Marvels „Black Panther: Wakanda Forever“: Götterdämmerung

Die Fortsetzung des afrofuturistischen Marvel-Kinowelterfolgs „Black Panther“ jongliert mit Politik, Geschichte und Mythen – und feiert bildgewaltig Feminismus und Antikolonialismus. Schwindelerregende Reise in ein Referenz-Inferno.

Drucken

Schriftgröße

Die aus den Tiefen des Meeres auftauchenden Sirenen locken ihre Gegenspieler mit hochfrequent-betörendem Gesang in den Untergang; diese Schimären, es sind amphibische Humanoide, verführen durch Klangschönheit zum Tod. Sie entstammen einem sagenumwobenen Unterwasser-Königreich, das nach dem Modell des alten Atlantis angelegt zu sein scheint.

Es trägt den Namen Talokan, das offenbar eine Trivialisierung des mythischen Jenseitsparadieses der Azteken, Tlālōcān, darstellt. Der Regent jenes unentdeckten submarinen Staates, eine Art fliegender Wassergott, fordert vergeblich Hilfe von den Befehlshaberinnen der fiktiven afrikanischen Supermacht Wakanda, denn er sucht Verbündete für seinen Krieg gegen den kolonialen Westen, der die unschätzbar wertvollen Ressourcen beider Nationen auszubeuten plant. 

Man sieht schon: In dem Film, um den es hier geht, dem zweiten Teil der „Black Panther“-Saga, schwingt einiges an mytho-historischem Ballast mit. Das ist umso erstaunlicher, als es sich dabei um millionenschwere Unterhaltungsware handelt, in die Kinos der Welt gespült aus den Untiefen der amerikanischen Filmindustrie, die es sonst eher nicht als ihre primäre Aufgabe begreift, die Stammklientel mit feinsinnigen kulturhistorischen Anspielungen zu behelligen. 

Aber der Reihe nach; das Demokratiemärchen vom emanzipatorischen, schwarzen Panther führt zurück in die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Es war einmal: ein Film der marktbeherrschenden Firma Disney, der Mitte Februar 2018 – destilliert aus den Ereignissen rund um eine seit 1966 in den Superheldencomics des Marvel-Verlags umtriebige Gestalt namens „Black Panther“ – veröffentlicht wurde. (Die Marvel Studios sind ein Tochterunternehmen des Disney-Konzerns.) Der globale Erfolg jenes Werks überraschte selbst eingefleischte Industrie-Optimisten: Mit einem weltweiten Einspielergebnis von fast 1,4 Milliarden Dollar rangiert „Black Panther“ seither in den oberen Rängen der meistgesehenen Filme aller Zeiten. 

In dem soeben weltweit gestarteten zweiten Panther-Drama – es trägt den kämpferischen Nebentitel „Wakanda Forever“ – rotiert die afrofuturistische Assoziationsspirale nun noch heftiger: Diese Produktion zelebriert Black Power, griechische Mythologie und feministisch-futuristische Visionen. Die Hoffnungen der durch drastische Rückgänge der Zuschauerzahlen seit Monaten arg gebeutelten US-Filmindustrie lasten auf diesem Werk: In 4300 Lichtspielhäusern ist es seit Mitte vergangener Woche in Nordamerika zu sehen, aber anders als im Fall des Vorgängerfilms dürfte ein Kinostart in China und Russland wohl längerfristig nicht zur Debatte stehen; wobei vor allem das Veto des chinesischen Regimes schmerzen wird, das mit amerikanischen Freiheitshymnen (und allfälligen Szenen gleichgeschlechtlicher Partnerschaften) bekanntlich immer weniger anfangen kann. 2018 hatte China „Black Panther“ noch zugelassen – und stolze 105 Millionen Dollar für Hollywood lukriert.

„Black Panther: Wakanda Forever“ ist keiner der handelsüblichen Superheroismus-Kinoexzesse, nicht auf betäubendes Action-Dauerfeuer angelegt; Ryan Cooglers Inszenierung hält die unabdingbaren elektronischen Verschrottungsmanöver, seine Nahkampf- und Kriegssequenzen erstaunlich knapp, konzentriert sich lieber auf ruhigere Passagen; so gewährt Coogler den vielen angespielten Ideen Raum zur Entfaltung. Diese dramaturgische Feinarbeit gewährt eine reflexive Qualität, die angesichts von 161 Minuten Laufzeit tatsächlich nötig ist. Es gibt in diesem Film neben dem Spiel der computergenerierten Bildwelten überraschenderweise so etwas wie ein emotionales Zentrum. 

