profil-Morgenpost: "Losgebunden vom Pfahl des eigenen Ich"
„Es war Notwehr”, antwortete Peter Handke seinem Biografen Malte Herwig („Meister der Dämmerung“, DVA, 2010) auf die Frage, ob er tatsächlich seine frühere Freundin Marie Colbin verprügelt hatte. Die weitere Erklärung ließ noch tiefer blicken: „Ich wollte einfach arbeiten. Und das ging nicht. Irgendwie bin ich dann durchgedreht. Trotzdem war das nicht gut ...”
Irgendwie gar nicht gut. Marie Colbins offener Brief aus dem Jahr 1999, den sie damals im Wirtschaftsmagazin „Format” (heute „trend”) publizierte, ist nicht das Zeugnis einer gekränkten oder racheseüchtigen Frau, die nach Öffentlichkeit heischt. Tatsächlich hatte die Schauspielerin und Fotografin Handke, mit dem sie über vier Jahre in Salzburg gelebt hatte, schon 12 Jahre zuvor aus eigenen Stücken verlassen. In dem Wikipedia-Eintrag zu ihrer Person findet der Schriftsteller nicht statt. Die Ursache dafür mögen die angeführten Erlebnisse am Ende ihres öffentlichen Schreibens gewesen sein: „Ich höre noch meinen Kopf auf den Steinboden knallen. Ich spüre wieder den Bergschuh im Unterleib und auch die Faust im Gesicht. Nein, du bist kein Mann des Friedens.”
Ursprünglicher Auslöser für Colbins späte Abrechnung war einmal mehr Handkes Haltung zu Slobodan Milošević, „deine bewusste Zustimmung zur Blutpolitik des Diktators”.
Welch Zynismus des Schicksals, dass just jene Nobelpreis-Jury, die auf Grund von (unter anderem) sexueller Übergriffe und psychischer Gewalt in den eigenen Reihen sich selbst zwecks Psychohygiene zu einer Auszeit verdonnert hatte, Handke zu ihrem Preisträger erkor.
Im Zuge der großräumigen Protestkundgebungen unter Politikern, Intellektuellen und Schriftstellern in Südosteuropa, allen voran Saša Stanišić, Gewinner des Deutschen Buchpreises 2019, und der damit verbundenen Reporterfragen ist Handke auch vorgestern in seinem Kärtner Heimatort Griffen „irgendwie durchgedreht”.
Ehe er das Spiel vom Fragen endgültig abbrach, ließ er die versammelte Medienmeute wissen: „Ich bin ein Schriftsteller, komme von Tolstoi, von Homer, von Cervantes ....” Nobelpreis hin oder her - aber sich selbst mit solchen Jahrhundertgestalten in eine Reihe zu stellen, fällt dann doch ein wenig unter Hybris oder, wie Frau Colbin es beschrieb: „Dein Ego bläht sich weit und breit.”
„Losgebunden vom Pfahl des eigenen Ich” - jenes Zitat Heimito von Doderers, der dem Nationalsozialismus durchaus zugeneigt war, hatte Handke noch zuvor der Presse zugeworfen, als man ihn nach seinen Gefühlen nach dem Preis befragt hatte.
Und wieder dreht sich der seit #Metoo im Oktober 2017 zum Rotieren gebrachte Diskurs zur ewigen Frage „Darf man, muss man Künstler und Kunst voneinander trennen?” Ist das Werk also tatsächlich „losgebunden vom Pfahl des eigenen Ich”? Man darf, muss aber nicht. In jedem Fall ist es aber eine Form „perfider Mülltrennung”, wie die deutsche „It”-Feministin Margarete Stokowski die Handke-Debatte im „Spiegel” resümierte.
Angelika Hager