"Mission: Impossible": Die Nobilitierung der Blockbuster
Es geht um Angstlust, Schwindelerregung und sinnliche Überforderung. Das kommerzielle amerikanische Gegenwartskino funktioniert, immer noch und mehr denn je, wie eine kompliziert gebaute Achterbahn. Nervenkitzel und Spieltriebabfuhr sind entscheidend. Gleich hinter der nächsten Kurve lauert der finale Absturz, den man buchstäblich kommen sieht, von dem man zugleich aber weiß, dass er nicht kommen kann. So macht das Stahlbad Spaß, Sinn und süchtig: Die Welt geht vor unseren Augen drauf, passieren kann einem trotzdem nichts. Das alte Kinoerlebnis, wo es noch funktioniert (nämlich kollektiv, im Kinosaal, wo man der Gewalt der Bilder und Töne wohlig ausgeliefert ist), muss als "Ereignis" konstruiert sein, als hyperkinetisches, destruktionsfreudiges Fahrgeschäft, als sündteure und dennoch hochprofitable Entertainment-Maschine: der fun ride als fund-raiser.
Die "Mission: Impossible"-Kinoserie um Aktions-Zeremonienmeister Tom Cruise versorgt Hollywoods Paramount-Studio seit 22 Jahren in ebendiesem Sinne mit erklecklichen Zuschüssen; die Teile vier und fünf, "Ghost Protocol" (2011) und "Rogue Nation" (2015), spülten weltweit jeweils fast 700 Millionen Dollar in die Kassen. Die sechste Episode, "Mission: Impossible - Fallout", soeben im Kino gestartet (und dort wahlweise in 2D, 3D und IMAX verfügbar), schickt sich nun an, diese Summen noch zu übertreffen -nach altem Rezept: minimale Psychologie, maximale Entfesselung der belastbaren Körper und der verschworenen Dinge.
Es erscheint - trotz neuen Franchise-Rekords - wenig überraschend, dass die bislang teuerste Kino-"Mission" ihr Budget von knapp 180 Millionen Dollar bereits in den ersten sechs Tagen weltweit wieder einspielen konnte; überraschender klingt der fast ungebrochen hymnische Tonfall, mit dem vor allem die angloamerikanischen Qualitätszeitungen in den vergangenen Tagen von "M:I -Fallout" berichteten. Die "New York Times" etwa konstatierte "reales Vergnügen in den Bildern, die Mr. Cruise zeigen, wie er angespannt und doch geschickt im Zickzackkurs auf einem Motorrad durch Paris rast oder ein Auto über den Gehsteig schlittern lässt". Der Kritiker der "Village Voice" sekundierte: "Fallout" sei "eine filmische Zentrifuge akrobatischer Stunts, halsbrecherischer Jagden und immersiver Action: ein perfekt kalibriertes Stück Kino, das den Zuschauer von Anfang an wie eine Trommel bespielt". Und Stephanie Zacharek zollte im US-Nachrichtenmagazin "Time" Regisseur und Autor Christopher McQuarrie sowie dem Cutter Eddie Hamilton Tribut: "Jede Action-Szene hier ist mit gehirnchirurgischer Präzision konstruiert, nicht einfach nur durch den üblichen Schnellschnitthäcksler geschickt."
Nicht viel Neues
Trotz fachkundiger Inszenierung (Autor, Koproduzent und Regisseur Christopher McQuarrie gewann 1995 für sein Drehbuch zu "Die üblichen Verdächtigen" einen Oscar) hat "Fallout" nicht viel Neues zu bieten, spannt bloß wieder ein labyrinthisches Netzwerk an Geheimagenten, Nuklearwissenschaftern, kriminellen Profiteuren, Terroristen und Anarchisten auf, die einander im Freistil hinter alle Lichter führen. Die Geschichte ist stets die gleiche, nur ein Vorwand zur Komposition haarsträubender Suspense-Sequenzen: Man probt den Wiedereinstieg in die Panikphase des Kalten Krieges, versucht eine mutmaßliche atomare Apokalypse abzuwenden, eine Terrorbande davon abzuhalten, den Jüngsten Tag vorzuverlegen. Die Welt befindet sich am Rande der Vernichtung und merkt davon nicht einmal etwas. Nur Ethan Hunt, der Spezialagent mit dem Groschenromannamen, schreitet beherzt ein.
