Die Callas reiste nahezu nie ohne ihre beiden Pudel und großer Sonnenbrille: Sie war eine Meisterin der Selbstinszenierung.
100. Geburtstag

Maria Callas: Triumphe und Tragödien

Maria Callas konnte über drei Oktaven auf der Bühne sterben. Auch ihr Leben war große Oper: Triumphe reihten sich neben große Beziehungskatastrophen und Einsamkeit. Die glamouröseste Operndiva aller Zeiten starb mit nur 53 Jahren in Paris. Sie wäre am 2. Dezember 100 Jahre geworden.

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November 1959, Dallas in Texas. Die Stille, die sich ausbreitete, nachdem sie den Klavierdeckel zugeklappt hatte, muss sich grauenhaft angefühlt haben. Das Publikum hatte nach der berühmten Wahnsinnsarie der Lucia di Lammermoor zwar begeistert getobt, doch Regisseur Franco Zeffirelli, Dirigent Nicola Rescigno und die Musiker im Orchestergraben wussten Bescheid: Maria Callas – die „Diva assoluta“, „la Divina“, „die Tigerin“, „das Elementarereignis“ – war am zweigestrichenen E, einem Tongipfel, den sie in früheren Jahren mühelos gemeistert hatte, gescheitert.

Stattdessen war nur ein Krächzen gekommen, das sie in ihrer dramatischen Hyperintelligenz sofort in ein Todesröcheln umgewandelt hatte. Nach den Ovationen der ahnungslosen Zuschauer bat sie Zeffirelli, ihren Stimmcoach und den Dirigenten in ihre Garderobe. Diese „verdammten Presseleute“ hätten sie so nervös gemacht, sie wollte ihrem inneren Kreisbeweisen, dass das Scheitern nur an ihren Nervengelegen war. Sie setzte sich ans Klavier und sang die gesamte Arie noch einmal; wieder musste sie vor dem zweigestrichenen E resignieren. Wortlos verließ einer nach dem anderen den Raum. Alle wussten, dass die Callas erstmals mit brutaler Wucht mit dem Schwinden ihrer Stimmkraft konfrontiert war. Danach soll sie, so berichtete ihre Assistentin Giovanna, in ihrer Hotelsuite eine Nacht durchgeweint haben.

Schnell verbraucht

Dabei war sie da noch keine 36 Jahre alt und neben Hollywoodstar Marilyn Monroe und der Königin von England wohl die berühmteste Frau der Welt. Doch sie hatte seit ihrem 23. Lebensjahr zu früh zu schwierige Partien wie die Norma (ihre Paraderolle), Medea oder Isolde gesungen, und so hatte sich ihre Stimme schnell und vorzeitig erschöpft. Sie hatte sich auf der Bühne trotz Handicaps wie Bronchitis, geröteten Stimmbändern oder Zahnschmerzen oft verausgabt, denn für eine Callas gab es keine Zweitbesetzung, keinen Ersatz. Radikale Diäten (Gerüchten zufolge soll sie sich sogar einen Bandwurm eingesetzt haben), durch die sie innerhalb von 14 Monaten 36 Kilo verloren hatte, um ihrem Idol Audrey Hepburn nachzueifern, brachten sie zusätzlich an den Rand der Kräfte.In ihrem Tagebuch notierte sie im Oktober 1957: „Ich hatte bis heute in diesem Jahr keinen einzigen freien Tag.“ 

Sie war das Ereignis, das fanatisierte, aber auch irritierte, wenn die Erwartungen nicht erfüllt worden waren. In einem Interview sagte sie: „Die Öffentlichkeit lauert auf jeden leisesten Anflug einer Schwäche von mir.“ Und war gnadenlos. Ihr größtes künstlerisches Trauma erlitt sie als Norma, noch vor dem Lucia-Gau, am 2. Jänner 1958, als sie trotz einer schweren Erkältung in Rom vor ein Gala-Publikum treten musste, vor dem Staatspräsidenten und seiner Frau an der berühmten „Casta Diva“-Arie scheiterte und die Vorstellung abgebrochen werden musste. Pfeifkonzerte und Hassrufe wie „Gib mir mein Geld zurück, du Verräterin!“ wurden im Zuschauerraum laut. Als sie mit ihrem ungeliebten Ehemann nach Mailand zurückkehrte, lag ein toter Hund vor ihrer Villa, anonyme Anrufer beschimpften sie wüst, und die Schnallen der Hauspforte waren mit Exkrementen beschmiert. 

Dass Maria Callas, der Kürze ihrer Karriere und all den Tiefschlägen zum Trotz, bis heute im Ikonen-Status strahlt und keine spätere Opernsängerin auch nur annähernd ihr Ausmaß an kultischer Verehrung erreichen sollte, liegt nicht nur an der Einzigartigkeit ihrer stimmlichen Ausdrucksbreite, sondern an einem Zusammenspiel diverser Kräfte: Ihr Wunder von einer Stimme kletterte sowohl in Sopran- als auch in Mezzosopran-Partituren über drei Oktaven und „durchglühte mit ihren Gefühlen“, so die Kritikerlegende Joachim Kaiser einst. Ihr darstellerischer Instinkt begeistert die junge Dichterin Ingeborg Bachmann bei einem Opernbesuch in Rom so nachhaltig, dass sie danach notierte: „ Sie ist das letzte Märchen. (…) die einzige Kreatur, die je eine Bühne betreten hat.“ Dass Callas die Fäuste ballte und sich mit voller Kraft singend auf den Boden warf, war ein absolutes Novum, denn zuvor waren die Diven beim Abliefern ihrer Arien oft mit sehr überschaubarem Bewegungsradius auf der Bühne gethront.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort