"Monde vor der Landung": Neuer Roman von Clemens J. Setz
Jeder Mensch lebt in seiner eigenen Welt. Was deren genaue Beschaffenheit betrifft, darüber gibt es teils übereinstimmende Meinungen, aber auch erhebliche Differenzen. Im Auge des Betrachters, vor allem aber in seinem Bewusstsein, formt sich die Umzur Innenwelt, verändert sich, verschwimmt. Manche Menschen sind für diese Veränderung empfänglicher als andere, darunter der (historisch verbürgte) Held von Clemens J. Setz' neuem Roman "Monde vor der Landung", ein gewisser Peter Bender aus Worms, geboren am 30. Mai 1893, Weltkriegsveteran, abgeschossen über Polen, sturzverliebt im Lazarett; Gründer der "Wormser Menschgemeinde", Privatgelehrter und Sozialreformer; Astrologe und Autor des Romans "Karl Tormann. Ein rheinischer Mensch unserer Zeit" (lieferbar im Worms Verlag); nach eigenen Angaben zudem "unabhängiger deutscher Zweitentdecker" der Hohlweltlehre nach deren US-amerikanischem Pionier Cyrus Teed alias Koresh.
Der radikale Perspektivenwechsel, der es diesem Peter Bender erlaubt, daran zu glauben, die Menschheit lebe nicht außen auf der Hülle der Weltkugel, sondern an deren Innenseite; seine sichere Gewissheit eines konkaven Horizonts, gegen jede vernünftige Wahrnehmung, wird Clemens Setz zum Hintergrund für sein schillerndes Erzählen. Bender mag ein Spinner sein und einer, den man heute Verschwörungstheoretiker nennen könnte; er ist aber eben ein guter Mensch, ein Forrest Gump des frühen deutschen 20. Jahrhunderts, der dessen Verheerungen-vom Ersten Weltkrieg, aus dem er physische wie psychische Versehrungen davonträgt; über die Wirtschaftskrise der Hyperinflation, in der ihm das Geld zur Schimäre wird; bis zum Aufkommen des Nationalsozialismus-auf eine ganz eigene, absorbierende Form erfährt: ein reiner Tor, dem die Realität subjektiv abhandenkommt, auch weil sie, ganz objektiv, so unglaublich geworden ist. Wie aus den Augenwinkeln, nur nebenbei erlebt Peter Bender, wie sich die Welt um ihn verändert, wie aus Schülern Hitlerjungen werden und wie Nachbarn einander zu schikanieren beginnen. Bender irrlichtert durch eine belebte Dingwelt, durch synästhetische Landschaften: "Auf dem Weg zum Bahnhof leuchteten ihm die Straßenlaternen wie aus Freundschaft. Aber nach dem vielen Austausch mit all den jungen Menschen brummte ihm auch ein wenig der Schädel. Verrückt oder bösartig waren sie alle nicht, aber es schien, als wären einige deutsche Wörter in ihnen wahnsinnig geworden." Der Wahnsinn hatte Methode. Im Februar 1944 wurde Bender im KZ Mauthausen ermordet, seine Frau Charlotte wenig später in Auschwitz.