Der vom Feuilleton (nicht nur seiner Scientology-Mitgliedschaft wegen) lange verachtete Tom Cruise, der immerhin von Stanley Kubrick ("Eyes Wide Shut", 1999) und Steven Spielberg (u. a. in "Minority Report", 2002) verpflichtet wurde, hat seinen Karriereweg durchaus intelligent gestaltet. Von seinen Entscheidungen ist er nie abgewichen; in "Mission: Impossible" macht er (angeblich) weiterhin alle Stunts selbst, was sich erstens prima vermarkten und zweitens, angesichts der flächendeckenden Inanspruchnahme digitaler Spezialeffekte, nicht wirklich überprüfen lässt. Aber zweifellos rennt, stürzt und hängt Cruise in diesen Filmen höchstpersönlich gegen und über die sowie an den Klippen, die das Geld bedeuten. Realer Körpereinsatz ist die letzte Trumpfkarte im virtuellen Raum der computergrafischen Bewegtbilder. Dabei ist Cruise, geboren 1962, nicht mehr der Jüngste; in ein paar Wochen wird er das letzte Drittel seines sechsten Lebensjahrzehnts erreichen. Seine "Mission: Impossible"-Arbeit, in der es unentwegt um Wettläufe gegen die Zeit geht (im aktuellen Fall wieder einmal um zwei tickende Atomsprengsätze), ist somit auch auf biologischer Ebene ein gleichermaßen verzweifelter wie souveräner Kampf gegen die nahende Deadline. Aber Cruise ist heute mächtiger denn je: "M:I - Fallout" ist seine Show, vor und hinter den Kulissen, wo er als Star, Produzent und Drahtzieher absolutistisch regiert. Neben ein paar markanten Laufbahn-Entgleisungen ("Cocktail","Vanilla Sky","The Mummy") hat Cruise erstaunlich viele clevere Entscheidungen getroffen ; als sein Fliegerabenteuer "Top Gun" 1986 zum Superhit geworden war und Paramount bereit war, ihm die fünffache Gage für eine Fortsetzung zu zahlen, beschloss er abzusagen; lieber spielte er für Regisseur Martin Scorsese in "The Color of Money" neben Kino-Ikone Paul Newman die zweite Geige. Es war ihm wichtiger, von einer Legende des klassischen Hollywood zu lernen, als seinen Starruhm unmittelbar zu erhöhen. Cruise ließ (und lässt) sich Zeit: Während einige seiner berühmten Schauspielkollegen jedes Jahr fünf, sechs Produktionen stemmen, hat er in mehr als 35 Jahren Arbeit kaum 40 Hauptrollen gespielt. (Derzeit steht Cruise übrigens wieder vor der Kamera; 32 Jahre nach Veröffentlichung von "Top Gun" steigt er nun doch noch einmal ins Cockpit.)
Hollywood-Superstars brauchen Präsenz und Strahlkraft, keinen Iffland-Ring und keinen Schauspiel-Oscar. Tom Cruise weiß selbst am besten, dass er nicht der wandlungsfähigste Mime ist. Seine Strategie in "Mission: Impossible" ist jedoch effizient: Er lässt sich von britischen Charakterdarstellern wie Simon Pegg und Sean Harris umspielen, die das Vakuum Cruise, den Mann ohne Eigenschaften, umschließen, ihm lakonische Aura verleihen. Der Pop-Appeal einer Filmgröße wie Tom Cruise basiert präzise auf der Tatsache, dass er für alles offen, für alles zu haben ist, dass man ihn besetzen kann, womit (und worin) man mag. Cruise ist der flexible Stararbeiter schlechthin; er ist als metro-, heterooder homosexuell verlässlich einzusetzen, er gibt den schönen Gewalttäter ebenso punktgenau wie den fotogenen Menschenfreund. Ein Erfolgsgeheimnis des Phänomens "M:I" ist seine Mischung aus State-of-the-Art-Technologie und Retro-Appeal: Die Serie ist, wie der populäre Konkurrenzmythos James Bond, eine Geburt der Sixties. In Reaktion auf Ian Flemings Agenten mit der Lizenz zum Töten ging 1966 die erste Folge einer Fernsehserie auf Sendung (im deutschsprachigen TV hieß sie "Kobra, übernehmen Sie"), die schnell zum Klassiker wurde. Vor 22 Jahren machte sich Brian De Palma daran, "Mission: Impossible" fürs Kino neu zu wärmen. Dem US-Elite-Agententeam, das Hunt leitet, die Impossible Missions Force, wird in "Fallout" ein dubios-lästiger CIA-Scherge (gespielt von Henry Cavill, bekannt als "Man of Steel", mit Contenance und Pornoschnauzer) zugeteilt. Solomon Lane (Sean Harris), der schon im fünften "M:I"-Teil, in "Rogue Nation", als megalomaner Krimineller im Spiel war, taucht im cartoonhaften Gewaltexzess hier wieder auf: So hart kann man gar nicht zuschlagen, dass sich dauerhafte Spuren an Leib und Leben bilden könnten. Man serviert Cliffhanger en suite und gewinnt dem Hauch einer Story um drei entwendete Plutoniumkugeln allerlei nostalgische Spannungsklischees ab: Es werden Bomben entschärft (welches Kabel?!), Autos und Motorräder in London und Paris gegen den Verkehrsstrom manövriert, fallouts in jedem Sinn des Begriffs produziert: Abstürze, Entzweiungen und andere ungeahnte atomare Nebenprodukte. Einige wenige Kritikerstimmen wagten es dann doch, darauf hinzuweisen, dass auch "Mission: Impossible - Fallout" vor allem auf kompetent inszenierte Routine setzt; der Londoner "Guardian" hielt sich in seiner Euphorie merklich zurück -man kriege da in zweieinhalb Stunden "eine Menge betäubender Knalleffekte für sein Geld, und die an touristischen Schauplätzen vollzogenen Stunts sind eindrucksvoll -aber den Wortwitz hat man einigermaßen zurückgefahren". Und Richard Brody nannte den Film im "New Yorker" tatsächlich "träge": Das Werk sehe aus "wie sein eigener Drehplan, wie eine einzige überlange Making-of-Sequenz". Das ist, bei aller Freude an konfrontativen Choreografien, nicht ganz falsch.
