Marlene Streeruwitz: Alle sind plötzlich Generäle
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Ekpathie ist die Fähigkeit, davon abzusehen, dass es sich immer um Personen und ihre Schicksale handelt, wenn wir sprechen. Die Sprache, mit der wir uns, jedenfalls westlich-nachchristlich, verständigen, beruht auf dieser Fähigkeit entpersönlichter Weltsicht. Ekpathie wird in Worten wie „Abstraktion“ verhüllt. Wissenschaftliche Ansichten begründen sich auf dieser Konstruktion. Politik. Soziologie. Alle Geisteswissenschaften. Wirtschaft. Wirtschaftswissenschaften. Heute. Unser Sprechen leitet sich immerfort aus der Notwendigkeit ab, uns im Kosmos des Öffentlichen unseren Platz zu verschaffen. Dabei geht und ging es immer um das Überleben der Person und wie dieses Überleben gestaltet werden kann. Das wieder heißt, dass wir eine Überlebendensprache sprechen. Die, die es geschafft haben, sich die Umstände im Kosmos des Öffentlichen zunutze zu machen, und zu überleben. Die haben über all die Verläufe von Geschichte bestimmt, was in Sprache gefasst werden kann. „Kann“ ist hier das wichtige Wort. Wir heute. Wir sprechen das, was aus der Geschichte für uns Einzelne übrig geblieben ist.
Deshalb. Im Reden über die Kriege, die uns beschäftigen, weil deren Gewalt sich auf unsere Leben auswirkt. Jede Person stellt den ums Überleben ringenden Gewalttätigen nach. Und muss das. Wir kennen kein Anders-Sprechen. Deshalb. Jede Person ist plötzlich ein General, der alle Informationen hat, die Schlacht zu planen. Wenn wir heute in allen Medien wieder zu hören bekommen, dass es Leben kosten wird, den Feind zu besiegen. Es ist ein Satz des Alltäglichen. Die Ungeheuerlichkeit des Vorhabens. Weil es uns nicht unmittelbar betrifft. Wir ziehen höchstens die Schultern hoch. Unsere Verzweiflung über solche Sätze kann nur in Gesten ausgedrückt werden. Wie ja selbst unsere Empathie mit uns selbst in Gestik und Handlungen verbleiben muss. Wie dann erst die Empathie mit anderen. Den Vielen. Den Anderen. Mit der Welt.
Und. Die hochgezogenen Schultern werden über länger zum Genicksyndrom, das uns ernsthaft krank machen wird. Wir werden Kopfschmerzen und Genickschmerzen auszuhalten haben, die uns vom Kosmos des Öffentlichen fernhalten werden. Das Sprechen von Empathie und deren Unmittelbarkeit erzählt sich, in unsere Körper gestopft, als Krankheit und Schmerz, während wir im ekpathischen Sprechen des Kosmos des Öffentlichen großartige, mittelbare Weltbeurteilungen von uns geben können.
Dieses Siegersprechen. Und. Die Mittelbarkeit dieses Siegersprechens dient dazu, den Sieg in die Zeit zu zerren und so den Sieg zu entzeitlichen und damit festzuhalten. Zu verlängern. Möglichst in Ewigkeit. Siegen für alle Zeit. Diese Intention. Sie ist in der Grammatik selbst hergestellt. Solches Siegersprechen bedeutet alle Mitleidlosigkeit. Und. Wir wiederholen diese Mitleidlosigkeit mit jedem Satz, den wir sagen. Denn. Empathie hat keine Reichweite, wenn es ums Anlächeln oder Umarmen der betroffenen Personen ginge. Keine Sprechsprache erlaubt uns, die betroffenen Personen in den Kriegsgebieten unmittelbar zu umarmen und zu trösten. Wir erreichen niemanden friedlich-freundlich mit unserem Sprechen, weil wir in der Mittelbarkeit der Sprache ferngehalten werden.
