Marc-Uwe Kling: „Wir pinkeln gegen einen Waldbrand!“
Ein sprechendes Känguru, das Marx und Engels verehrt, angeblich einst für den Vietcong gekämpft hat, die Welt mit ätzenden Kommentaren behelligt und auch sonst zur kreativen Unverschämtheit neigt, ist Marc-Uwe Klings populärste Erfindung. Seit 2008 treibt das Beuteltier sein Unwesen, geboren in einer Radiosendung, schnell aufgestiegen zum literarischen Helden einer seit 2009 laufenden, vier Romane und etliche Hörbücher umfassenden Bestseller-Reihe; inzwischen ist das Känguru, das sich in seinen politischen Ansagen und sozialkritischen Breitseiten eher an Erwachsene als an Kinder richtet, auch der Star einer täglichen Comic-Reihe auf „Zeit online“ und einer Kinofilmserie, deren zweiter Teil ab 25. August in Österreich und Deutschland zu besichtigen sein wird.
Man könnte meinen, Kling sei mit der multimedialen Verarbeitung einer solchen Figur ausgelastet. Aber diese Mühe scheint seine Lust auf Nebentätigkeiten nur noch zu vergrößern. Also veröffentlicht er – neben dem preisgekrönten Einsprechen seiner Texte auf Tonträger und dem Abhalten von Lesungen, Musik- und Kabarettabenden – großartige Kinderbücher wie „Der Tag, an dem die Oma das Internet kaputt gemacht hat“ (2018), „Das NEINhorn“ (2019) und „Der Tag, an dem Papa ein heikles Gespräch führen wollte“ (2021), allesamt kongenial illustriert von Astrid Henn. Und sogar einen ideologiekritischen Science-Fiction-Roman hat er bereits verfasst: „QualityLand“ (2017), eine in der Definition des Autors selbst „lustige Dystopie“.
Mit dem Film „Die Känguru-Verschwörung“ (Österreich-Kinostart: 25. August) hat der Autor und Performer Kling nun auch noch sein – erstaunlich souverän bewältigtes – Regiedebüt ins Auge gefasst. Für das folgende Interview, das per Videokonferenz geführt wurde, sitzt Kling, die Trademark-Schiebermütze auf dem Kopf, im Berliner Garten seiner Produktionsfirma parat, um aufgeräumt Auskunft zu erteilen über sein Werk und seine Weltsichten, passend zu einem Film, der sich satirisch mit Verschwörungstheorien, Rechtsextremismus und der Klimakrise befasst.
„Apropos Klimakrise“, sagt Marc-Uwe Kling während unseres Gesprächs und unterbricht kurz, um sich ein bisschen Schatten zu suchen, weil die Sonne derart brutal auf ihn herabbrennt.
Dani Levy hatte den Vorgängerfilm inszeniert; die Komödie „Die Känguru-Chroniken“, die im März 2020, genau eine Woche vor dem bundesweiten Lockdown, in die Kinos kam, erreichte trotz Pandemie allein in Deutschland fast 800.000 Menschen. Es lag nahe, nun Kling, der sich selbst als „absoluten Perfektionisten“ bezeichnet, persönlich ans Werk gehen zu lassen. Und siehe, die Übung ist gelungen: „Die Känguru-Verschwörung“ ist deutlich inspirierter und anarchischer als der Vorgängerfilm geraten, zeugt zudem von einer unbändigen Liebe zum populären Kino; Kling stopft Romantic Comedy, Mediensatire, Buddy Movie, Italo-Western, Horror-, Action- und Katastrophenfilm in den Multifunktionsmixer und drückt entspannt den Startknopf.
profil: Wieso haben Sie erst jetzt Regie geführt? Stand das beim ersten Känguru-Kinofilm, der 2020 erschien, nicht im Raum?
Kling: Nein, stand nicht zur Debatte. Ich hätte mich auch gar nicht getraut, das einzufordern. Nach dem Schreibprozess am neuen Film hab ich nun doch zu signalisieren gewagt, dass ich übrigens Interesse hätte, das diesmal selber zu machen. Und ich hörte nur: Mach doch! Das hat mich natürlich sehr gefreut.
profil: Es ging wohl auch darum, die Kontrolle über Ihr eigenes Material zu behalten.
