Schleppender Start: Die Burg-Ära von Martin Kušej blieb bisher hinter den Erwartungen zurück.

Martin Kušej im Burgtheater: Bitte Haltung annehmen!

Demnächst wird die Leitung des Wiener Burgtheaters ab 2024 ausgeschrieben. Wird Martin Kušejs Vertrag verlängert werden?

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Tanker können nicht spontan dahinschippern. Um sie zu manövrieren, braucht es langfristige Planung. Vorlaufzeiten von vier bis fünf Jahren sind etwa im Opernbetrieb keine Seltenheit. Die Wiener Staatsoper wurde deshalb bereits diesen April für die Zeit ab Sommer 2025 ausgeschrieben. Allerdings handelte es sich um eine reine Formalität. Denn Direktor Bogdan Roščić hat sich trotz Pandemie bestens geschlagen – nicht zuletzt dank gestreamter Premieren. Es wäre eine Überraschung gewesen, wenn Roščić nicht verlängert worden wäre.

Anders sieht es mit dem Burgtheater aus. Martin Kušej, dessen Vertrag im Sommer 2024 ausläuft, hat eine gemischte Performance hingelegt: Viele Produktionen blieben hinter den Erwartungen zurück. Der einst so streitbare Kušej agierte in der Viruskrise überraschend kleinlaut und visionslos. Glaubt man Insidern, scheint die Stimmung im Haus am Ring im Keller zu sein. Was also tun? „Das Burgtheater wird Ende August, Anfang September ausgeschrieben“, heißt es auf profil-Anfrage aus dem Büro der Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer. Nach einer Bewerbungsfrist von vier Wochen wird eine Jury zusammengestellt, dann folgen Hearings. Vor Weihnachten soll dann endgültig feststehen, wie es mit dem Burgtheater weitergeht. Natürlich könne sich auch Martin Kušej bewerben, so Mayer.

Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Kušej durchgewinkt wird. Durch pandemiebedingte Schließungen hatte er tatsächlich wenig Gelegenheit, zu zeigen, was er kann. Man könnte verstehen, dass Kušej eine zweite Chance bekommt. Trotzdem braucht es seitens der Politik und der Bundestheaterholding, die in dieser Causa ein Wort mitzureden hat, eine klare Haltung, wofür das Haus stehen soll. Schauen wir einmal, wer sich bewirbt, und entscheiden wir dann? Dieser Zugang funktioniert kaum je. Denn hochkarätige Kandidatinnen und Kandidaten bewerben sich meist nicht. Sie erwarten, dass diskret auf sie zugegangen wird.

Der Zeitpunkt wäre jedenfalls ideal, um das Haus neu aufzustellen. Selten zuvor gab es so viele Anwärter, deren laufende Verträge sich nicht mit dem Burg-Antritt überschneiden würden. Aber wen sucht man? Im Grunde gibt es drei mögliche Anforderungsprofile, an die man sich halten kann: Man wählt etwa jemanden, der zeitgenössische Dramatik als Schwerpunkt setzt. Oder eine Person, die – wie Kušej – selbst Regie führt. Oder jemanden, der gleichsam quer einsteigen und Experimente ermöglichen würde, um der Burg jenen Innovationsschub zu verpassen, den Kušej zwar versprochen, aber bislang nicht eingelöst hat.

Für Literaturtheater im besten Sinn stehen Bettina Hering, 62, die noch bis 2023 das Schauspielprogramm der Salzburger Festspiele verantwortet, und Andreas Beck, 57, Intendant des Münchner Residenztheaters, der lange Dramaturg am Burgtheater gewesen ist. Beide besitzen ein feines Gespür für zeitgenössische Dramatik und würden Autorinnen und Autoren entdecken und fördern. Der Berliner Matthias Lilienthal, 62, hat die Münchner Kammerspiele bis 2020 geleitetet. Er ist vom Typus her eher Festivalkurator, entspricht also dem dritten Typus möglicher Burg-Führungspersönlichkeiten; er hat Stadttheater und Off-Szene fusioniert, wobei ihm nicht alles geglückt, aber vieles am Ende seiner Intendanz doch schön aufgegangen ist. Lilienthal berät gegenwärtig die Münchner Philharmonie, für ein eigenes Theater wäre er aber vermutlich zu haben.

Eine interessante Option wäre auch der deutsche Regisseur Nicolas Stemann, 53, der am Züricher Schauspielhaus ein sehr diverses Team um sich geschart hat. Das Haus gilt als das spannendste deutschsprachige Theater – und ist auch für junges Publikum attraktiv. Nicht zuletzt hat auch Yana Ross, 49, am Züricher Schauspielhaus inszeniert. Die in Lettland geborene Amerikanerin überschreibt Klassiker neu, holt sie in die Gegenwart und ist zudem sehr meinungsstark, wie sie bei den laufenden Salzburger Festspielen mit ihrer Intervention gegen „toxisches Sponsoring“ bewiesen hat. Für die Burg wäre sie eine überraschende Wahl. Ein Argument für Ross oder Hering: Karin Bergmann, die das Burgtheater nach Matthias Hartmanns unfreiwilligem Abgang 2014 wieder auf die Beine gestellt hat, sollte nicht die letzte Frau an der Spitze des bedeutendsten heimischen Theaters gewesen sein. Da geht noch mehr.

Theater muss man sich ersitzen. Man kann weder vor- noch zurückspulen. Keine Ahnung, wie viele Monate, vielleicht sogar Jahre ich schon in den samtig roten Sitzen versunken bin. Unter Claus Peymann habe ich an der Burg eine Hospitanz gemacht. Er meinte: Im Theater zu arbeiten, das sei wie in ein Kloster einzutreten. Zum Glück bin ich Journalistin geworden, da musste ich kein Schweigegelübde ablegen.“

Karin Cerny

Karin   Cerny

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