Und deshalb. „(Yes, there are those who imagine Jews and Palestinians coexisting harmoniously in some future river-to-sea Palestine. Hamas murdered that fantasy, along with so much else, on Oct.7.)“ Diese Sätze finde ich in der „New York Times“ vom 14. November 2023. Der Autor Bret Stephens hat diese Sätze in Klammern gesetzt. Es handelt sich also um ein aside. Eine Bemerkung, die nicht in den Text gehört. Eine Nebensächlichkeit.
Der Satz „Hamas murdered that fantasy, along with so much else, on Oct.7“. Das ist ein normaler Satz. Üblich. Und. Im Bild des Mords an einer Phantasie. Es ist hohe Sprache, eine solche Metapher einzusetzen. Die Vorstellung, wie die Täter nun die Phantasie von Frieden und Demokratie hingemordet haben. Dieses Bild nimmt uns mitten in einen realen Terror. Aber. Die Verwendung des Präteritums trennt den Vorgang von allem Zugriff ab. Der Mord an der Phantasie ist unveränderbares, in die Vergangenheit eingeschlossenes Geschehen. Ich als Leserin. Meine Phantasie wird mir als ermordet vorgelegt. Diese Phantasie ist mir ermordet worden, und ich soll mich den Schlüssen anschließen, die der Autor aus diesem Bild zieht. Er zieht seine Schlüsse mit einem solchen Satz ja nicht aus dem realen, vergangenen Geschehen. Er zieht seine Schlüsse aus dem von ihm geschaffenen Bild. Es ist reines Sprechen, in dem er mir meine Phantasie ermorden lässt. Und. Das ist hegemonial ekpathisches Sprechen. So wird im Kosmos des Öffentlichen geredet. So ist das normal. Der Autor mordet mir meine Phantasie mittels der Hamas. Wieder. Die Gewalt wird mittels der Metapher ausgebreitet. Über alles hingezogen. Aus der realen Grausamkeit wird die ekpathisch abstrakte. Die Metapher fungiert als Kriegsberichterstattung, die mir keine andere Möglichkeit lassen will als mich zu empören. Ich bekomme zwei Möglichkeiten des Reagierens. Ich kann dem Satz zustimmen. Ich kann den Satz auch in Klammern setzen und als Nebensache behandeln. Oder. Ich muss mir eingestehen, dass ich an einer ermordeten Phantasie festhalten will. Das lässt mich als kitschig dümmlich dastehen. Die Vorstellung, dass es andere Wege geben könnte, als mit Krieg zu antworten. Diese Vorstellung, die ist ja ermordet worden. Die Metapher. Wie alle Metaphern. Realität wird ins rein Mentale verschoben und zur Illustration von Gedankengängen benutzt. Metaphern sind immer Ideologie. Sind immer ideologische Deutung. Deutungsanweisungen. Metaphern sind sprachliche Deutungsvereinbarungen des Hegemonialen. Wenn also nun meine Phantasie von Terroristen ermordet wurde, dann – so wird mir mit Hilfe dieser Metapher erklärt –, dann sind eben auch Frieden und Demokratie ermordet. Und wieder. Was für eine Bilderwelt ist das eigentlich, in der Frieden und Demokratie und Phantasien ermordet werden können. Mit der selbstverständlich beanspruchten Hebung all dieser Worte in die natürliche Welt, in der gemordet werden kann. Die Phantasie und der Frieden und die Demokratie. Sie werden zu Menschenschatten gemachte Ahnungen, die erdolcht oder erschossen niedersinken. Ihre Leichen. Sie werden begraben werden müssen. Die Phantasie. Der Frieden. Die Demokratie. Sie sind nicht mehr. Und ich sollte nun der Gewalt zustimmen, die die Mordenden richten soll. Die vorgelegte Metapher greift auf das gesamte kulturelle Inventar von Metaphern zurück. Ekpathie braucht das Metaphorische. Damit wird das Sprechen und Denken zu jenem Ort des Überlebens gemacht, von dem aus dann das reale Leben regiert wird. Feudalität. Religionen. Ideologische Auseinandersetzungen. Andersartigkeiten. Feindschaften. Die reale Gewalt geht immer auf metaphorisch entworfene Umstände in Konflikten zurück. Der Satz von Bret Stephens bedient sich dieser Technik, wie es die Kriegserklärungen tun. Und. Die Metapher als mentaler Ort. Wir lernen in allem, was wir lernen müssen, dass solche Orte fixiert sind. Innere Institutionen sind das, die festgelegt die Verständigung garantieren. Es ist Konvention, dass wir eine solche Metapher als unausweichlich akzeptieren. Denn selbstverständlich. Weder die Phantasie noch der Frieden noch die Demokratie können ermordet werden. Personen können ermordet werden. Es ist also auch noch eine Drohung gegen die Personen mitgeliefert, die in dieser Phantasie lebten.