Elegie für einen Abwesenden

Der amerikanische Schauspieler Chadwick Boseman, der in „Black Panther“ 2018 den Titelhelden gab, starb 2020, erst 43-jährig. „Wakanda Forever“ ist ihm nun gewidmet, und tatsächlich kreist der Film wie besessen um Boseman, das fehlende Zentrum dieser Ermächtigungserzählung. 

Dies hat mit einem realen Unglücksfall zu tun. Der Tod des viel geliebten „Black Panther“-Titelhelden Chadwick Boseman im August 2020 (er starb an einer Darmkrebserkrankung) lancierte eine eigene bittere Pointe: Eine unzerstörbare Kino-Supermacht hatte sich im realen Leben als verwundbar erwiesen. „Wakanda Forever“ ist auch als langer Abschied von Boseman konzipiert, als Anerkennung seiner schmerzlichen Abwesenheit; die Beerdigung der Figur, die er gespielt hat, wird im Fiktionalen nachgeholt, in einem Massenritual, das nicht nur die Trauer zu fassen hilft, sondern vor allem das Leben feiert: Diese Bilder einer stilisierten, in die Science-Fiction gespiegelten afrikanischen Folklore stehen am Beginn der Erzählung, und sie sind programmatisch zu begreifen: Der Sarg des royalen Panthers wird von einer verwegen in die Zukunft blickenden Frauengruppe getragen. Bosemans Verlust färbt diesen neuen Film unausweichlich melancholisch: ein Entertainment-Produkt als Elegie.

Der Mann, mit dem diese Saga einst in Comic-Buchform begann, trat in einem schwarzen Kampfanzug im Pantherdesign an, sein eigentlicher Name: T’Challa, König des Fantasy-Lands Wakanda. Der Black Panther war der erste afrikanische Superheld in einem US-Mainstream-Comic. Im weitverzweigten Marvel-Universum tauchte diese Figur  bereits im Juli 1966 erstmals auf, in einer Ausgabe der Serie „Fantastic Four“. Im Namen des Action-Regenten scheint die Black Panther Party anzuklingen, jene sozialistisch-revolutionäre, bewaffnete Freiheitsbewegung schwarzer Amerikaner, die allerdings zum Zeitpunkt der Comic-Premiere T’Challas noch gar nicht existierte. Bobby Seale und Huey Newton gründeten die Partei erst einige Monate später, im Herbst 1966. 

Cooglers Inszenierung hält die Nahkampf- und Kriegssequenzen knapp, konzentriert sich vielmehr auf die Reflexion der angespielten Ideen.

Die Welt des Unternehmens Marvel, seit 83 Jahren in konstanter Entwicklung begriffen, ist hoch kompliziert; der Versuch, auch nur ansatzweise nachzuzeichnen, wie all die in den „Black Panther“-Filmen auftretenden Figuren zusammenhängen und welche Vorgeschichten sie hierher gebracht haben, würde den Rahmen dieser Zeitschrift sprengen. Aber die Details ihrer Herkunft und Interaktion muss man nicht kennen, das ist Hollywoods Maxime: Niederschwelligkeit hat Priorität. „Wakanda Forever“ ist ein Superhero-Patchwork: Manche der hier handelnden Personen, etwa T’Challas Schwester Shuri (gespielt von Letitia Wright), wurden überhaupt erst in den letzten beiden Jahrzehnten erdacht, andere (wie der submarin lebende Antiheld, Talokans König Namor) sprangen bereits 1939, im Gründungsjahr des Marvel-Verlags, durch die Bilder der Abenteuerhefte.

Der junge kalifornische Regisseur, Autor und Produzent Ryan Coogler, der das Drehbuch (wie schon im Fall des ersten „Black Panther“-Films) gemeinsam mit Joe Robert Cole schrieb, gehört seit 2018 zu Hollywoods einflussreichsten Gestalten. Kein afroamerikanischer Regisseur hat höhere Profite erwirtschaftet als er. Er nutzt diese Freiheit nun auch dazu, die 
narrative Komplexität seiner Superheldenstorys zu erhöhen. In „Wakanda Forever“ werden jahrtausendealte Mythen beherzt mit jüngerer Geschichte verschnitten, zu der auch die blauen Wasserwesen aus James Camerons Blockbuster „Avatar“ (2009) zählen mögen. Aber Cooglers Erzählung bleibt, bei aller Fantasterei, einer politischen Wirklichkeit verbunden, die es zu denunzieren gilt. Es geht beispielsweise um Kolonialismus und die Ausbeutung natürlicher Ressourcen: Der Abbau eines Rohstoffs namens Vibranium, der zur Herstellung von Massenvernichtungsmitteln benutzt werden kann, macht Wakanda zur globalen superpower. Die CIA interessiert sich naturgemäß brennend für dieses fremde Metall. Sie schickt, wie im wirklichen Leben, ihre Leute aus, mit der fast schon selbstverständlichen Lizenz, über Leichen zu gehen. 

