Michel Hazanavicius: „Ich bin der Trottel, der jede Peinlichkeit ausreizt!“
Nichts als Ärger mit den Untoten: Oscar-Preisträger Michel Hazanavicius nimmt sich in seiner exzentrischen neuen Komödie ein japanisches Zombie-Original vor. Interview mit einem Lustspielspezialisten.
Die Freiheit, sich als international renommierter Künstler, der längst die höchsten Weihen seiner Zunft erhalten hat, lieber dem Sinnwidrigen und Aberwitzigen zu widmen als dem Geschmackvollen und Noblen, diese Freiheit gilt es zu zelebrieren. Als der Regisseur und Autor Michel Hazanavicius, dessen Großeltern polnisch-litauische Juden waren und in den 1920er-Jahren nach Frankreich emigriert waren, mit einem hochsentimentalen, aber liebevoll gestalteten Stummfilm „The Artist“ (2011) einen Welterfolg landete, konnte niemand absehen, wohin die Karriere des Franzosen steuern würde.
Vor bald elf Jahren, Ende Februar 2012, nahm Hazanavicius bei der Oscar-Gala also erst die Auszeichnung als bester Regisseur entgegen – und vergaß in der Euphorie des Moments gleich seine Rede. Unfallfrei ging es auch sonst nicht ab: Filmstar Michael Douglas, der ihm den Preis überreichte, stolperte über Hazanavicius’ sechssilbigen Nachnamen ebenso wie am Ende des Abends auch dessen Produzent Thomas Langmann, als der letzte von fünf Academy Awards für „The Artist“ als bester Film des Jahres fällig wurde. Der Freude tat dies keinen Abbruch; an Menschen, die seinen Namen nicht aussprechen können, hat sich Hazanavicius früh gewöhnt.
Und ... Schnitt! „Coupez!“ heißt sein jüngster Film im französischen Original – und das Wort passt gut, obwohl hier weniger Filmbilder als vielmehr Körper drastisch geschnitten werden. Unter dem Titel „Final Cut of the Dead“ kommt die absurde Komödie, die sich um eine schnell entgleisende Horrorfilmproduktion dreht, bei der echte Untote eine Reihe inszenierter Zombies zu bedrängen beginnen, diese Woche in hiesige Kinos. Eigentlich hätte der Film nur einen Buchstaben im Titel tragen sollen: „Z“. Dies musste, als das Werk im Mai 2022, die Filmfestspiele in Cannes eröffnete, schleunigst geändert werden. Russlands militärisches Propagandazeichen wollte Hazanavicius nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine nicht mehr auf seinen Film stempeln.
Für das profil-Interview schaltet sich der Regisseur, mit munterem Blick und rot-blau kariertem Holzfällerhemd, von seinem Pariser Apartment aus per Zoom nach Wien zu. Der seltsame Eröffnungsabend des Festivals in Cannes, der das Pathos einer Selenskyj-Live-Ansprache mit der Farce einer Feelgood-Zombie-Komödie unter einen Hut bringen wollte, ist auch ihm in Erinnerung geblieben.
Ihr Film schien in Cannes, bei aller Sympathie, etwas deplatziert.
Hazanavicius
Ich fand den Abend ebenfalls sehr eigenartig. Ich ging davon aus, dort ausgebuht und ausgepfiffen zu werden. Aber die postpandemische Botschaft meines Films passte schon: Er ist ja eine Liebeserklärung an all die Menschen, die in dieser Industrie arbeiten. Auch wenn die Ergebnisse oft lachhaft sind – alle geben ihr Bestes. Insofern war unsere heitere Horrorshow vielleicht doch ein guter Cannes-Eröffnungsfilm.
„Final Cut of the Dead“ ist das Remake eines japanischen No-Budget-Zombie-Lustspiels von 2017; Hazanavicius bleibt erstaunlich nahe an Shinichiro Uedas frenetischem Instant-Klassiker „One Cut of the Dead“, der mit weltweiten Kassenergebnissen von über 30 Millionen Dollar inzwischen mehr als das Tausendfache seiner Produktionskosten eingespielt hat.
Kannten Sie Uedas Film schon, als er 2018 seinen Triumphzug durch die internationalen Festivals begann?
Hazanavicius
Überhaupt nicht. Ich war, ehrlich gesagt, nie ein großer Fan von Zombiefilmen. Ich plante allerdings, als die Pandemie startete, eine Komödie über Filmdreharbeiten. Ich erzählte meinem Produzenten davon, der mir erklärte, er habe gerade die Remake-Rechte zu dieser irren japanischen Zombie-Comedy erworben, ich müsse diesen Film unbedingt sehen. Was ich noch am selben Abend tat – und ich fand „One Cut of the Dead“ großartig, in seinen Ideen, aber auch strukturell. Ich drehte das Remake dann sehr schnell – natürlich mit ein bisschen höherem Budget. Ich habe bis heute nicht die geringste Ahnung, wie Ueda das mit so wenig Geld hingekriegt hat.