Kling: Immer. Ich bin ein totaler Kontrollfreak. Deshalb war es beim ersten Film für mich so schwierig, plötzlich nicht mehr im Fahrersitz zu sitzen. Für einen Autor, der bislang gewohnt war, alle Entscheidungen treffen zu können, war das problematisch. Deswegen war ich vermutlich auch ein schwieriger Partner für Regisseur Dani Levy. Ich weiß, meine Sachen wirken manchmal so hingerotzt, aber auch dieses Hingerotzte ist 20 Mal überarbeitet. Insofern war die Erfahrung schön, die Kontrolle zu bewahren – so weit das bei einem Filmdreh geht, denn natürlich entgleiten einem die Zügel auch immer wieder, sobald man sich in der realen Welt befindet. Und dann beispielsweise feststellt, wie beschissen reguliert ein Flughafen als Drehort ist.
profil: Ihr Film kreist um den grassierenden Irrsinn von Verschwörungstheorien, um „Querdenker“, Chemtrails-Paniker und Fake-News-Verbreiterinnen. Die verdienen zwar den Spott, sind aber auch ein simples Ziel. Denn Ihr Publikum, das kaum zu den Benebelten gehören wird, die meinen, die Erde sei flach, haben Sie damit automatisch auf Ihrer Seite.
Kling: Alles fing eigentlich mit der Klimakrise an, die mich seit Langem sehr umtreibt. Und ja, man kann sagen, in gewissem Sinne tun das alle Künstler: Sozial- und Öko-Kritik dieser Art ist immer ein wenig preaching to the choir. All jene, die das Känguru gut finden, wollen tendenziell eh etwas gegen die Klimakrise tun. Aber das kann ja nicht der Grund sein, nicht mehr über diese zu reden. Immerhin ist das die essenzielle Krise der Gegenwart. Man kann also gar nicht oft genug sagen, dass wir viel mehr tun müssen. Klimakrise! Klimakrise! Klimakrise! Denn wir tun immer noch viel zu wenig. Was wir bisher tun, gleicht dem Versuch, einen Waldbrand zu löschen, indem man dagegenpinkelt! Es ist außerdem unfair, diese Aufgabe den Individuen aufzubürden. Die Regierungen müssen die Verantwortung übernehmen, denn es reicht auch nicht, wenn 100 Leute gegen den Waldbrand pinkeln. Wir brauchen Löschflugzeuge, und die müssen von der Politik bereitgestellt werden. Ich wollte also Klimakrise und Känguru zusammenbringen. Aber Klima ist als Thema groß, schwer, nicht greifbar, wenig privat. Erst darüber kamen die Verschwörungstheorien in den Film. Die Idee war: Was wäre, wenn es im Umfeld meiner Protagonisten eine Person gäbe, die den Klimawandel leugnet? Damit wird das Thema für die Figuren handhabbar, auch komödiantisch. In diesen Verschwörungserzählungen ist so viel Stoff für eine Komödie, so viel Lächerliches, wenn man das mal auseinandernimmt. Der Rest hat sich gefügt.
Marc-Uwe Kling hat starke politische Überzeugungen, kommentiert in seinen tagesaktuellen „Zeit“-Comics auch deutsche Innenpolitik und den Ukraine-Krieg. Er führt den Kampf für einen (zumindest ansatzweise) besseren Planeten mit den Mitteln der Comedy. Naiv ist er nicht, er weiß um die beschränkten Weltveränderungspotenziale der Kunst. Aber er betrachtet seine populären Interventionen als Beitrag zum Diskurs – und mittelbar auch zum Aktivismus derer, die er damit erreicht.
profil: Wie bleibt man kritisch sich selbst, dem eigenen Witz gegenüber? Comedy ist ja eine Frage des Timings. Droht man, wenn man seine Pointen im Schreibprozess immer wieder lesen muss, nicht auch die Distanz zu verlieren?
Kling: Da hat mir die Stand-up-Routine, die ich mir früh angeeignet habe, immer geholfen. Das Publikum ist Teil meines Lektorats, auch wenn ich jetzt, nach weit über tausend Auftritten, nicht mehr so viel auf die Bühne gehe. Das hat mein Timing geschult. Ich hätte den Film auch gerne unzählige Male vor Publikum getestet und die Ergebnisse ausgewertet. Aber das kostet Geld und Ressourcen, die wir nicht hatten. Aber ja, Timing ist entscheidend: Der Film ist jetzt so schnell, dass man ein zweites Mal reingehen und jede Menge neuer Witze entdecken kann.
profil: Das Kino selbst ist ein wesentliches Thema Ihrer Genre-Kreuzung. Würden Sie sich selbst als filmverrückt bezeichnen?
