Marcus Wiebusch: "Wir kriegen eine bessere Gesellschaft hin"
Interview: Stephan Wabl
Marcus Wiebusch hat mit seinen beiden Bands Kettcar und But Alive die deutsche Indie- und Punk-Rockwelt der letzten 20 Jahre geprägt wie kein zweiter. Mit "Konfetti" legte der 46-jährige Musiker heuer im Frühjahr sein erstes Soloalbum vor. Elf Songs, in denen Wiebusch den Bogen zu seinen Anfangsjahren in Hamburg spannt, die aber doch nur eine Richtung kennen: nach vorne schauen. profil online hat sich mit dem groß gewachsenen Songschreiber vor seinem Konzert in Wien unterhalten - über das neue Album, verlorene Ideale, die realitätsferne Kunstsprache der Popkritik, Homophobie im Fußball und Kinderbücher.
profil online: Der Song "Wir waren eine Gang" auf Ihrem Soloalbum "Konfetti" handelt von sich trennenden Lebenswegen von Menschen, die Jahre zuvor gemeinsam für eine Sache eingestanden sind. Trifft der Song auch auf Ihre beiden Bands But Alive und Kettcar zu?
Marcus Wiebusch: Auf Kettcar sicherlich nicht, und auf But Alive nur indirekt. Vorneweg: Ich finde den Song über alle Maßen ambivalent. Als ich den Text geschrieben habe, hat er mich innerlich verstört. Ich bin Anfang der 1990er-Jahre in Hamburg mit linker Politik in Berührung gekommen, habe selbst in einem alternativen Wohnprojekt gewohnt. In diesem Umfeld war es immer wichtig, Dinge gemeinschaftlich anzugehen - auch wenn es auswegslos war. Und linke Politik ist oft auswegslos. Aber solange man das gemeinschaftlich angeht, ist das Teil des Weges und kann sehr toll sein. Ich musste aber bald erkennen, dass diese herbeigesehnte Gemeinschaft oft brüchig ist, manchmal auch sehr oberflächlich. Diese Bruchhaftigkeit thematisiere ich in "Wir waren eine Gang" sehr deutlich durch die unterschiedlichen Lebensläufe, die die Personen in dem Song eingehen. An meine Bands habe ich dabei nicht gedacht.
profil online: Verliert man sich mit den Jahren nicht zwangsläufig aus den Augen?
Wiebusch: Wir leben heute in einer hochindividualisierten Gesellschaft, in der jeder anders sein möchte als die anderen und Abgrenzung sehr wichtig ist. Gemeinschaft hat keinen hohen Stellenwert mehr. "Wir waren eine Gang" bringt dieses ambivalente Spannungsfeld brutal auf den Punkt. Es ist ein Song über das Verlieren von Idealen und das Verlieren von einem Gefühl von Gemeinschaft, das für politisches Engagement allerdings extrem wichtig ist. Denn die Menschen, mit denen ich vor 20 Jahren auf Demonstrationen gegangen bin, sind heute ganz woanders als ich es bin. Das ist ja auch normal.
profil online: Was ist für Sie persönlich von dieser Zeit und den Ansprüchen geblieben?
Wiebusch: Mein musikalischer Werdegang der letzten 20 Jahre ist gut dokumentiert. Nehmen wir zum Beispiel Kettcar. Es gibt sicherlich viele Leute die sagen, dass Songs wie "Balu" oder "Landungsbrücken raus" nicht sehr viel mit politischer Haltung zu tun haben. Das mag sein. Aber Sie werden in Hamburg nicht viele Leute aus dem linken Umfeld finden, die sagen, dass Kettcar keine politische Band ist. Wir haben uns oft und klar politisch positioniert, diese Positionen jedoch nicht in die Musik getragen. Ich kann sicherlich sagen, dass ich mir nach meinen eigenen Maßstäben treu geblieben bin. Ich habe weder mit Kettcar, noch mit unserem Label Grand Hotel van Cleef jemals dreckige Sachen gemacht. Ich sage unseren Künstlern immer: Ich biete dir genau den Vertrag an, den ich selber auch unterschreiben würde. Mir ist es wichtig, die Strukturen und Möglichkeiten, die wir uns mit den beiden Gründungsbands Kettcar und Tomte erarbeitet haben, an andere Musiker weiterzugeben.
profil online: Sie sind heute 46 Jahre alt und zweifacher Familienvater. Da verschieben sich aber doch die Prioritäten.