Steigender Zuspruch
Der messbaren Zufriedenheit der meisten anderen Rezensenten tat dies keinen Abbruch. Der Zuspruch stieg, wenn man dem Bewertungsanalyseportal Metacritic glaubt, in Sachen "Mission: Impossible" über die Jahre steil an: Hielten die ersten beiden Filmeinträge, inszeniert immerhin von De Palma und John Woo, dort bei schwachen 59 Prozent positiver Kritik (im Ergebnis laut Metacritic "gemischte oder durchschnittliche Rezensionen"), schlugen die nachfolgenden drei Werke bereits mit 66 und 73, schließlich gar 75 Prozent zu Buche. Die stolzen 86 Prozent, die das aktuelle Epos aufweist (destilliert aus 58 Kritiken in relevanten Magazinen, Tages-und Branchenzeitungen), sind zu einem Teil wohl auf jene Affirmation zurückzuführen, die nachhaltig erfolgreiche Werke stets begleitet: Wenn etwas derart viele Menschen erreicht, kann es nicht ganz schlecht sein.
Das nach einer Fliegerbombe mit vernichtender Sprengkraft zynisch "Blockbuster" genannte Phänomen des hochproduzierten Kinospektakels ist also in den Salons des internationalen Feuilletons angekommen. Der Begriff selbst, nicht ohne Grund erstmals während der frühen 1940er-Jahre, im tobenden Zweiten Weltkrieg, für Abenteuerfilme, Musicals oder romantic comedies gebraucht, hat sich epidemisch verbreitet, wird heute etwa auch auf massentaugliche Ausstellungen angewandt. In den 1970er-Jahren wurde das System des Blockbusters, wie wir ihn heute kennen, perfektioniert, auch als konservativer Backlash gegen den ästhetischen Eigensinn des New Hollywood, das Martin Scorsese, Arthur Penn, Bob Rafelson, Monte Hellman und andere vertraten. Steven Spielberg und George Lucas wechselten mit "Jaws" ("Der weiße Hai", 1975) und der ersten "Star Wars"-Episode ("Krieg der Sterne", 1977) die Seiten - und leiteten den fundamentalen Umbau der amerikanischen Filmindustrie ein. Der Blockbuster mit seinen Technik- und Katastrophenangeboten ist seither Hollywoods Evangelium und Apotheose, das Milliardenversprechen der Branche geworden: "Avatar" (2009) und "Titanic" (1997) sowie "Star Wars: The Force Awakens" (2015) sind -bei Einspielergebnissen jenseits der zwei Milliarden Dollar - die drei weltweit erfolgreichsten Filme aller Zeiten . Dabei werden die Spielräume der filmischen Popkultur zusehends enger. Mit dem Siegeszug der Blockbuster wurde das Kino der mittleren Budgets rar; das relevante US-Kino hat sich radikalisiert, die Kluft zwischen klugen, kunstaffinen Low- und No-Budget-Produktionen einerseits und dem tobenden Entertainment andererseits hat sich vertieft.
Die neue Nobilitierung der Blockbuster schlägt in viele Richtungen aus; Superhero- und Comic-Book-Fantasien wie der bereits auf der Top-Ten-Liste der lukrativsten Filme aller Zeiten stehende "Black Panther" (2018) oder "Wonder Woman" (2017) verschafften sich durch politische Untertöne, durch afroamerikanische Identitätsstärkung und feministische Subversion medialen Respekt. Die gegenwärtige Feuilletonwürdigkeit der von der seriösen Filmkritik einst verschmähten Hollywood-Blockbuster hat aber ebenso mit der drastischen Reduktion des populären US-Kinos auf Comics- und Superheldenstoffe, auf Animation und Science-Fiction zu tun wie mit der insgesamt steigenden Qualität von Regie und Drehbüchern - und der endgültigen Auflösung der Grenzen zwischen E und U. Spaßmaschinen wie "Guardians of the Galaxy" (2014) oder eben die "M:I"-Knaller dürfen inzwischen - inszenatorische Virtuosität vorausgesetzt - auch auf das Wohlwollen der Highbrow-Kritik zählen. Für dieses Interesse sind nicht zuletzt die deutlich verbesserten Frauenfiguren in Amerikas Blockbuster-Universen verantwortlich: "Fallout" beispielsweise punktet mit gleich vier wonder women (Angela Bassett, Rebecca Ferguson, Vanessa Kirby und Michelle Monaghan), die das etablierte Agenten-Herrenkränzchen mit Charisma, Selbstsicherheit und Kampfgeist in Schach halten. Die neue weibliche Autonomie scheint die alte Angstlust des Publikums nur noch zu steigern.