Kino

Millionenrad: Das neue Indiana-Jones-Spektakel

Die fünfte und wohl letzte Episode der „Indiana Jones“-Serie bietet erneut Aktions- und Zerstreuungsroutine, die wahre Spannung ist längst die betriebswirtschaftliche. Annäherung an einen Kino-Mythos in sechs Begriffen.

Drucken

Schriftgröße

Antrieb: mechanisch
 

Objekte von unschätzbarem Wert treiben die „Indiana Jones“-Serie seit 1981 voran. Die populäre Archäologie schürft tief. Man nennt solche legendär-fiktiven Gegenstände, denen Helden und Schurken hinterherjagen, seit Alfred Hitchcocks Zeiten MacGuffins. Die bisherigen Jones-Abenteuer kreisten um die mythische Bundeslade,um sakrale indische Steine, den Heiligen Gral und telepathiefähige Kristallschädel. Im jüngsten Film der Franchise ist das begehrte Ding ein antiker Zaubermechanismus: „Dial of Destiny“ heißt er, das „Rad des Schicksals“, das klingt ein bisschen billig, nach Glücksspiel, Vorabendshow und „Millionenrad“. Das titelgebende Fundstück ist einer real existierenden astronomischen Uhr nachempfunden, einem gut 22 Jahrhunderte alten, vor der Küste der griechischen Insel Antikythera gefundenen Apparat, einer Art Mond- und Sonnenkalender mit Ziffernblatt. Im Film wird das magische Messgerät dem griechischen Mathematiker Archimedes zugeschrieben; es sei in der Lage, Risse in der Zeit festzustellen, durch die man anschließend reisen könne. Indiana Jones und sein Nazi-Widersacher drehen also am „Rad des Schicksals“ (Kinostart weltweit, von China bis zu den Vereinigten Arabischen Emiraten, von Südkorea bis Österreich: diese Woche) – und der Mechanik der Wundermaschine entspricht die Dramaturgie präzise: Die Zahnräder greifen plangemäß ineinander, große Zeiger weisen unübersehbar den Weg.

 
Exklusivattraktion
 

„Only in theaters“, nur im Kino, das ist die Verheißung. Den neuen Indiana Jones wird man in den kommenden Wochen auf keiner Streaming-Plattform und keiner BluRay finden, nirgendwo als aufder großen Leinwand (und in streng illegalen OnlineDomänen; die Redaktion rät ab). Lange wird das „only“ aber ohnehin nicht währen, denn die Sekundärverwertung ist Teil der Kostenkalkulation, und der VOD-Kanal der Produktionsfirma, Disney+, freut sich schon jetzt auf Zehntausende weitere AboAbschlüsse. Der fünfte Film der Serie, veröffentlicht exakt 42 Jahre nach dem ersten „Indiana Jones“-Abenteuer („Jäger des verlorenen Schatzes“) und 15 Jahre nach dem bislang letzten („Das Königreich des Kristallschädels“), soll deren unwiderruflich finale Eintragung sein. Steven Spielberg als Regisseur und George Lucas als Story-Erfinder wollten sich das allerdings nicht mehr antun, sie fungieren noch als Produzenten. Wichtiger als sie ist nur einer: Ohne den Schauspieler Harrison Ford, den Titelhelden der Serie, ist ein Indiana-Jones-Film nicht denkbar. Die biologische Grenze ist jedoch nah: Ford feierte letztes Jahr seinen 80. Geburtstag, aber erstens erfreut er sich guter Gesundheit und zweitens kommt ihm die digitale Entalterung im Kino entgegen.