Diese Formulierung. So eine Formulierung. So wird geschrieben. So wird geredet. So wird in aller unhinterfragbarer Selbstverständlichkeit die Gewaltausübung der anderen den eigenen Zielen nutzbar gemacht. Die Metapher verbirgt das. Dazu sind die Metaphern ja da.
Wissenschaft. Politik. Demokratie wird sich nicht machen lassen ohne radikale Abkehr vom ekpathischen Sprechen, das vom Patriarchalen so selbstverständlich herstammt, dass in keiner anderen Form gedacht werden kann. Lyrik scheint ein Ausweg zu sein. Wahnsinn. Geisteskrankheit weicht von diesem Sprechen ab. Und unser Alltag, in dem wir freundlich funktionierend unserem Lieben und Trauern nachgehen, das wir in Gesten, Handlungen und sprachfernen Lauten wie Seufzen und Hauchen ausdrücken. In Umarmungen und Tränen. Diese Gestensprache. Sie verbleibt in der Unmittelbarkeit des Kosmos der Pflege. Muss das. Kann nichts anderes.
Zwar. Das ist gerade unser Privileg hier, mit dem wir still gehalten werden. Wir können in Ruhe weinen und seufzen. Die Personen im Krieg. Ihnen ist genau dieses Sprechen genommen, indem sie ihres Kosmos der Pflege beraubt werden, in dem sie lieben und trauern könnten. Als Flüchtende oder als Tote sind sie in eine öffentliche Unmittelbarkeit ihrer Leben gestoßen, die unausdrückbar in sich bleibt. Bleiben muss. Weinen. Klagen. Das ist minderes, entwertetes Sprechen, wie alles Sprechen im Kosmos der Pflege eben als makropathisch, miteinander sympathisierend, dem Ekpathischen entgegengestellt, nicht existiert.
Trauer, in der sich das Recht auf Lieben ausdrückt. Jene Vorgänge, die uns untereinander verbinden in Makropathie. Gesellschaftlichkeit beruht ja auf so viel mehr als Empathie. Lieben und Trauern beruhen auf Miteinander-Untereinander-Verständnis. Makropathie. Aber. Diese unschätzbar komplex freundlichen Vorgänge. Sie werden entwertetes Material politischer Ekpathie. Gefühlskram, mit dem die grausamen Vergleiche des Leids bewerkstelligt werden können. Vergleiche sind das, die die Klagen von Kain und Abel vor Gott nachstellen. Leid wird zu einer Währung der Gewalt und zum Genuss der Gewalttätigen. Und die Gutmeinenden werden in den Raub ihrer Trauer verwickelt. Sie entwickeln ein schlechtes Gewissen. Ein Gefühl ist das, das wiederum nicht Ausdruck finden kann und darf. Das schlechte Gewissen. Das schlechte Gefühl. Es wird in die es fühlende Person zurückgeworfen. Die fühlende Person wird so beschäftigt und ist still. Empathie. Makropathie wird zur wohlgeordneten, absichtsvollen Beschäftigungstherapie, zur Ruhigstellung derer, die nicht vollkommen in den Kosmos des Öffentlichen übergelaufen und Soldaten der Ekpathie geworden sind.