Wiebusch: Natürlich hat sich einiges, vor allem durch die Gründung einer Familie, verändert. Wir sind hier in Wien, spielen heute Abend in der Arena. Als ich mit But Alive Anfang der 1990er-Jahre ein paar Mal in Wien war, haben wir nur im EKH (Ernst-Kirchweger-Haus, ein besetztes Haus in Wien, Anmerkung) gespielt, denn die Arena war uns zu kommerziell. Damals waren wir einfach anders drauf, härter. Wir wollten zum Beispiel keine Konzerte mit mehr als zehn Mark Eintritt spielen. Wir hatten immer hohe Ansprüche an uns selbst und an die Musikkultur, in der wir uns bewegt haben. Heute können wir diesen natürlich nicht mehr eins zu eins gerecht werden, weil andere Dinge in unser Leben getreten sind, zum Beispiel eine Familie. Aber auch, und das muss man sagen, weil sich der Zeitgeist geändert hat. Den Leuten sind diese konkreten Ansprüche auch gar nicht mehr wichtig. Es hätte heute sicherlich nicht mehr die gleiche Bedeutung, wenn wir sagen würden, wir treten aus diesen oder jenen Gründen nicht in der Arena, sondern im EKH auf.
profil online Sind sie selbst noch politisch engagiert?
Wiebusch: Ich würde mir wünschen, dass ich mehr Zeit hätte, mich politisch wieder zu engagieren. Darauf hätte ich große Lust, den politisches Engagement ist ein spannendes Feld. Aber machen wir uns nichts vor: Ich habe einfach nicht ausreichend Zeit. Ich bin Musiker und will Songs schreiben, in Zukunft vielleicht auch Bücher verfassen. Meine zwei Jungs spielen Fußball im Verein. Ich könnte mir auch gut vorstellen, einen Trainerschein zu machen und Kinder im Fußball zu trainieren. Dafür fehlt mir momentan allerdings die Zeit. Von außen betrachtet hat sich da sicherlich einiges verändert. In mir drinnen allerdings nicht allzu viel.
profil online: Die Strukturen, die Sie zu Ihrer Anfangszeit kennengelernt haben, scheinen Sie allerdings immer noch zu schätzen.
Wiebusch: Auf jeden Fall. Der Umgang damals, sei es innerhalb der Bands oder mit den Veranstaltern, war immer geprägt von Solidarität, Hilfsbereitschaft und einem fairen Miteinander. Das haben wir auch aus der DIY-Punkszene gelernt. Diese Strukturen waren grandios. Du konntest vier Wochen durch Deutschland, Österreich und die Schweiz touren und wurdest nirgendwo abgezockt. Diese Ideale prägen mich bis heute. Nichtsdestotrotz war ich zur Auflösung von But Alive 1999 textlich und musikalisch am Endpunkt einer Entwicklung angekommen und mir war es sehr wichtig, etwas Neues zu machen. Daraus ist dann Kettcar entstanden, und die Möglichkeit, lyrischere Musik zu machen. Nach zehn Jahren Kettcar hatte ich allerdings wieder das Bedürfnis, mich direkter auszudrücken. In der Folge ist mein Soloalbum entstanden. Aber mir ist auch klar, dass ich danach wieder etwas anderes machen möchte. Ein "Der Tag wird kommen II" wird es von mir nicht geben.
profil online: "Der Tag wird kommen" behandelt Homophobie im Fußball und die Schwierigkeit für schwule Fußballer, sich zu outen. Kurz bevor der Song veröffentlicht wurde, hat sich der ehemalige deutsche Nationalspieler Thomas Hitzlsperger geooutet. Wie haben Sie die Diskussion um sein Outing wahrgenommen?