Ihr Film fügt dem Original eine weitere Schicht hinzu, indem Sie auch die Idee des Remakes thematisieren und eine der Schauspielerinnen Uedas engagiert haben.
Hazanavicius
Ja, diese maximale Verschachtelung entspricht dem Prinzip des Films. Die meisten Remakes versuchen ja zu verschleiern, dass sie auf einer starken Vorlage basieren. Eine weitere Ebene, die ich spielerisch einziehen wollte, betrifft meine Familie: Ich besetzte die Rolle der Frau des von Romain Duris gespielten Regisseurs mit meiner Frau Bérénice Bejo – und seine Tochter wird von meiner Tochter verkörpert.
Ohne den lakonischen Stil Ihres großartigen Ensembles hätte eine Burleske wie diese leicht daneben gehen können.
Hazanavicius
„Final Cut of the Dead“ ist mein neunter oder zehnter Film. Aber ich habe noch derart viel geprobt für eine Produktion: Fünf Wochen lang, Tag für Tag, gingen wir vor dem Dreh das Material durch. Das schweißte uns zusammen, wie eine Theatertruppe. Und dank Covid hatten wir noch Ausgangssperren, so machte uns die Tatsache, einen Film drehen und arbeiten zu dürfen, alle glücklich. Ich definiere mich tatsächlich in erster Linie als Komödienregisseur, obwohl ich nicht exklusiv Lustspiele drehen will.
Das Gefühl, dass Sie beim Drehen auch selbst eine gute Zeit hatten, überträgt sich.
Hazanavicius
Ich wollte die spürbare Energie des japanischen Originals erhalten, dem man in jedem Moment anmerkt, dass es ein Debüt ist. Aber man muss schon konzentriert bleiben. Nur Spaß haben genügt leider nicht. In der Branche gibt es ein geflügeltes Wort: „Lachen während des Drehens, Weinen im Schneideraum.“
Ein bisschen paradox ist das schon: Das Chaos, das Sie filmisch anrichten, müssen Sie extrem kontrollieren.
Hazanavicius
Ja, schon. Ich halte jede Einstellung vorab in Storyboards fest, weiß also sehr genau, was ich tue. Wenn man gut vorbereitet ist, kann man auch heitere Zufälle zulassen und nützen.
Ironischerweise wird in „Final Cut of the Dead“ ein Kino ohne Schnitte gefeiert: Man dreht die wahnwitzigen Ereignisse in einer einzigen, halbstündigen Einstellung. Hazanavicius mischt dabei Zombie-Slapstick mit Amateur-Trash, lässt eine verwinkelte Film-im-Film-im-Film-Erzählung entstehen. Das Selbstreferenzielle seines Kinos ist evident: „The Artist“ zollte der Reifezeit des Stummfilms Tribut, „Godard mon amour“ (2017) ehrte eine Regielegende, und in seinen beiden „OSS 117“-Filmen (2006/2009) bediente sich Hazanaviciusan der bewährten Rezeptur der Spionage- und Bond-Persiflage. Er habe jedoch herausgefunden, sagt er, dass sein „eigentliches Thema“ nicht das Kino an sich, sondern „die Sprache des Kinos“ sei. Auch sein nächstes Projekt, ein Animationsfilm, werde die filmische Rhetorik befragen. Seit vier Jahren schon arbeitet er an der Adaption eines Jugendbuchs des Schriftstellers Jean-Claude Grumberg: „Das kostbarste aller Güter“. Zwar gehe es darin auch um den Holocaust, aber mehr noch: um die Liebe.
Was passiert in der Übertragung eines Filmlustspiels von Japan nach Frankreich?
Hazanavicius
Es gibt wohl kulturelle Eigenheiten, aber ich bin kein Historiker. Ich weiß etwa, dass man in Japan peinliche Situationen lieber nicht noch anheizt, sich zurückzieht; ich bin dagegen eher der Trottel, der solche Szenen bis an den Punkt der absoluten Katastrophe ausreizen will. Ich glaube übrigens, dass ausgerechnet dieses sehr originalgetreue Remake eines meiner persönlichsten Werke ist.
Gar eine Art Selbstporträt als überforderter Filmemacher?
Hazanavicius
Nein, das nicht. Auch wenn die Frau des Regisseurs in „Final Cut of the Dead“ meiner eigenen erstaunlich ähnlich sieht.
Gibt es ein Geheimnis der perfekten Komödie?
Hazanavicius
Klar. Lustig sein. Im Ernst jetzt: Leute, die Mühe haben, eine gute Komödie zu drehen, sollten besser die Finger davon lassen. Ich halte es nicht für so unglaublich schwierig, Menschen zum Lachen zu bringen. Mir fällt es viel leichter, als tiefsinnige Dramen zu drehen. Ich bin natürlich auch ein Maniac, was Timing betrifft, ich schneide meine Filme selbst, um sicherzustellen, dass sie ganz exakt funktionieren. Da geht es um Zehntelsekunden.
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Stefan Grissemann
leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.