nur das Nötigste formuliert, das große Gefühl behält man dem Singen vor. Lieder wie „Herbst unter der Vogelbeere“ oder Schuberts flehentliche „Serenade“ genießen in diesem Film höhere Popularität als „I Love Rock’n’Roll“ oder „We are the Champions“. Und aus der Jukebox dringt eine finnische Version des „Mambo Italiano“.
Einen Hort des Glücks wird man jenes Helsinki, wie es in Aki Kaurismäkis Filmen seit den frühen 1980er-Jahren aufscheint, nicht nennen wollen. Die Tristesse der Stadt hat in ihrer Seelenruhe jedoch auch etwas Heimeliges. Ansa, die Warenschlichterin im Supermarkt, fügt sich so abgeklärt in ihr Schicksal wie der Alkoholiker Holappa. Sie ist eingerichtet auf ein Leben allein; Abendessen aus der Mikrowelle, alte Tango-Schlager aus dem Radio. Requisiten, die man dem mittleren 20. Jahrhundert zuschreiben mag, stehen herum, aber wir befinden uns in der Gegenwart: Schreckensmeldungen vom Angriffskrieg auf die Ukraine dringen aus dem Weltempfänger.
Unauffällige Menschen schreiten durch Kaurismäkis Filme, der aufrechte Gang ist ihr Programm: Sie sind vom Leben angeschlagen, aber nicht zu beugen, mit ihrer Einsamkeit haben sie sich arrangiert. Gelächelt wird nur in Ausnahmefällen, und die sich zart anbahnende Beziehung zwischen Ansa und Holappa ist auch kein Grund, aus allen Wolken zu fallen. Kaurismäkis „Fallende Blätter“ ist ein anmutiger Sonderfall im Klischeefach der Romantic Comedy. Keine 80 Minuten braucht der Regisseur, um seine Fabel von Liebeserschütterung und Alkoholentzug über die Rampe zu bringen. Wichtigtuerei war nie sein Feld, sich so kurz zu fassen wie seine Figuren ist ihm eine Ehrensache.
Isolation und Kummer
Mit „Fallende Blätter“ denkt er jedenfalls sein proletarisches Frühwerk weiter, Filme wie „Schatten im Paradies“ (1986), „Ariel“ (1988) und sein epochales „Mädchen aus der Streichholzfabrik“ (1989). Kaurismäkis superlakonischer Inszenierungsstil vertraut seit Jahrzehnten auf die prägnante Fotografie des Kameramanns Timo Salminen. Alma Pöysti und Jussi Vatanen geben in „Fallende Blätter“ die perfekten Underdogs. Und in der Kneipe singt eine Indie-Popband ungerührt von Kummer, Isolation und Enttäuschung.
2017 stellte Aki Kaurismäki, gerade 60, in einem profil-Interview seinen Rückzug vom Kino in den Raum. Er klang resignativ: „Nach 40 Jahren in diesem Geschäft wäre es schön, ein paar Momente noch für mich zu haben. Ich besitze vier Restaurants und Hotels, habe 50 Filme produziert, da ist es an der Zeit, nur einen Augenblick zu leben.“ Das Kino beginne ihn zu langweilen. „C’est la vie“, meinte er nur. Damals musste man sich um Kaurismäki Sorgen machen, so schwermütig und desolat wirkte er.
Als er unlängst aber, mehr als sechs Jahre später, mit diesem ungeahnten neuen Werk im Gepäck über den Teppich vor dem Kinopalast in Cannes tänzelte, um mit den Fotografen seine Scherze zu treiben, war die Erleichterung in der globalen Film-Community spürbar. Denn wir alle haben Kaurismäki nötig, mehr denn je. Das Gegenwartskino wäre ohne den finnischen Menschenfreund und Chef-Stoiker um vieles ärmer.