Wiebusch: Ich habe mich zunächst einmal gefreut. Ich sehe dieses Bekenntnis als wichtigen Baustein. Gleichzeitig finde ich es haarsträubend, dass man meinen Song mit Hitzlspergers Outing gleichsetzt. "Der Tag wird kommen" thematisiert die Möglichkeit, dass sich ein aktiver Fußballprofi outet und den schwierigen Umständen eines solchen Outings. Die Lebenswirklichkeit eines Thomas Hitzlsperger, der eine gut vorbereitete Pressekonferenz und eloquente Interviews gegeben hat, um danach monatelang in den USA abzutauchen, hat sehr wenig mit der Lebensrealität eines just an dem Wochenende des Outings im Stadion spielenden homosexuellen Fußballprofis zu tun. Das sind zwei paar Schuhe. In meinem Song geht es darum, dass ich die Realität und Schwierigkeiten eines solchen Lebens ausstelle und beschreibe, wie es sich anfühlt.
profil online: Hat sich Ihrer Ansicht nach das gesellschaftliche Klima diesbezüglich in den letzten Jahren verschlechtert?
Wiebusch: Nein, auf keinen Fall. Wenn wir beide uns vor zehn Jahren hingesetzt und gesagt hätten, dass wir in naher Zukunft einen schwulen Außenminister haben werden, der in Länder reist, in denen Homosexualität unter Strafe steht, hätten wir gesagt: Nie und nimmer wird das passieren. Wir hätten die ganzen Argumente angeführt: Der will wieder gewählt werden, der wäre erpressbar, der kann als deutscher Repräsentant nicht in Länder reisen, in denen Homosexualität unter Strafe steht. Gekommen ist es aber ganz anders, und Deutschland hat mit Guido Westerwelle einen homosexuellen Außenminister bekommen.
profil online: Berlin hat mit Klaus Wowereit bereits seit über zehn Jahren einen schwulen Bürgermeister.
Wiebusch: Genau. Heute müssen wir gar nicht mehr darüber sprechen, ob das Feld Homosexualität und Politik erkämpft ist; es ist schlicht und ergreifend gewonnen. Es gibt Fortschritte, vor allem in den Bereichen Kunst, Kultur und Mode. Aber auch in anderen Sportarten gibt es kleine Hoffnungschimmer, zum Beispiel das Outing des American-Football-Spielers Michael Sam oder des walisischen Rugbyspielers Gareth Thomas. All das zeigt, dass wir am richtigen Weg sind. Der Fußball arbeitet immer noch sehr stark mit völlig überholten archaischen Männerbildern. Aber der Tag wird kommen, an dem auch das Feld Fußball erobert werden wird.
profil online: Das deutsche Musikmagazin "Spex" hat Ihnen vorgworfen, "Der Tag wird kommen" sei moralisierend und Sie agierten von oben herab mit gehobenem Zeigefinger. Hat Sie diese Reaktion überrascht?
Wiebusch: Ich glaube, die Leute bei "Spex" haben das Ganze ein wenig unterschätzt. Ich habe "Der Tag wird kommen" geschrieben und veröffentlicht und in der Folge hat das Magazin unterschätzt, was dieser kleine Marcus Wiebusch aus Hamburg für einen Willen hat, diesen Song noch weiter ins Licht zu führen. Als dann der Kurzfilm dazu kam, war für alle klar, um was es mir hier geht. Viele Leute heutzutage - und offensichtlich auch bei der "Spex" - scheinen vergessen zu haben, dass es manchmal nottut und richtig ist, die Dinge beim Namen zu nennen und sich nicht nur in Kunstsphären zu bewegen. Das war für mich sehr deprimierend, vor allem da sich die "Spex" als linkes Medium begreift. Es gibt Themen, da kann ich keine Graustufen erkennen, da muss man von den Dümmsten der Dummen und Vollidioten sprechen; das ist wie bei Nazis oder Antisemiten. Zudem habe in den Song durchaus differenziert angelegt, sieben Minuten lang, viel zum Thema recherchiert und empathisch eine Geschichte eines homosexuellen Menschen erzählt, der zufälliger Weise gut im Fußball ist.
profil online Hat die linke Popkritik vergessen, dass Musik auch immer mit Haltung zu tun hat?
