Singspiel in Schwarz: Mitreißendes Gangster-Musical "Emilia Pérez"
Filme wie dieser kommen nicht alle Tage ins Kino: Der renommierte französische Autor und Regisseur Jacques Audiard, 72, – er hat so Verschiedenes wie den Western „The Sisters Brothers“ (2018), das Geflüchtetendrama „Dheepan“ (2015) und den Gefängnisthriller „Ein Prophet“ (2009) inszeniert – hat mit „Emilia Pérez“ einen neuen Drahtseilakt des Genre-Kinos gewagt, ein in Cannes doppelt prämiertes Filmmusical von ungeahnter Schärfe und Diskursivität gedreht: eine kritische Untersuchung von Männlichkeitsbildern und Gewaltausstiegswegen.
Die Musik, komponiert von dem französischen Duo Camille & Clément Ducol, dynamisiert eine Erzählung, in der sich die von der spanischen Trans-Schauspielerin Karla Sofía Gascón dargestellte Titelheldin von einem mexikanischen Kartellboss in die geläuterte Chefin eines Patchwork-Matriarchats verwandelt. Neben Gascón glänzen in „Emilia Pérez“ (Österreich-Kinostart: 28.11.) die „Avatar“- und Marvel-Heldin Zoë Saldaña sowie Ex-Teen-Star Selena Gomez.
Jacques Audiard ist nicht nur zu großartigen Inszenierungen fähig, sondern vor allem auch ein Virtuose in der Herstellung spannender Drehbücher. Dieses Talent wurde ihm, dem Sohn des 1985 verstorbenen Filmautors Michel Audiard, gewissermaßen in die Wiege gelegt. Er sei selbst übrigens „kein großer Kinomusical-Fan“, sagt Audiard im profil-Interview. „Musikkomödien, die mir etwas bedeuten, hatten stets politisch-historischen Hintergrund: ‚Hair‘ etwa, Bob Fosses ‚Cabaret‘ – oder auch Jacques Demys ‚Regenschirme von Cherbourg‘, ein Musical zum Algerienkrieg.“ Als Opernlibretto begann „Emilia Pérez“, und schon damals war klar: Die Story musste „in einer derart patriarchalen Gesellschaft, einer Zeit der steigenden Femizide“ auch hart und tragisch sein. „In Mexiko verschwinden jedes Jahr 45.000 Personen, einfach so.“
Er wollte, erzählt Audiard, „dass die Musik das Besondere und Erzählerische an diesem Film darstellt, um gerade auch das Mexikanische herauszustellen. Die Lieder bilden einen dynamischen Kontrast zum Rest des Soundtracks, bringen aber gerade durch ihre Emotionalität die Geschichte weiter.“ Ob dieser Stoff je auch, wie ursprünglich geplant, auf einer Opernbühne landen werde, weiß er nicht. Nur eines: "Sicher nicht mit mir. Ich werfe das Handtuch."
Die immer gleiche Art von Film zu machen, stets ähnliche Themen und Formen benutzen, wäre doch öde, sagt Audiard. „Warum? Keine Ahnung. Ich habe nur wirklich Angst davor, langweilig zu sein. Vielleicht erklärt es das ein bisschen.“ Der Noir, das Dunkle, sagt er noch, liege ihm allerdings nahe. Man sieht’s.