Kultur

Marlene Streeruwitz: Alle sind plötzlich Generäle

Verkommt die Sprache in Zeiten des Krieges zur Phrase? Ein Plädoyer der Wiener Autorin Marlene Streeruwitz für empathisches Denken und Sprechen in Zeiten entfesselter Gewalt.

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Ekpathie ist die Fähigkeit, davon abzusehen, dass es sich immer um Personen und ihre Schicksale handelt, wenn wir sprechen. Die Sprache, mit der wir uns, jedenfalls westlich-nachchristlich, verständigen, beruht auf dieser Fähigkeit entpersönlichter Weltsicht. Ekpathie wird in Worten wie „Abstraktion“ verhüllt. Wissenschaftliche Ansichten begründen sich auf dieser Konstruktion. Politik. Soziologie. Alle Geisteswissenschaften. Wirtschaft. Wirtschaftswissenschaften. Heute. Unser Sprechen leitet sich immerfort aus der Notwendigkeit ab, uns im Kosmos des Öffentlichen unseren Platz zu verschaffen. Dabei geht und ging es immer um das Überleben der Person und wie dieses Überleben gestaltet werden kann. Das wieder heißt, dass wir eine Überlebendensprache sprechen. Die, die es geschafft haben, sich die Umstände im Kosmos des Öffentlichen zunutze zu machen, und zu überleben. Die haben über all die Verläufe von Geschichte bestimmt, was in Sprache gefasst werden kann. „Kann“ ist hier das wichtige Wort. Wir heute. Wir sprechen das, was aus der Geschichte für uns Einzelne übrig geblieben ist.

Deshalb. Im Reden über die Kriege, die uns beschäftigen, weil deren Gewalt sich auf unsere Leben auswirkt. Jede Person stellt den ums Überleben ringenden Gewalttätigen nach. Und muss das. Wir kennen kein Anders-Sprechen. Deshalb. Jede Person ist plötzlich ein General, der alle Informationen hat, die Schlacht zu planen. Wenn wir heute in allen Medien wieder zu hören bekommen, dass es Leben kosten wird, den Feind zu besiegen. Es ist ein Satz des Alltäglichen. Die Ungeheuerlichkeit des Vorhabens. Weil es uns nicht unmittelbar betrifft. Wir ziehen höchstens die Schultern hoch. Unsere Verzweiflung über solche Sätze kann nur in Gesten ausgedrückt werden. Wie ja selbst unsere Empathie mit uns selbst in Gestik und Handlungen verbleiben muss. Wie dann erst die Empathie mit anderen. Den Vielen. Den Anderen. Mit der Welt.

Marlene Streeruwitz

Marlene Streeruwitz