Wiebusch Das würde ich so sagen. Für mich ist es extrem wichtig, dass man sich als Künstler nicht verliert in einem Einerseits-Andererseits-Gestus oder einer Kunstsprache. Manchmal ist es wichtig, ganz direkt Flagge zu zeigen. In der breiten Rezeption des Songs wird das zum Glück anerkannt. Und den Leuten aus dem "Spex-" und linken Pop-Umfeld, die das nicht verstehen, kann ich nur sagen, dass die Leute da draußen mittlerweile ein bisschen die Schnauze voll haben von einer übertriebenen Kunstsprache, die uns als coole dissidente Position verkauft wird. Denn oft handelt es sich dabei einfach nur um eine Pose von Leuten, die in ihrem ganzen Leben noch nie auf einer Demonstration waren.
profil online: Auf Ihrem ersten Solotape aus dem Jahr 1994 gibt es einen Song mit dem Titel "Was hätten wir denn tun sollen?". Auf "Konfetti" findet sich ein Lied mit dem Titel "Was wir tun werden". Sind sie über die Jahre optimistischer geworden?
Wiebusch: Sich nur an den Songtiteln zu orientieren wäre zu einfach gedacht. "Was hätten wir denn tun sollen?" bedeutet mir sehr viel. Der Song handelt davon, dass, ganz egal wie aussichtslos eine Situation auch sein mag, alles nicht so schlimm ist, solange man sie gemeinsam durchsteht. Dieser Song fasst sehr diffizil zusammen, wofür ich stehe. Er erzählt von einer Gemeinschaft, die sich in diesem konkreten Fall durch eine Liebesbeziehung äußert, und von einer Hoffnung, die vermittelt: Ganz egal, ob und wie wir diese Sandburg verlieren, wir haben es gemeinsam gemacht und nicht aufgegeben - und darauf können wir stolz sein.
profil online: 20 Jahre später heißt es auf dem aktuellen Album dann: "Alles wird gut werden, hier kommt, was wir tun werden". Ist das Ihr Credo?
Wiebusch Ja, weil die Alternative wäre völlig absurd und viel schlimmer. Manchmal wird mir vorgeworfen, dass ich zu optimistisch sei. Aber ich glaube daran: Der Tag wird kommen. Fortschritt, Fortschritt, Fortschritt. Nach vorne blicken. Sei es auf persönlicher oder gesellschaftlicher Ebene. "Einsehen zum Schluss, dass man weitermachen muss", heißt es bei "Landungsbrücken raus" auf unserem ersten Kettcar-Album. Das verstehe ich auch politisch: In einem kapitalistischen System ohne Perspektive auf Systemwechsel das Bestmögliche zu machen, auch wenn es auswegslos erscheint. Das geht aber am besten über eine Gemeinschaft, denn wenn du alleine bist und dich volkommen individualisierst, gehst du kaputt. Und du machst weiter, weil du noch kein abgestumpfstes zynisches Wrack bist, sondern weil du noch Liebe und Hoffnung in dir hast und dir denkst: Wir kriegen eine bessere Gesellschaft hin.
profil online: Was steckt noch in Ihnen als Künstler? Sie meinten einmal, zum Punk-Gestus gehöre auch, Dinge zu tun, die niemand erwartet.
Wiebusch: Ich würde gerne ein Kinderbuch machen. Hätten Sie das erwartet? Tatsächlich habe ich es schon fast fertig. Es handelt von ein paar Jungs, die ohne Eltern auf einer Insel stranden und jede Menge Abenteuer erleben. Das habe ich meinen Jungs vor einigen Jahren immer zum Einschlafen vorgelesen. Jetzt sind sie sieben und zehn Jahre alt und es gefällt ihnen immer noch. Das Buch schicke ich demnächt an einige Verlage und dann schauen wir mal, was damit passiert. Das ist allerdings nicht das Einzige, das ich vorhabe. Ausruhen werde ich mich auf dem Kinderbuch nicht.
profil online: Marcus Wiebusch auf Lese- und Akkustiktour mit einem Kinderbuch?
Wiebusch: Nein, so etwas wird es von mir sicherlich nicht geben.
Zur Person
Marcus Wiebusch (46) veröffentlichte in den 1990er-Jahren mit But Alive vier in der Punk-Rock-Subkultur vielbeachtete Alben. Nach der Auflösung gründete er die feinsinnige Indie-Rockband Kettcar, die 2012 ihr viertes und bislang letztes Album "Zwischen den Runden" veröffentlichte. Kettcars lyrische Musik erlangte sowohl medial als auch beim Publikum großen Anklang. "Konfetti", Wiebuschs erstes Soloalbum, erschien im April beim Label Grand Hotel van Cleef, das der Hamburger gemeinsam mit Thees Uhlmann (Tomte) und Reimer Bustorff (Kettcar) betreibt.