Ich. Ich möchte makropathisch leben. Also gemeinsam empathisch denken und fühlen und also leben. Ich möchte nicht den ekpathischen Regeln öffentlichen Sprechens folgen, in denen mir per Kurzkommentar in aller Selbstverständlichkeit der Frieden ermordet werden kann. Ein Mord sollte das sein, der mich hilflos gemacht, in die Argumente der Waffentragenden zurückholt. Und Waffen tragen. Immer schon war es das Gewaltmonopol, um das der Kosmos des Öffentlichen sich organisierte. Das Gewaltmonopol. Es ist sprachstiftende Grundlage unserer Verständigung. In der Logik des Gewaltmonopols muss Demokratie verhindert werden. Sich stark fühlen. Das ist in unseren Kulturen nur durch Überwältigung anderer herstellbar. Wir erleben das gerade in den Sprechsprachen all der rassistischen und antisemitischen Gruppen, die sich in Unversöhnlichkeit einüben. Auch bei uns. Es läuft die Vorbereitung dafür, dieses unversöhnlich rassistische, antisemitische Sprechen in Gewalt kippen lassen zu können.
In der Geschichte. Wir sehen, wie alle Personen, die ihre Empathie auf alle Personen erweitern, makropathisch Frieden wollen. Die nicht die Vielen für die Ziele der Wenigen missbraucht sehen wollen. Wie alle Personen, die ihre eigene Hilflosigkeit erkennend, von der Hilflosigkeit der anderen wissen können. Wie alle diese Personen, immer schon als Lebenswillige abgewertet, sich keines Sprechens bedienen können, weil die Sprache selbst nur Ekpathie und damit Aggression kennt.
Nun. Ich werde mir meine Phantasien nicht in Metaphern ermorden lassen. Ich werde mich nicht in die Festungshaft der Sprechsprachen im Kosmos des Öffentlichen nehmen lassen. Es muss andere Wege als Waffengewalt geben. Und. Wir können makropathisch denken, weil das Überleben der Welt selbst auf dem Spiel steht. Die Höhe dieser Gefahr. Und die Zerstörung durch Kriege. Es muss die Zukunft eingerechnet werden. Die zukünftigen Leben, die durch die jetzigen Kriege nicht gelebt werden können, weil die Zerstörung so groß ist. Denn. Die Höhe dieser Gefahr macht es notwendig, sich anderer Modelle des Überlebens im Kosmos des Öffentlichen zu bedienen als das plane Überleben in Überwältigung und Sieg. Und bedenken wir. Wenn wir nicht mehr Sieg und Niederlage sprächen. Wenn jedes Leben das Leben selbst wäre. Und genug. Wenn sich die Umstände des Lebens um das Leben anordneten und nicht um die Macht. Wenn wir Steigerung grammatikalisch in gut-besser-gut sagen könnten. Wenn Leid als Leid je anerkannt, nicht mehr den Missbrauch des Leids als Währung der Vergeltung möglich machte. Wenn wir genau sprächen und nicht in die Abstraktionen der Mittelbarkeit verfielen. Wir könnten uns auch heute schon über Frieden verständigen. Wir könnten uns auf den Weg machen, uns dem Geifern des Kosmos des Öffentlichen zu entziehen. Denn es ist Geifern, wenn ich mir in einem aside meine Phantasie einer friedlich freundlichen Welt ermorden lassen muss. Unvermeidlichkeiten. Ewige Wiederholungen. Es ist Geifern, wenn keine Vorstellung erlaubt wird, die sich nicht des leviathanischen Bilds vom Menschen als Gewalttäter bedienen will. Und im Übrigen. Die demokratische Person kann nur friedlich gesehen werden. Wie will wirkliche Demokratie Krieg führen, wenn jede Person sich auf das Grundrecht zu leben berufen könnte. Aber dieses Grundrecht. Das wird in solch selbstverständlichen Phrasen weggegeifert. Und das könnte noch so „gut“ gemeint sein. Es ist immer böse Gewalt, die sich das antidemokratische Recht auf den Tod der Personen nimmt. Es ist böse Gewalt, wenn das Sprechen dieses antidemokratischen Rechts, wo immer her, nicht eingesprochen wird. Und das wörtlich. Wörtlichster Einspruch müsste das sein. Was nicht gesagt werden kann, das kann es nicht geben. Frieden ist dafür das allerbeste Beispiel. Oder Gewaltkritik.