profil-Morgenpost: Hochamtsgeheimnisse
Die Oscars sind ein Anachronismus, der für sich seit geraumer Zeit nicht einmal mehr das Privileg einer gewissen Liebenswürdigkeit beanspruchen kann. Allzu selbstgefällig und realitätsfremd erschien die Gala zuletzt in ihrem krampfhaften Bestreben, die frühere Glorie heraufzubeschwören. Doch Hollywood ist längst nicht mehr der Nabel der Filmwelt – zumindest nicht der einzige.
Diesem Umstand trug die altehrwürdige Academy nun auf spektakuläre Weise Rechnung, denn zum ersten Mal überhaupt wurde ein nicht englischsprachiges Werk als bester Film des Jahres ausgezeichnet: die südkoreanische Gesellschaftssatire „Parasite“. Und um den Triumph der viel zitierten Diversity wuchtig abzurunden, durfte Regisseur Bong Joon-ho gleich noch drei weitere Prestigepreise entgegennehmen: für das beste Originaldrehbuch, den besten internationalen Film und die beste Regie. Wenn es so weitergeht, kommen bei den Oscars irgendwann vielleicht auch Frauen und people of color gebührend zum Zug.
Hochamt am Puls der Zeit?
Wer sich die lange Sonntagnacht nicht um die Ohren schlagen wollte, kann die Highlights der diesjährigen Gala im profil-Liveticker nachlesen. Es gab tatsächlich einige Höhepunkte, die Dankesrede von „Joker“-Hauptdarsteller Joaquin Phoenix etwa oder die fulminante Eröffnungsperformance von Janelle Monáe: schwarz, queer und hinreißend selbstbewusst. Ein in mehrerlei Hinsicht denkwürdiger Oscar-Jahrgang, was – bei allen Vorbehalten im Detail – auch Stefan Grissemann so sieht.
Vielleicht wird aus einem verzweifelten Anachronismus doch wieder ein vitales Hochamt am Puls der Zeit.
Am 28. Februar 2021 wissen wir mehr.
Sven Gächter
P.S. Gibt es etwas, das wir an der „Morgenpost“ verbessern können? Das Sie sich von einem Newsletter auf jeden Fall erwarten? Das Sie ärgert? Erfreut? Wenn ja, lassen Sie es uns unter der Adresse [email protected] wissen.