Sir Tralala: "Ich will Gewalt emotional spürbar machen"
profil: Stichwort Neues Wienerlied: gut oder böse? Sir Tralala: Ich weiß gar nicht, wie der Begriff des Neuen Wienerliedes musikalisch definiert ist. Ich denke nicht, dass man ein gesamtes Genre als entweder gut oder böse definieren kann. Ein Genre ist nur der Rahmen, in dem man sich bewegt – und der ist gekennzeichnet durch stilistische Regeln. Ob das gut geht oder nicht, kann man per se nicht sagen. Es soll ja auch Monarchien gegeben haben, in denen die allgemeine Lebensqualität gut war, und Demokratien mit schlechter Entwicklung. Es ist auch eine Frage des Inhalts und der Ethik. Und in der Musik eine Frage des Kontext.
profil: Stilistische Regeln sind da, um gebrochen zu werden? Sir Tralala: Diese Frage beschäftigt mich in meiner Arbeit überhaupt nicht. Wichtig für mich ist: welche Konnotation möchte ich dem Liedtext geben. Ich hab am letzten Album einen eiernden Countrytrack produziert, um der Tragik des Textes eine eigene Note zu geben. Für ein anderes Lied, es heißt „Stirb Langsam“, adaptiere ich die Melodie eines Kinderlieds, da geht es um die Vermittlung von Unschuld gekoppelt mit Zorn. Und weil es in dem Song ums Sterben geht, hab ich mongolischen Obertongesang, archaische Trommeln und den Raumklang des Taj Mahal verwendet, um dem Ganzen einen spiritistischen Charakter zu verleihen. Dann hab ich das mit Orchester durchkomponiert und bin mit hartem Elektro-Dubstep reingefahren, weil ich Gewalt emotional spürbar machen wollte. Manchmal muss man in der Musik starke emotionale Reize setzen, wenn man etwas transportieren will.
profil: Das klingt durchaus anstrengend. Muss man für die Kunst leiden? Sir Tralala: Wieso anstrengend? Das ist Teil eines psychohygienischen Prozesses. Kunst dient auch der Darstellung von Konflikten und deren Reflexion, hilft, dysfunktionalen Mustern auf die Spur zu kommen, regt Problemlösungen an, steigert die individuelle und gesellschaftliche Lebensqualität. Hat Journalismus nicht ähnliche Aufgaben? Anstrengend wird es, wenn Menschen oder Gesellschaften keinen Zugriff auf Bearbeitungsmechanismen haben. Ich hab einmal gelesen, dass ein Mann in Wien nach jahrzehntelanger Ehe seiner Frau den Kopf abgeschnitten hat. Da hat offensichtlich etwas nicht gepasst, und es hat offenbar auch niemand rechtzeitig eine Sprache gefunden für das, was nicht passte. Die neue Sir-Tralala-Platte thematisiert einige solcher Dinge.
profil: Musik als Therapie: Können Sie mit diesem Ansatz etwas anfangen? Sir Tralala: Die künstlerische Arbeit selbst empfinde ich, wenn sie mir gelingt, als befriedigend und reinigend. Ich muss nicht leiden, um Musik machen zu können. Ich darf klanglich ausdrücken, was ich will. Ich leide eher, wenn ich zu wenig Zeit für meine Musik, für Familie und Freunde und Hobbies find, weil ich Buchhaltung machen oder mich um die Finanzierung meiner Projekte kümmern muss – oder wenn ich Auftragsarbeiten, die mich nicht wirklich interessieren, herstellen muss, weil ich Geld brauche. Aber das ist kein echtes Leid. Ich bin zufrieden mit meinem Leben. Sollte ich einmal wirklich leiden, fällt mir die Musikproduktion im Studio eher schwer. Das ist ja ein komplexes Handwerk, da muss ich meine Sinne, meine akustische Wahrnehmung sensibilisieren und mich auf die Arbeit konzentrieren, dabei zu leiden wäre kontraproduktiv.
profil: Sie haben „Echt gute böse Lieder“ in Eigenregie eingespielt. Misstrauen Sie Ihren Kollegen? Sir Tralala: Es gibt verschiedene Herangehensweisen. Ich musiziere oft und gern gemeinsam mit anderen Leuten, einfach so, jeder bringt sich ein. Jedoch hätte ich so mein Konzeptalbum nicht umsetzen können. Ich hätte zum Beispiel Streicher organisieren und ihnen erklären müssen, wie das Stück funktioniert, damit sie das spielen, was in meinem Kopf ist. Da setz ich mich halt selber hin und spiel die Streicher ein, und experimentiere mit meinen Ideen. Mit den Soloalben ist es bei mir so: Mich beschäftigt etwas, oder ich hab eine Idee, dann kann es sein, dass ich um drei Uhr morgens aufstehe, ins Studio geh und an einem Song weiter arbeite. Wer kann frühmorgens spontan ein Orchester anrufen um mal eben ein paar Takes auszuprobieren? Ich hoffe außerdem, kein Musiker ist so irre, dass er sich mit mir für 12 Stunden im Studio einsperrt. Und dann ist das ja auch noch eine Frage des Budgets. So eine Produktion wäre für mich unbezahlbar, wenn ich nicht das meiste selbst machen würde.
