Kultur

Martin Kušej: „Diese Behauptungen machen mich sprachlos“

Burgtheater-Chef Martin Kušej über Erfolge, Auslastungsfragen und den Vorwurf, er pflege einen cholerisch-autoritären Führungsstil.

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Die Entscheidung über die künftige Burgtheater-Direktion wird in Kürze fallen. Gehen Sie davon aus, dass Ihre Amtszeit verlängert wird? Aus welchen Gründen sollte dies geschehen?
Kušej
Natürlich mache ich mir meine Gedanken, aber letztlich habe ich, wenn ich ehrlich bin, keine Fantasie dafür, nicht verlängert zu werden. Im Moment müssen alle Kulturinstitutionen Vertrauen schaffen und das Publikum zurücklocken. Das hat für uns oberste Priorität und gleichzeitig wollen wir unseren Ausgangspunkt – die Internationalisierung des Hauses, ein mehrsprachiges und diverses Ensemble – weiterverfolgen. Die Krisen haben uns stärker gemacht, ein Zusammengehörigkeitsgefühl und ein Wahrnehmen unserer Erfolge, auf die wir aufbauen können, stellen sich jetzt – nach zweieinhalb Jahren Pandemie – deutlich spürbar ein. Das Ensemble des Burgtheaters ist großartig wie selten zuvor, die ästhetische Vielfalt unserer Bühnen ist enorm mannigfaltig. Ganz unabhängig von meiner Person wäre es wirklich nicht nachvollziehbar, hier ohne Not die Ruder komplett herumzuwerfen.
Wie würden Sie ihre bisherige „Ära“ bilanzieren?
Kušej
Von „Ära“ kann nach gut drei Jahren leider noch keine Rede sein. In der ersten Spielzeit sind wir gut gestartet, haben viel riskiert und Aufsehen erregt. Denken Sie an Rasches „Bakchen“-Inszenierung, „Die Vögel“, „Der Henker“ oder Jelineks „Schwarzwasser“. Danach hat uns die Pandemie einen Strich durch die Rechnung gemacht. Herausragende Inszenierungen wie „Die Troerinnen“, „Die Hermannsschlacht“ oder „Adern“ sind nicht ausreichend wahrgenommen worden. Diese Spielzeit läuft super, ich bin sehr zufrieden, ob mit „Engel in Amerika“, dem „Weiten Land“ und aktuell „Dämonen“ oder auch unserem jungen Ensemble bei „Ingolstadt“. Und schließlich sind „Automatenbüfett“, „Maria Stuart“, „Geschlossene Gesellschaft“ und neuerdings „Nebenan“ unsere absoluten Highlights beim Publikum.
Burgtheater-Insider berichten Befremdliches: Es herrsche ein „oft respektloser Umgangston“, der „bis ins Cholerische“ gehe. Von „Willkür“ ist die Rede und von einer „Atmosphäre der Angst, weshalb viele das Burgtheater bereits verlassen hätten“, von einer Mischung aus chaotischem Arbeiten und autoritärem Führungsstil. Bitte nehmen Sie dazu Stellung.
Kušej
Ich freue mich, diesen von missgünstigen Menschen irgendwann in die Welt gesetzten Behauptungen endlich widersprechen zu können. Ich lese diese Texte seit über zehn Jahren, was mich zur Vermutung bringt, dass sie einfach immer wieder ungeprüft abgeschrieben werden. Sie machen mich aber auch sprachlos. Denn mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun. Diese „Insider“ möchte ich gerne mal kennenlernen! Ich führe authentisch, mit Respekt und Hingewandtheit zu meinem Ensemble, und ich befinde mich dabei mit meinem Team auf Augenhöhe. Sie werden niemanden aus meinem Team finden, der das Burgtheater aus anderen Gründen, als aus beruflicher Veränderung oder um in den Ruhestand zu gehen, verlassen hat. Alle diese völlig normalen Vorgänge haben wir mit Bedauern, aber einvernehmlich und in freundschaftlicher Atmosphäre gelöst. Ich habe wöchentlich einen „open space“ in meinem Büro, wo jede und jeder Gelegenheit hat, seine Probleme zu deponieren oder seine Kritik zu äußern. Ich bin sicher manchmal impulsiv oder einfach ungeduldig, aber ich höre auch zu und lasse mich überzeugen. Das hat nichts mit Willkür oder Chaos zu tun, sondern mit Respekt und dem Wunsch, das Beste zu machen. Von Begriffen wie „cholerisch“, „autoritär“ oder „Angst“ distanziere ich mich aufs Deutlichste. Es wäre unmöglich, ein Haus mit solchen Prämissen zu leiten. Ich gehe jeden Tag freudig ins Burgtheater – und treffe dort auf Menschen, mit denen ich freundlich und kollegial verbunden bin.
In der Ausschreibung für das Burgtheater wurde explizit vermerkt, es werde eine „teamorientierte Persönlichkeit“ verlangt. Deuten Sie dies als Hinweis auf eine mögliche Nichtverlängerung Ihres Vertrags?   
Kušej
Im Gegenteil: Dieses Kriterium war bereits in der letzten Ausschreibung eine der Grundlagen für meine Berufung. Ich bin inszenierender Direktor, ich habe von Anfang an ein starkes Team um mich herum gebraucht und habe das auch seit meiner Intendanz in München. Ich habe nichts gegen geteilte Führung. Das allein heißt aber nicht automatisch, dass ein Haus demokratischer wird, da braucht es mehr.
Sie haben während der Lockdowns, im Gegensatz zu anderen Kulturinstitutionen, im Burgtheater kaum alternative Kommunikationsfelder gesucht. Sehen Sie das inzwischen auch als Versäumnis?
Kušej
Nein. Wir haben sehr stark den digitalen Raum bespielt und konnten mit unserem Ensemble in Videoreihen sehr, sehr viele Menschen erreichen. Da waren Wohnzimmerlesungen mit über 50.000 Aufrufen pro Ausgabe genauso dabei wie 22 inszenierte Auftragsmonologe von Autorinnen wie Teresa Dopler, Marlene Streeruwitz oder auch David Schalko in „Wiener Stimmung“. Und auch innovative Projekte wie die Inszenierung „Die Maschine in mir“. Klassisches Streaming haben wir dagegen wenig gezeigt, das stimmt. Aber das sehe ich tatsächlich nicht als Versäumnis, sondern als deutliche Haltung für ein analoges Live-Erlebnis von Theater und für ein Bewahren dieses einzigartigen Austausches von künstlerischer Energie zwischen Menschen auf einer Bühne und dem Publikum im Zuschauerraum. Das ist unser Kerngeschäft und unsere DNA. Da weiß ich mich einer Meinung mit den meisten Theaterschaffenden in ganz Europa.
Nehmen Sie Signale wahr, dass sich die schwache Auslastung Ihres Hauses wieder drehen könnte?
Kušej
Von einer „schwachen Auslastung“ des Burgtheaters kann keine Rede sein. Alle Theater leiden aktuell unter schwankenden Auslastungszahlen, das stimmt – und in dieser Situation gibt es eine große Solidarität und einen wichtigen Erfahrungsaustausch, wobei wir alle nach Möglichkeiten der Konsolidierung suchen und um diese ringen. Bis Ende Oktober lagen wir im Burgtheater bei einer Gesamtauslastung von etwa 60 Prozent, bei einer Fortsetzung der aktuellen Entwicklung in diesem Monat werden wir Ende November eine Gesamtauslastung von knapp unter 70 Prozent erreichen. Die Zeiten sind herausfordernd, aber wir werden sie auf jeden Fall schaffen. Ich rechne da übrigens mit einer verlässlichen und weiter steigenden Unterstützung durch unser Publikum, das neugierig und erlebnishungrig in unsere Aufführungen kommt. Aus vielen, vielen Begegnungen weiß ich, dass unsere Arbeit außerordentlich geschätzt wird.
Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.