Kling: Ich gehöre zu denen, die es furchtbar fanden, als die Internet Movie Database einst in die Welt getreten ist. Denn sie beraubte mich der Funktion, die ich in meinem Freundeskreis hatte: stets zu wissen, wer in welchem Film gespielt hatte, wer Regie geführt hat. Ich saß schon als Jugendlicher mit dunklen Augenringen in der Schule, weil ich am Abend davor noch zwei Filme gesehen hatte.
profil: Welche Einflüsse waren für Sie zentral? Monty Python haben Sie oft erwähnt, aber gab es auch westdeutsche Humorvorbilder? Loriot?
Kling: Loriot ist natürlich großartig. Aber er war nie so wichtig für mich wie Monty Python, wie Bill Wattersons Comic „Calvin & Hobbes“. Beim Schreiben war Kurt Vonnegut für mich eine gewaltige Inspiration, auf Filmebene waren es die Coen-Brüder.
„Es gibt unerträgliche Kinderbücher. Da schlafen mir die Füße ein.“
Man erkennt in Ihrem Werk oft eine Gratwanderung zwischen Jugendkompatibilität und Erwachsenenanspielungen. Sollte Ihr Film für größere Kinder und Jugendliche ebenso gut funktionieren wie für ältere Menschen?
Klings Känguru kämpft an der Seite seines Autors (die von Dimitrij Schaad gespielte Filmfigur heißt tatsächlich Marc-Uwe Kling) gegen Nazis, Populismus, Tyrannei und die Zerstörung der Welt. Es hat ein loses Mundwerk und eine klare politische Agenda. Und es spricht mit dem typischen Kling-Sound: Eine fiktive Show rund um die selbst gebackenen Kekse seines Wohngenossen Marc-Uwe würde es „Baking Bad“ nennen, wie es mitteilt. Und wer in die Verlegenheit kommt, die moralischen Maßgaben seines Lebens neu überprüfen zu müssen, sollte seine „Prios checken“. Kängurumund tut Wahrheit kund. Was das Problem mit dem Internet sei, fragte das schlaue Tier unlängst in einem der von Bernd Kissel gezeichneten „Känguru-Comics“ – und verriet uns die einleuchtende Antwort: „Zu viele Links führen nach rechts.“
profil: Sie verstehen sich als prononciert linker Künstler. Ihr Känguru ist erklärter Kommunist und politisch bestens informiert. Für ein Mainstream-Produkt ist Ihr Film ideologisch erstaunlich explizit. Sind Sie nie mit Leuten konfrontiert, die da Bedenken haben? Die aus Breitenwirkungsgründen dafür plädieren, politisch mehr in die Mitte rücken?
Kling: Nein, gar nicht. Ich bin auch nicht zufällig bei der Produktionsfirma X Filme gelandet. Sie wurde von Künstlern gegründet, die großen Wert auf kreative Freiheit legen. Da hat mir nie jemand reingequatscht. Es gab nie den Vorschlag, mein kommunistisches Känguru in ein gemäßigt sozialdemo- kratisches zu verwandeln.
profil: Sie haben Stand-up-Comedy gemacht und sind als Songwriter aufgetreten, Sie machen Lesungen, Podcasts und Filme, schreiben Kinderbücher, Comics und Romane, gestalten Hörbücher: Da ist ein regelrechtes Klingoversum entstanden. Dabei wollten Sie anfangs bloß studieren, Musik machen und mit heiterem Material auftreten. Wie ist es so weit gekommen, dass Sie praktisch Ihr eigener Konzern wurden?
Kling: Ich war zu neugierig auf all diese anderen Gebiete. Wenn ich mich für eines entscheiden müsste, was ich zum Glück nicht muss, dann würde ich wohl das Kinderbücherschreiben wählen. Denn erstens sind Kinderbücher relativ recht schnell verfasst, und zweitens hat man das netteste Publikum, das man sich vorstellen kann. Aber jegliche Kunst, die mir gefällt, weckt in mir die Neugierde, es selbst zu probieren.
„Ich überlege mir beim Schreiben immer, was die Tendenz eines Witzes ist. Worüber oder über wen wird gelacht? “