In vielen Branchen arbeitet man kaum mehr mit echten klassischen Musikern, weil es viel effizienter und billiger ist, diese am Computer zu programmieren.
profil: Und bei Ihren Konzerten? Sir Tralala: Natürlich ist es ein Ziel, dieses Projekt auch auf der Bühne, gemeinsam mit anderen Musikern umzusetzen, aber die müssen auch bezahlt werden. Deshalb baue ich jetzt klein weiter, bis das Fundament sitzt, und wenn es läuft, kommt die Band dazu. Ich habe auch ein großes Werk für Sinfonieorchester und Klavier in der Schublade. Leider habe ich keinen Zugriff auf die Finanzierung und Organisation eines Orchesters. Vor Jahren habe ich einmal ein entsprechendes Stück selbst am Computer programmiert und veröffentlicht. Aber genau das ist doch eigentlich krank: Weil man es sich nicht leisten kann, mit einem echten Orchester zu arbeiten, muss man es am Computer mithilfe von Sample-Datenbanken simulieren. In vielen Branchen arbeitet man kaum mehr mit echten klassischen Musikern, weil es viel effizienter und billiger ist, diese am Computer zu programmieren. Gleichzeitig gibt es gut ausgebildete Musiker, die nicht wissen, womit sie ihren Lebensunterhalt verdienen sollen. Viele gehen dann eben unterrichten. Oft schauen mich Leute mit großen Augen an und sagen: „Was, du kannst von der Musik leben?“ Als hätte ich vom Weihnachtsmann erzählt. Ist es denn nicht normal, von seiner Arbeit zu leben?
profil: Ihre Lieder erzählen von Säufern, Herumtreibern und Außenseitern. Sie wollen den Menschen am Rand der Gesellschaft eine Stimme geben? Sir Tralala: Teilweise. Auf den „Hundesblues“ am letzten Album trifft das zu. Das ist ein Knastlied, fast schon eine Charakterstudie, und ich habe eine derbe Sprache verwendet, um die Gefühlswelt und das Leid des Protagonisten erfahrbar zu machen. Sprache steht immer im direkten Zusammenhang mit der Gefühlswelt. Manche Leute sagen, sie machen Liebe, andere sagen, sie ficken. Es geht dabei um dasselbe, aber es fühlt sich unterschiedlich an. Die meisten Lieder auf dem Album handeln jedoch nicht von Randerscheinungen oder Problemen, die spezifisch für einen bestimmten sozialen Status sind. Es gibt auch Ärzte, die mit ihrem Alkoholkonsum nicht klarkommen, oder gut verdienende Rechtsanwälte, die in höllischen Ehen leben, mit Kindern, die darunter leiden müssen.
profil: Ist „Echt gute böse Lieder“ das unmoralische Album eines großen Moralisten? Sir Tralala: Moral ist sicher ein Thema auf dem Album, vor allem in einem Song wie „Schiach“, wo es auch um Doppelmoral geht. Ich benutze die Musik auch um meine persönlichen moralischen Ansprüche zu reflektieren. Eigenartigerweise ist der allgemeine Begriff der Moral oft negativ konnotiert. So als ob Moral per se etwas Schlechtes sei. Einen moralischen Anspruch zu verfolgen, bedeutet aber zuerst einmal, für eigene Werte einzustehen. Wenn diese in Ordnung sind, kann man gute, couragierte Verhaltensweisen entwickeln. Wie soll man einen Standpunkt haben, und diesen kommunizieren, wenn man nicht weiß, wo man moralisch steht? Ich finde es gut, einen Standpunkt zu haben. Bin aber auch klugen und schlüssigen Gegenargumenten offen gegenüber. Ich bin auch kein völliger Gegner pragmatischen Denkens. Leere Polemik und völligen Opportunismus mag ich nicht, und das zeige ich manchmal auch. Großer Moralist bin ich aber keiner, ich versuch ja nicht, jemandem vorzuschreiben, wie er sein Leben zu leben hat.
profil: Wird die Moral missbraucht? Sir Tralala: Manche Leute scheinen sich durch andere Werte bedroht zu fühlen, auch wenn diese in Wahrheit niemandem schaden. Es reicht schon der Umstand, dass es sich um Werte handelt, die nicht die eigenen sind. Vielleicht machen fremde Werte auch Angst vor dem Verlust der eigenen Sicherheit. Wenn jemand aus religiösen Gründen kein Schweinefleisch isst, bedeutet das gleichzeitig, dass er mir meinen Schweinsbraten verbieten will? Und natürlich stärkt so ein Wertefeindbild wiederum die eigene Gruppe. Man merkt ja auch, wie damit Politik gemacht wird. Das Album selbst würde ich nicht als unmoralisch bezeichnen, auch wenn es nicht offensichtlich sagt, was gut und was schlecht ist. Es besteht einfach aus Songs, die Dinge ansprechen, in denen es um eine eingeschränkte Lebensqualität geht, und wenn man genau hinhört, entdeckt man auch den einen oder anderen konstruktiven Lösungsansatz. Friede, Freude, Eierkuchen, das geht oft nicht von selber, da muss man halt dran arbeiten – eine soziale Gesellschaft, wie soll das gehen ohne Moral?
David Hebenstreit, 39
Der umtriebige Musiker mit Wurzeln in Wien, Kärnten und Niederösterreich hat auf über 30 verschiedenen Alben mitgewirkt, Musik für mehrere Kino- und Fernsehfilme komponiert und produziert und war an einigen Chartserfolgen beteiligt. Er spielte unter anderem mit Naked Lunch, Soap&Skin und Der Nino aus Wien. 2004 erschien das Debütalbum „Flying Objects, They Don’t Have A Brain“.
Sir Tralala: Echt gute böse Lieder (Schallter)
Eine Albumkritik lesen Sie im profil 41/2018.