 
Reisen durch die verlorene Zeit
 

1944 und 1969 sind die Hauptzeitschichten, in denen dieser neue Film spielt, zunächst im untergehenden Reich des Hitler-Terrors, dann in der Flower-Power- und Moonage-Daydream-Ära; am Ende schaut man noch auf einen Sprung ins dritte vorchristliche Jahrhundert. Nazis, Hippies, antike Mathematiker und Apollo-Abenteurer: Die „Indiana Jones“-Serie blieb der Gegenwart stets bewusst fern. Nostalgie ist ihr Programm. Die ersten drei Filme („Raiders of the Lost Ark“, 1981; „Temple of Doom“, 1984; „The Last Crusade“, 1989) waren in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre angesiedelt. Das späte vierte Jones-Abenteuer („The Kingdom of the Crystal Skull“, 2008) bewegte sich ins Jahr 1957 weiter, in den Kalten Krieg. Dr. Henry Walton „Indiana“ Jones, Science-Nerd und Hau-Draufgänger, ist auf alle Zeiten vorbereitet, nur auf unsere nicht. Mit Chatbot und iPhone ist er kaum vorstellbar.

 

Der Geist der Serials
 

Nervenzerfetzende Trivialfilmserien, die einst – aus Zeitungs-Comics entstanden – als Kino-Beiprogramm in Fortsetzungen gereicht wurden, sind das Biotop, dem der Retro-Hero Indiana Jones entstieg. Die Serials der 1930er-Jahre, etwa „Flash Gordon“, „Jungle Jim“ oder „Dick Tracy“, standen Pate in der Entwicklung der Kino-Blockbuster in den 1970er-Jahren, insbesondere im Werk des Film-Entrepreneurs George Lucas. Er hob die bis heute in zahllosen Variationen und Spin-Offs laufenden Serien „Star Wars“ (ab 1977) und „Indiana Jones“ (ab 1981) aus der Taufe, indem er dem populären Appeal der Serials nacheiferte.

 
Bewegung!
 

Regisseur James Mangold („Wolverine“, „Le Mans 66“) hielt sich an einen Ratschlag, den ihm angeblich sein Vorgänger Steven Spielberg persönlich gegeben habe: Ein Indiana-Jones-Film müsse in unaufhörlicher Bewegung bleiben, „ein Trailer vom Anfang bis zum Ende“ sein. Damit ist das narrative Problem, das „Dial of Destiny“ über zwei Stunden und 34 Minuten plagt, einigermaßen ehrlich umrissen. Das attraktionsmaximierte Drehbuch wurde offenbar so lange überschrieben und mit jeder Neufassung weiter anonymisiert, bis nur noch die jeweils nächstliegenden Manöver übrig blieben: Cliffhanger-Faustkämpfe auf den Dächern rasender Züge, halsbrecherische Verfolgungsjagden auf Pferderücken und Motorradsitzen, Aktionssequenzen zu Land, unter Wasser und in der Luft. Es fällt ein wenig schwer, für all diese aus der Schublade 08/15 gezogenen Ideen Faszination aufzubringen. Auch die touristisch wertvollen Schauplätze (Marokko, Sizilien, Großbritannien) wurden aus dem Action Normenkatalog zwischen Bond, Bourne und „Mission: Impossible“ kopiert und eingefügt. Mads Mikkelsen als Obernazi und die britische Komödiantin Phoebe Waller-Bridge als Indys ausgefuchste Patentochter bringen immerhin ein wenig Noir- und Screwball-Flair ein.

Auf Risiko

 

Während das erste (und bei Weitem beste) Indiana-Jones-Dschungelabenteuer noch für schlanke 20 Millionen Dollar hergestellt werden konnte, kostete der jüngste Film fast fünfmal so viel – inflationsangepasst wären die 20 Millionen von 1981 heute 67. So abgekartet und mehrheitsfähig das fünfte Jones-Planspiel wirken mag: Der Disney-Konzern, der sich durch den Ankauf von Lucasfilm 2012 alle künftigen Rechte an der Marke Indiana Jones gesichert hat, könnte angesichts des schwindelerregenden Produktions-Etats von knapp 300 Millionen Dollar in gewichtige Finanznöte schlittern. Denn das unter den teuersten Filmen aller Zeiten aktuell auf Platz 13 liegende Werk „Dial of Destiny“ müsste eine geschätzte Milliarde Dollar einspielen, um – inklusive Marketing – auch nur auf eine schwarze Null zu kommen. Das Motto „No risk, no fun“ galt in Hollywood lange. In den Disney-Chefetagen lacht man über diesen Spruch inzwischen nicht mehr.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.