Mythische Figur

Der ozeanische Rachegott Namor, gespielt von dem Mexikaner Tenoch Huerta

Das Realpolitische ruht in „Wakanda Forever“ auf archaischer, aber handfester Basis, auf den Traditionen und der Leidenshistorie indigener afrikanischer und mittelamerikanischer Kulturen. Dem wütenden Wasserkrieger Namor stehen nicht nur gespitzte Spock-Ohren, sondern –  ähnlich wie den Göttern Hermes und Merkur – auch Flügel an den Fußknöcheln zur Verfügung. Er bewegt sich mit äußerster Souveränität im Wasser, an Land und in der Luft. Eine verwundbare Stelle hat aber auch er, wie Siegfried und Achilles. Der Mexikaner Tenoch Huerta spielt Namor mit Lust an der Eskalation und der Überheblichkeit einer Weltmacht. Auch er hat gute, biografische Gründe für seinen Hass: Die einstige Versklavung seines Volkes hat ihn zu einem brutalen Kämpfer gegen die surface world, die „Oberflächenwelt“, wie er sie nennt, gemacht. Charakterliche Ambivalenzen und differenzierte Figurenzeichnung sind in diesem Superheldenepos ausnahmsweise zulässig. Wie ernsthaft übrigens das Spiel dieser fiktionalen Biografien betrieben wird, zeigt auch die Tatsache, dass der renommierte Essayist und Rassismusforscher Ta-Nehisi Coates seit 2016 zum Kernautorenteam der „Black Panther“-Comics gehört. 

Auf schwarze und weibliche Selbstermächtigung legt es „Wakanda Forever“ an. Ein schlagkräftiges Matriarchat füllt das Sympathie-Vakuum, das Boseman hinterlassen hat – mit freundlicher Genehmigung der neuen wokeness Hollywoods: Wakandas Belegschaft hat jedenfalls kein Sexismusproblem mehr. Die tragenden Darstellerinnen dieses Films – Letitia Wright, Lupita Nyong’o, Florence Kasumba, Michaela Coel und Danai Gurira – werden von einer weiblichen Elitekampftruppe nachdrücklich unterstützt. Die charismatische New Yorker Schauspielerin Angela Bassett, 64, dominiert jedoch unangefochten den ersten Teil des Films. Sie bringt ihre eigene Geschichte mit: Vor 30 Jahren spielte sie in Spike Lees „Malcolm X“ an der Seite Denzel Washingtons die aktivistische Ehefrau des „Nation of Islam“-Anführers. 1995 wiederholte sie diese Rolle in Mario & Melvin Van Peebles“ „Panther“, einer historischen Rekonstruktion der Genese jener afroamerikanischen Revolutionspartei. Das Erlebnis ihrer moralischen Autorität und ihres gewaltigen Auftritts, begleitet von grimmiger Entourage, im Rahmen einer UN-Versammlung am Anfang von „Wakanda Forever“, ist allein schon das Eintrittsgeld wert.

Eine fast schon schwindelerregende Überfülle an Zitaten, Verweisen und visuellen Attraktionen trägt diesen Film: Der ivorisch-französische Schauspieler Isaach de Bankolé etwa, bekannt aus Werken von Claire Denis und Jim Jarmusch, tritt hier – wie schon im ersten „Black Panther“-Spektakel – mit afrikanischem Dehnungsschmuck, mit pittoresken Lippen- und Ohrläppchenteller auf. Das erstklassige Production- und Kostüm-Design (von Hannah Beachler und Ruth E. Carter) muss grundsätzlich hervorgehoben werden. Das zweite große Panther-Schaustück, wiewohl nicht sonderlich „spannend“ im klassischen Sinn des Begriffs, liefert der Welt neues Opium, mit erhöhter Suchtwirkung und neuer soziokultureller Relevanz. Der Titel „Wakanda Forever“ darf somit wörtlich genommen werden: Die Evolution der „Black Panther“-Kinoserie, die mit diesem Film Form annimmt, wird nicht aufzuhalten sein. 

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.